Letzter Bildband von Konrad R. MüllerWenn das Sterben zum vertrauten Begleiter wird

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Konrad Rufus Müller posiert zwischen zwei Adenauer-Fotografien an der Wand.

Konrad Rufus Müller 2009 vor Porträts von Konrad Adenauer. Sein Bildband „Konrad & Konrad“ ist im Kölner Greven Verlag erschienen.

Vor seinem Tod komponierte der Fotograf Konrad R. Müller einen Bildband zu Konrad Adenauer. Es ist ein Buch des Abschieds.

Seine Faszination für den „Alten“ konnte sich Konrad R. Müller selbst nicht erklären. Zwischen ihm und dem anderen Konrad, nämlich Adenauer, lagen mehr als 60 Jahre, für Müller war der ehemalige Bundeskanzler ein „unvorstellbar“ alter Mann. „Ich war 25, und niemand hatte mich gezwungen oder beauftragt, immer wieder von Berlin nach Bonn zu trampen, um Adenauer zu fotografieren.“ Aber es war offenbar dieser Trieb, das „Unvorstellbare“ zu erkunden, die aus Müller einen der bekanntesten deutschen Porträtisten, den „Kanzlerfotografen“, machte.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Fotografen altern, während die Zeit auf ihre Fotografien stillsteht. Im Laufe der Jahrzehnte näherte sich Müller dem „Alten“ nicht nur räumlich an (er zog nach Königswinter, wenige Kilometer von Adenauers Rhöndorfer Wohnhaus entfernt), sondern auch an Jahren. Als Müller erfuhr, dass er nur noch Monate zu leben habe und mit dem 91-Jährigen auf seinen Bildern nicht mehr gleichziehen würde, bekam das „Unvorstellbare“ Konturen  – und er begann, sein letztes Buch mit Aufnahmen des alten, todgeweihten Adenauer zu komponieren.

Konrad R. Müller hat die Auslieferung seines Abschiedsbuchs nicht mehr erlebt

Konrad Rufus Müller starb am 25. November im Alter von 83 Jahren in Königswinter, die Auslieferung seines Abschiedsbuches hat er nicht mehr erlebt. Es erscheint im Kölner Greven Verlag mit dem Titel „Konrad & Konrad“, was man für unbescheiden halten könnte, wenn man nicht wüsste, dass die Gleichheit der beiden Konrads in der gemeinsamen Erfahrung des Sterbens liegt. Aus heutiger Sicht sind Müllers zahlreiche „Begegnungen“ mit Adenauer nichts anderes als frühe Ahnungen des Tods. Jedenfalls hat sie der alte Müller als solche inszeniert. Man kann beim Blättern nachvollziehen, wie das „Unvorstellbare“ zum vertrauten Begleiteter wird; aus Adenauer wird Konrad.

Das Titelmotiv des Bildbandes erinnert nicht von ungefähr an eine Totenmaske. Es zeigt den Kanzler seitlich und von unten, die Wange ist fahl, im Auge verglimmt das Licht. Um Adenauer herum ist nichts als Schwärze. Auch sonst holte Müller den „Alten“ ganz nah heran, Groß- und Detailaufnahmen prägen bei ihm dessen Bild. Immer wieder schnitt der junge Fotograf seinen Gegenstand buchstäblich aus seiner Umgebung heraus. Adenauer wirkt einsam und allein, außer, wenn Müller die Originalabzüge abdrucken lässt oder Bilder einfügt, die ihn mit der Kamera bei der Arbeit und den Kanzler als Objekt der Begierde zeigen.

Konrad R. Müller steht seitlich vor einer Aufnahme von Konrad Adenauer.

Konrad R. Müller vor einem seiner Adenauer-Porträts.

Aus den Aufnahmen, die Müller später auf den Spuren Adenauers machte, ist dieser ohnehin verschwunden. Man sieht einige Räume des Rhöndorfer Kanzlerhauses und einige Spazierwege in der Villa La Collina am Comer See, „Adenauers liebster Ferienadresse“, wie Müller schrieb. Die „Ferienbilder“ entstanden erst 1985, aber weil Müller sein gesamtes Berufsleben der alten Schwarz-weiß-Kamera seiner Eltern, eine Rolleiflex, treu blieb, scheint die Zeit auch auf ihnen in den 1960er Jahren stillzustehen. Abschiedsschmerz und Symbolik hielten sich schon damals die Waage: Ein Hohlgang durch die Natur kündigt den Abschied an.

Parallel dazu erzählt Müller sein Leben in Bildern. Das erste zeigt ihn als Zweijährigen, später sieht man ihn als jungen Mann mit der Kamera, 1966 sitzt er beim CDU-Parteitag „für einige Minuten“ neben Adenauer – an seinem 26. Geburtstag. Später stehen die Bilder aus Müllers erstem, erst 1986 erschienenen Adenauer-Bildband für die „gemeinsame“ Zeit sowie ein Brief, den Golo Mann an Müllers Verleger schrieb. Darin beschwert sich der Historiker darüber, wie Müller („jener Fotograf – sein Name fällt mir gerade nicht ein“) ihn daheim überfiel und wie beiläufig dazu überredete, das Vorwort für sein Adenauer-Buch zu schreiben. Der „Bursche“, so Mann, habe es nicht einmal für nötig gehalten, sich zu bedanken. Müller fand das Schreiben „skurril“ genug, um es aufzunehmen, aber vielleicht trifft es seine Arbeitsweise auch ganz gut.

Leider interessierte sich Müller in seinen anekdotischen Erinnerungen kaum dafür, seiner alten Faszination für Adenauer auf den Grund zu gehen. Reizte ihn als junger Mann die Nähe zur Macht, die autoritäre „Vaterfigur“ oder der „gute Deutsche“, der dem NS-Staat widerstanden hatte? Eine Antwort sucht man vergeblich; dass Müller nach Adenauers Tod den Kölner Trauerzug lediglich von der Pressetribüne aus verfolgen konnte, erscheint beinahe wie eine persönliche Kränkung, weniger als berufliche Zurücksetzung. Auf Augenhöhe ist Konrad R. Müller erst wieder in diesem Band. Der Tod ist der große Gleichmacher – als hätte es der junge „Kanzlerfotograf“ geahnt.

Konrad Rufus Müller: „Konrad & Konrad“, Greven Verlag, 80 Seiten, 20 Euro

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