Leihgaben aus aller WeltAachen feiert den unvergleichlichen Albrecht Dürer

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Kopf eines Walross (1521) von Albrecht Dürer

Kopf eines Walross (1521) von Albrecht Dürer

Köln – Sieht so ein Kardinal aus? Alt und grau, die Stirn zerfurcht, in einer kleinen Kammer. Im Mittelalter hatte man sich den Heiligen Hieronymus ganz anders vorgestellt. Als Würdenträger im prächtigen Ornat und als Gelehrten, der auf alle Fragen des Glaubens eine Antwort kennt. Bei Albrecht Dürer sitzt ein zweifelnder Mann vor uns, den der Maler daheim in bequemen Schlabbersachen überrascht zu haben scheint. Offenbar schweifen die Gedanken des Alten hin und her und finden keinen Halt im aufgeschlagenen Buch. Auch die Feder im Tintenfass bleibt unberührt. Stattdessen streift sein Finger einen Totenkopf.

Auf die letzte Frage, sagt uns das Gemälde, bleibt selbst der gelehrteste Mensch die Antwort schuldig. Der Tod macht uns alle dumm, und gerade deswegen ist er der Anfang und das Ende allen Denkens. Aus dem Blick des Heiligen spricht jedoch kein Zorn, sondern der Wunsch, über seine Zweifel ins Gespräch zu kommen. Es wäre leicht, ihn auf das Jesuskreuz in seinem Rücken hinzuweisen: Ist das nicht alles, was man wissen braucht? Aber dafür müsste man erst einmal lernen, an seinem durchdringenden Blick vorbei zu sehen.

„Heiliger Hieronymus im Studierzimmer“ (1521)

„Heiliger Hieronymus im Studierzimmer“ (1521)

Es gibt Kunsthistoriker, die darüber verzweifeln, dass Albrecht Dürer 1520/21 auf seiner Reise von Nürnberg nach Antwerpen lediglich ein dickes Rechnungsbuch führte, statt uns seine geheimen Gedanken mitzuteilen. Wer will schon wissen, wem der zu Lebzeiten berühmteste Künstler nördlich der Alpen alles grummelnd ein Trinkgeld gab?

Peter van den Brink, Direktor des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums kann mit dieser Pfennigfuchserei hingegen ganz gut leben. Er hat zu Dürers Geschäftsreise (mit Aufenthalten in Aachen und einem Abstecher nach Köln) eine exzellente Ausstellung entworfen, die Dürers Zeit und Kunst mit 171 Leihgaben aus aller Welt lebendig werden lässt. Eine Abschrift des Rechnungsbuchs (das Original ist verloren) liegt in Aachen hinter Glas, als wäre es eine Bibel von Gutenberg. Ansonsten darf Dürer in der Sprache sprechen, die er beherrschte wie kaum ein anderer – in Zeichnungen, Stichen und Gemälden.

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Die Aachener Ausstellung trägt den Titel „Dürer war hier“, was weniger marktschreierisch gemeint ist als es klingt. Vielmehr war der beinahe 50-jährige Schöpfer eines neuen, humanistischen Menschenbilds bei Reiseantritt so bekannt, das sich jede Stadt rühmte, ihn zu empfangen. Im ersten Saal hängen einige großformatige Legendenbilder in Öl, die Dürer dabei zeigen, wie er auf grandiose Weise Dürer ist – nur eben nicht in Nürnberg, sondern in Antwerpen, der belgischen Malerstadt.

Es sind späte Huldigungen, denen viele andere vorangingen, wie man in Aachen sieht. Kaum ein flämischer Meister war sich zu schade, Dürers Kompositionen, „Adam und Eva“, den „Kalvarienberg“ oder den „Heiligen Hieronymus im Studierzimmer“, zu kopieren. Vom „Kalvarienberg“ hatte Dürer eigens eine Werkstattskizze im Gepäck, um sie tauschen oder verkaufen zu können. Den Hieronymus malte er in Antwerpen mit einem angeblich 93-Jährigen als Modell.

Auf seiner Reise zeichnete Albrecht Dürer unermüdlich

Ansonsten malte Dürer kaum und zeichnete dafür emsig – von seinen etwa 1000 Zeichnungen entstanden gut 120 auf dieser späten Reise. Es sind viele ernste Bürgerporträts darunter, das tägliche Brot eines reisenden Starkünstlers, aber auch private Modeskizzen, streunende Hunde und das zärtliche Antlitz eines Walrosses. Man staunt, wie Dürer an einem Tag mit der Feder gestochen scharfe Bilder schaffen konnte, um dann einen flüchtigen Eindruck mehr aufs Papier zu hauchen als zu bannen. Auch solche Gelegenheitsarbeiten haben ihren Zauber. Jedenfalls verzeiht man den Aachener Kuratoren, dass sie nicht Vorwände gesucht haben, um mehr Dürer-Gemälde an die Wände zu hängen.

Sieben Jahren haben die Vorbereitungen der Ausstellung gedauert – man sieht es der gelungenen Sache an. Welch ein Glück zu sein, wo Dürer war.

„Dürer war hier. Eine Reise wird Legende“, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, 18. Juli bis 24. Oktober. Ausschließlich Tickets mit Zeitfenster. Katalog: 39/ 49,95 Euro.

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