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Lionel Richie in der Lanxess-ArenaEin Bollwerk gegen die Welt da draußen

Lesezeit 5 Minuten
Lionel Richie in der Lanxess-Arena.

Lionel Richie in der Lanxess-Arena.

Mit seinen größten Hits begeistert der 76-Jährige das Publikum in der Lanxess-Arena.

Es ist erstaunlich, was man alles kurz vor einem Konzert noch erledigen kann. Das Paar eine Sitzreihe tiefer bucht am Sonntagabend per Smartphone in der Lanxess-Arena Flüge und einen Mietwagen und gründet die WhatsApp-Gruppe „Bella Italia“, um mit Freunden den gemeinsamen Urlaub zu planen. Es passt zur Stimmung in der Lanxess-Arena, dass die beiden sich noch in aller Ruhe um andere Dinge kümmern, bevor Lionel Richie um kurz nach 21 Uhr die Bühne betritt.

Anders als bei den Stars der Jugend, bei denen kurz vor Beginn eines Konzerts die Luft zu flirren scheint, ist die Atmosphäre unter den 14.000 an diesem heißen Abend vorfreudig entspannt. Sie sind gekommen, um sich ein paar schöne Stunden zu machen, um den Alltag zu vergessen und um sich an ihre Jugend zu erinnern. 76 Jahre alt ist der amerikanische Soulsänger vor wenigen Tagen geworden, sein Publikum ist mit ihm gealtert.

Zu Beginn der Show fliegen über die riesige LED-Wand Fotos aus der langen Karriere Richies, außerdem werden unzählige Preise von Grammys bis zu dem Oscar, den er 1986 für „Say you, say me“ gewann, präsentiert. Man fühlt sich an den Vorspann früherer Samstagabendshows erinnert, nun könnte auch Thomas Gottschalk mit weit ausgebreiteten Armen auf die Bühne treten. Doch stattdessen steigt aus dem Boden des Laufstegs, der in die Mitte der bestuhlten Arena ragt, Lionel Richie, von Nebel umwabert, empor. 

Schwarze Hose, schwarzes Hemd, weißes Jackett. Das Outfit ist dezent, der Vokuhila von einst ist verschwunden, der Schnurrbart aber thront wie festgetackert über der Oberlippe. Der Auftaktsong seiner „Say Hello To The Hits“-Tour ist wenig originell, aber treffend: „Hello, is it me, you're looking for?“ ruft er seinem Publikum zu und das bejaht tausendfach, die Frage war ja ohnehin nur rhetorisch gemeint. Man muss nur das Video zum Song ausklammern, in dem er auf höchst unangenehme Weise eine blinde Frau stalkte. Vergeben und vergessen. Ja, wir sind nur deinetwegen gekommen, Lionel. 

Auch mit Mitte 70 ist Richie topfit

Auch mit Mitte 70 ist Richie topfit, tänzelt über die Bühne, scherzt mit seiner sehr kompetenten fünfköpfigen Band. Manchmal, wenn er geht, sieht man ihm die Jahre zwar doch ein wenig an, aber seine Stimme ist so unverkennbar wie eh und je. Hier feiert einer sein Lebenswerk, der weiß, was er erreicht hat. Selbstbewusst, aber nicht arrogant. Er muss niemandem mehr etwas beweisen. 

In den 1970er Jahren feierte Richie mit den Commodores große Erfolge, verkaufte Millionen Platten. Die größten Hits der Band stammen von ihm, er hat sie natürlich auch in Köln dabei: „Easy“, „Three Times a Lady“ und „Brick House“ etwa. Zu letzterem schießen so hohe Flammen aus dem Bühnenboden, dass Richie sich um seine „Barbecue Band“ sorgt. 

Die Show ist perfekt choreografiert, subtil ist hier nichts. Nebel, Licht, Videos, alle Effekte sind immer voll auf die Zwölf. Zu „Sela“ wiegen sich Palmen vor Pastellfarben, bei „Three Times a Lady“ sitzt er am weißen Flügel, die Kamera filmt seine Hände. Überhaupt ist er immer dann besonders stark, wenn er mit watteweicher Stimme seine Angebetete anschmachten kann. Er weiß um sein Image und ist schlau genug, eine entspannte Haltung dazu entwickelt zu haben. Bevor er „Truly“ singt, gibt er den Männern im Saal ein paar Flirttipps: „Nimm die wunderschöne Frau neben dir in den Arm, schau ihr tief in die Augen und sag: Ist Lionel nicht wunderbar?“

Überhaupt beherrscht er die Interaktion mit dem Publikum perfekt. Lange habe er geübt, „Köln“ - mit dem für Menschen mit Englisch als Muttersprache gemeinen Umlaut - richtig auszusprechen. Das Ergebnis klingt zwar etwas holprig, aber die Mühe wird honoriert. Immer wieder fordert Richie sein Publikum zum Klatschen und Mitsingen auf, was leicht fällt, denn auch wenn man nie ein Fan war, kennt man eigentlich jeden Song, kann von den meisten zumindest den Refrain auswendig.

Bonbonbunt und zuckerwattig ist diese Welt

Natürlich bedeutet eine Aneinanderreihung der größten Hits wie an diesem Abend - ohne einen einzigen neuen Song - auch einen künstlerischen Stillstand. Aber eigentlich ist eine solche Setlist viel ehrlicher als der Versuch, neue Stücke unterzubringen, die dann doch nur alle nutzen, um Bier zu holen. 

Lionel Richie gibt sich der Nostalgie, die über allem schwebt, mit ehrlicher Begeisterung hin. Seine Hits sind so wie die Show: Gerade heraus, ohne doppelten Boden, ohne Metaebene. Wir können vielleicht nicht an der Decke tanzen, aber wir können es ja immerhin versuchen. Bonbonbunt und zuckerwattig ist diese Welt, die hier in der Arena in den rund zwei Stunden entsteht, ein Bollwerk gegen die Welt, die draußen lauert.

Die wollte man wohl zu allen Zeiten manchmal am liebsten ausblenden, aber gerade ist die Sehnsucht nach einem bisschen Glückseligkeit, nach einem Safe Space, in dem Krieg und Hass, Rechtsruck und Inflation keinen Platz haben, besonders groß. Eskapismus ist ja oft ein Schimpfwort, hier wird er beinahe zur Utopie: Schaut her, was möglich ist, wenn wir alle nur ein bisschen liebevoller und zugewandter miteinander umgehen. 

Wie verkehrt die Welt ist, in der wir leben, wird deutlich, als Richie kurz vor Schluss dann doch noch politisch wird. Pure Liebe und pure Freude herrsche hier in der Halle: „Wir sind der Melting Pot, wir kommen von überall her zusammen.“ Wir alle seien Menschen, „diese Leute“, die anderen gebe es nicht: „Das sind wir alle. Wir alle verlieben uns, wir alle kämpfen, wir alle kennen den Schmerz.“

Es ist eine Rede, die überleitet zum vorletzten Song des Abends. Den habe er  - vor 40 Jahren - mit seinem Freund Michael Jackson geschrieben. Und so wird das eigentlich totgedudelte „We Are The World“ plötzlich zu einem Kommentar für die Gegenwart. In Zeiten, in denen grundlegende Werte infrage gestellt werden, kann auch eine solche Nummer zum Statement werden. 

Danach geht es dann aber doch wieder vor allem um eine große Party. Wenn die Stimmung so gut sei, können er ja einfach die ganze Nacht lang weitersingen, hatte er mehrfach gerufen, doch irgendwann ist Schluss. Mit „All Night Long“, bei dem man sich an einen karibischen Strand träumen kann, beendet er den Abend. Die Ohrwürmer aber setzen sich im Gehirn fest und bleiben, nicht nur für eine Nacht, sondern sehr viel länger.