lit.Cologne über Köln als WeltstadtDiedrich Diederichsen lästert über Lokale auf Aachener Straße

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Diskussion Als Köln einmal Weltstadt war, lit.Cologne 2024

Anja Backhaus (r.) im Gespräch mit Irmin Schmidt, Gisela Capitain und Diedrich Diederichsen (v.r.)

Can-Gründer Irmin Schmidt, Galeristin Gisela Capitain und der Ex-„Spex“-Vordenker erinnern sich an Kölns große Zeit in Kunst und Pop.

„Als Köln einmal Weltstadt war“, betitelte diese Zeitung seine Rezension des Buches „Wir waren hochgemute Nichtskönner“. Das unternimmt den Versuch, jene „rauschhaften Jahre zwischen 1980 und 1995“ einzufangen, in denen sich bildende Künstler und Pop-Theoretiker gegenseitig befruchteten. Unter eben dieser Überschrift bemühte sich nun Anja Backhaus in der Volksbühne drei prominenten Zeitzeugen das Geheimnis des Genius loci zu entlocken.

Wobei Irmin Schmidt, Mitgründer von Can, der einzigen Kölner Band von Weltgeltung, anderthalb Jahrzehnte früher an den Rhein gezogen war, hauptsächlich wegen Karlheinz Stockhausen. Köln mag damals weniger rauschhaft gewesen sein – leiser, sagt Schmidt –, ein kulturelles Kraftzentrum war es schon damals: „In Europa war Köln die wichtigste Stadt für die Neue Musik“, erinnerte sich der 87-Jährige, „spannender als Paris.“ Auch habe es in Köln und Düsseldorf mehr Galerien gegeben als in jeder anderen deutschen Stadt. Von Pop allerdings noch keine Spur: „Es gab die Lords, denen sollte ich Harmonielehre beibringen, die kamen dann abends mit zwei Whiskeyflaschen an. Der Morgen verlief dann sehr harmonisch.“

In den 1960er Jahren war Köln die Hauptstadt der Neuen Musik, erzählt Irmin Schmidt

Umso bemerkenswerter, dass Schmidt kurz darauf bereit war, seine klassische Erziehung – er ist ausgebildeter Dirigent und Pianist – zugunsten eines gewagten Experiments abzulegen: Eine Gruppe aus Vertretern aller zeitgenössischen Musikrichtungen, die ohne Hierarchie und ohne Komponisten etwas völlig Neues schaffen wollen. Noch bemerkenswerter ist dann nur, dass dieses Experiment, eben Can, derart geglückt ist.

Diedrich Diederichsen, von Backhaus als Deutschlands wichtigster Poptheoretiker vorgestellt, erinnerte sich prompt an ein Can-Konzert in seiner damaligen Heimat Hamburg, dass er als singuläre Erfahrung abgespeichert habe: „Die vier, fünf Krautrockbands, an die man sich heute noch gerne erinnert, waren Punk fünf, sechs Jahre voraus.“

Die wichtigen deutschen Punk- und Post-Punk-Bands kamen allesamt aus Hamburg, Düsseldorf und Berlin-West. Diederichsen aber zog es nach Köln, weil sich hier mit der „Spex“ die interessanteste Konkurrenz zur Hamburger Popzeitschrift „Sounds“ gegründet hatte, bei der er Redakteur gewesen war. Nur Chefredakteur der „Spex“, wie in „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ behauptet, sei er nie gewesen. Man verfolgte, ebenso wie Can ein Jahrzehnt zuvor, ein basisdemokratisches Modell.

Das Beste an Köln war, dass man sich im Umkreis von nur 750 Meter bewegen konnte, sagt Diedrich Diederichsen

Das Beste an Köln sei, so Diederichsen, dass man sich in der Innenstadt und im Belgischen Viertel im Umkreis von nur 750 Meter bewegen und alle anderen treffen konnte. Ein Besuch in der Buchhandlung König, dann gegenüber zu Bittner oder in die Galerie Michael Werner, schließlich ins Broadway Café, wo man sich gegenseitig zeigen konnte, was man gekauft hatte: „Das war der Samstagvormittag.“

Klingt gemütlich. Aber war da nicht was mit lautstarken Auseinandersetzungen, mit kalkulierten Ausfällen, gerne unter Führung des legendären Künstlers und ebenso legendären Trinkers Martin Kippenberger? Gisela Capitain, Galeristin und Nachlassverwalterin Kippenbergers, winkte ab: Die aggressiven Auftritte habe sich Kippenberger für Ausstellungseröffnungen vorbehalten, „das war die Testphase für das Publikum“. Ja, die Diskurse seien hart ausgetragen worden, es ging um Geistesblitze, jeder kämpfte für sich. „Als Frau durfte man sich da nicht einschüchtern lassen, musste gelassen bleiben.“

Die hitzigen Thekendiskussionen, ergänzte Diederichsen, seien ein Testlauf gewesen, für etwas, das heute selbstverständlich sei: die Präsenz des Künstlers in seinem Werk. „Aber damals“, warf Capitain ein, „ging es um Inhalte, heute eher darum, sich als Geschäftspartner zu präsentieren.“

Die Boom-Jahre fanden ihren Höhepunkt zwischen 1986 und 1988, als auch die New Yorker Kunstelite, Jeff Koons etc., nach Köln pilgerte. Dann fiel die Mauer und der große Tross nach Osten begann. Auch Diederichsen zog nach Berlin, Schmidt lebte schon lange in der Provence, nur Capitain hielt Köln die Treue, „aus privaten Gründen“.

Ob er die Aachener Straße heute noch wiedererkenne, fragt Anja Backhaus. Die Redaktionsräume der „Spex“ lagen schräg gegenüber der Volksbühne. Diederichsen verneint: „Da gibt es jetzt 30 Läden, die aussehen, als wären sie von einer Agentur für Gastronomie-Ideen eingerichtet. Wer isst denn überhaupt in diesen Lokalen?“ Aber ob sich nicht auch in solchen Räumen eine Kunstszene zusammenfinden könne? Der Pop-Papst seufzt. „Höchstens Künstler, die sich für die Perversionen der kapitalistischen Gesellschaft interessieren.“

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