lit.Cologne-Veranstalter„Die Kultur in Köln wird fahrlässig vernachlässigt”

Lesezeit 11 Minuten
Neuer Inhalt

Werner Köhler, Edmund Labonté und Rainer Osnowski (v.l.) sind die Macher des erfolgreichen Kölner Literaturfestivals lit.Cologne.

  • Werner Köhler, Edmund Labonté und Rainer Osnowski sind die Gründer des Kölner Literaturfestivals lit.Cologne.
  • Ausgerechnet bei der 20. Ausgabe macht ihnen das Coronavirus zu schaffen: Mehrere Veranstaltungen sind schon abgesagt worden, darunter die Domlesung.
  • Ein Gespräch über den Verlust einer „gewissen Rationalität” in Virus-Zeiten, die erinnerungswürdigsten Momente in 20 Jahren lit.Cologne sowie prominente Schauspieler, die als „Wurm am Haken” fungieren.
  • Außerdem erklären die Macher, warum sich Literatur bei der lit.Cologne niemals für ihre Existenz entschuldigen musste.

Köln – Herr Köhler, Herr Labonté, Herr Osnowski, momentan beherrscht das Coronavirus die Schlagzeilen. Auch die lit.Cologne musste schon einige Veranstaltungen streichen oder verschieben. Wie ist der aktuelle Stand? Welche Auswirkungen hat die Verbreitung des Virus nun auf das Festival?

Osnowski: Das Wichtigste vorweg: die lit.Cologne wird nach heutigem Erkenntnisstand ab Dienstag stattfinden! Es gibt einige Autoren aus dem Ausland, die ihre gesamte Europatournee abgesagt haben, damit auch die Lesung bei uns. Die allermeisten Lesungen werden aber nicht abgesagt, sondern auf einen neuen Termin verlegt. Ähnlich wie beim 24-Stunden-Literaturmarathon haben wir entschieden, die Domlesung abzusagen, da auch hier aufgrund der Freikartenvergabe keine Hinweise auf die Besucher vorliegen im Fall der Fälle. Und wenn sich die Empfehlung von Minister Spahn durchsetzt, keine Großveranstaltung mit mehr als 1000 Besuchern stattfinden zu lassen, wäre auch die große Gala in der Philharmonie betroffen. Die anderen Veranstaltungen haben ja eine durchschnittliche Größenordnung von etwa 500 Gästen, diese finden wie Tausende andere in NRW – seien es Theater, Oper, Kino oder Konzerte – natürlich statt. Etwas anderes ist es mit den Klassebuchlesungen, an denen jedes Jahr 20.000 Kinder und Jugendliche teilnehmen. Wenn die Behörden alle Ausflüge untersagen, wird dieses Programm komplett ausfallen. Ich weiß zwar nicht, warum ein Ausflug gefährlicher sein soll, als die tägliche Fahrt zur Schule in Bus oder Bahn, aber von einer gewissen Rationalität hat man sich beim Thema Covid-19 ohnehin längst verabschiedet.

Als Sie die lit.Cologne 2001 an den Start schickten, gab es da ein Vorbild für das Festival, an dem Sie sich orientiert haben?

Köhler: Nein. Die Literaturveranstaltungen in Deutschland waren mit denen, die es heute gibt, nicht vergleichbar. In den 90ern liefen Lesungen in der Regel so ab: Da wurden selbst berühmte Autoren am Bahnhof nicht abgeholt sondern mussten sich allein zu ihrem zumeist schlechten Hotel durchfragen. Bei den Lesungen standen häufig klapprige Ikea-Stühlen, auf denen sich handverlesenes Publikum zusammenfand. Das war elitär und alles andere als glamourös. Es gab zum Beispiel in Köln eine Veranstaltung auf dem Neumarkt, die hieß „Der Bücherherbst“. Ein großes Zelt, Biertische, seltsame Buchauswahl und es zog immer wie Hechtsuppe. Es gab also viel zu verändern.

Labonté: Bei uns gab es auf einmal große Hotels, tolle Veranstaltungsorte, Fahrservice, gute Akustik, bequeme Stühle, Karten, die man im Vorverkauf kaufen konnte, alles, was man in der Branche eigentlich nicht kannte.

Ihnen war also von Anfang an klar, wie dieses „anders sein“ konkret aussehen sollte?

Köhler: Wir hatten eine Idee, die anders war. Wir wollten seriös aber spielerisch an das Thema gehen. Wir hatten zum Beispiel Nick Hornby gewinnen können. Er hatte zwar kein aktuell neues Buch, war aber der Autor von „High Fidelity“, einem Roman, in dem ein Plattenladen eine zentrale Rolle spielt. Also haben wir Nick einfach Platten auflegen lassen und aus seinem Auftritt eine Riesen-Party gemacht. Wir waren uns schon immer sehr bewusst darüber, was Aufmerksamkeit erzielt, und haben das auch gewollt. Es macht keinen Sinn, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, und sich dann zu verstecken. Das ist das, was Literatur bis dahin immer getan hat: sich für ihre Existenz entschuldigt. Wir aber lieben Literatur und wollten folglich den Baum brennen lassen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Welche Auswirkungen hatte diese Herangehensweise?

Köhler: Wir haben eben auch die Inszenierung mitgedacht. Da existiert ein Begriff, mit dem wir zu Beginn häufig konfrontiert wurden: Eventisierung. Was für ein Unsinn. Vom Produkt waren wir eh überzeugt, von dem, was wir anbieten, von der Literatur. Aber es musste endlich eine zeitgerechte Form her, damit die Literatur wieder wahrgenommen wurde und aus ihrem stillen Eckchen rauskam.

Osnowski: Wir wollten einfach einen bunten Strauß binden, der dann dazu führt, dass die Leute sich breiter mit Literatur identifizieren. Im ersten Jahr gab es die große Lesung im Kölner Dom mit über 6000 Leuten. Als wir an die Domplatte, an das Haupttor kamen, standen die Menschen runter bis zum Rheinufer. Wir konnten es kaum glauben.

Wie schwierig gestaltet sich die Auswahl der Autoren und Autorinnen?

Köhler: Wenn Sie einen Verlag haben, der viele seiner Autoren auf dem Festival platzieren konnte, dann fragen natürlich die, die nicht berücksichtigt wurden: Was ist denn mit mir? Das bringt die Verlage manchmal in regelrechte Schwierigkeiten. Und es gibt noch eine weitere: Viele wollen sehr ungerne mit ihrer Lesereise bei uns starten, sie wollen viel lieber bei uns enden. Wenn sie bei uns beginnen, haben sie ein volles Haus, und das gilt mittlerweile auch für relativ unbekannte AutorInnen. Dann geht es von Köln aus auf den Rest der Reise und dann sitzen da wieder die üblichen 10-20 Leutchen. In jedem Fall immer sehr viel weniger als in Köln. Und natürlich gibt es kein 5-Sterne Hotel, keinen Fahrdienst, keine 24 Stunden rund um die Uhr Betreuung und, und, und.

Osnowski: Wenn wir immer nur die Angebote von den Verlagen nehmen würden, würden die uns quasi eine Art Werbekostenzuschuss zahlen. Aber wir wollen das machen, was wir gut finden. Mittlerweile ist dieses Wir größer geworden, da sitzen sieben Leute am Tisch. Wenn ich da ein Buch vorstelle, und das überzeugt Werner oder eine Kollegin nicht, wird noch mal gelesen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich der Geschäftsführer bin oder nicht, jeder hat die gleiche Stimme. Und daraus entstehen dann spannende Konstellationen.

Köhler: Das ist übrigens auch einer der Unterschiede der lit.Cologne zu anderen Festivals: Wir leisten uns einen relativ teuren Apparat an MitarbeiterInnen, die das Programm machen. Da wird alles gelesen und bei weitem nicht alles für gut befunden.

Labonté: Das Tolle ist aber auch, dass wir in einer relativ ereignislosen Zeit, nämlich im Frühjahr, angesiedelt sind. Und wir sind in der Lage, relativ viel Publizität zu erzeugen mit dem Festival. Das haben die Verlage natürlich auch gemerkt, die werben ja mittlerweile damit. „Liest auf der lit.Cologne“, das ist ein Adelsprädikat für den Autor.

Stand das Konzept, bekannte Schauspieler die Texte lesen zu lassen, von Anfang an?

Köhler: Ja, das war von vornherein das Konzept. Hätten wir am Anfang einen unbekannten Autor da hingesetzt, wären nicht viele Leute gekommen. Also haben wir gesagt, jetzt müssen wir erst mal einen dicken Wurm an den Haken hängen, und das ist dann in diesem Fall die Berühmtheit des Schauspielers oder der Schauspielerin. Sie mögen mir den wenig galanten Vergleich mit dem Kriechtier verzeihen.

Osnowski: Hinzu kommt ein zweiter wichtiger Aspekt: Seit einigen Jahren bieten wir verschiedene Themenabende an, die redaktionell durchdacht und daraufhin mit der entsprechenden Literatur bestückt werden, damit gibt es noch einmal eine andere Form von inhaltlicher Auseinandersetzung. Und ein Drittens: Wir haben von Anfang an gesagt, wir rollen allen den roten Teppich aus, also den Gästen, unseren Mitwirkenden, aber auch unserem Publikum. Unsere Produktionsabteilung ist einzigartig! Wir bieten gute Bedingungen. Für alle SchriftstellerInnen und SchauspielerInnen ist es tatsächlich von Anfang an so gewesen, dass sie sich bei uns bestens aufgehoben fühlen. Und das hat sich natürlich herumgesprochen.

Welchen Stellenwert hat das Schokoladenmuseum als Treffpunkt?

Köhler: Einen hohen Stellenwert. Das hat viele Effekte, einmal für die Leute, die kommen, weil das ein geschützter Raum ist, ohne dass wir ihn je tatsächlich mit Security geschützt hätten. Es hat übrigens nicht ein einziges Mal einen Übergriff von irgendjemandem auf all diese berühmten Leute gegeben, die da allabendlich die Tische bevölkern. Keine Autogrammjäger, keine Paparazzi oder instinktlose Journalisten.

Osnowski: Ein Werbetreibender sagte mal zu mir, um diese ganzen Prominenten an einen Fleck zu holen, müsste ich eine Million Euro zahlen.

Köhler: Da ist immer eine Super-Stimmung abends, für uns ist das auch wichtig, nicht nur fürs Networken, sondern da entsteht immer schon ein Drittel Programm fürs nächste Jahr, weil da immer und überall über Literatur gesprochen wird, über Vorlieben und geheime Leidenschaften und darüber, mit wem man gerne mal was zusammen machen würde.

Welche Rolle hat die Stadt Köln in all den Jahren gespielt. Sie hat Sie weitgehend in Ruhe gelassen?

Köhler: Im günstigsten Fall.

Osnowski: Wir hatten ja von vornherein gesagt, wir wollen das selber auf die Beine stellen. Die Stadt begleitet das Festival aber mittlerweile mit Wohlwollen und sieht es mehr und mehr als wichtigen Faktor, allen voran unsere Oberbürgermeisterin Reker, da ist ein Prozess in Gang gekommen, an deren Ende vielleicht ein größeres Miteinander stehen könnte.

Köhler: Wir wollten keine Subventionen. Was wir aber sehr wohl wollten, war, dass die Stadt uns hilft, Kontakt zu finden, dass sie eben nicht sagen, lit.Cologne brauchen wir nicht, sondern sie uns Türen öffnen sollte. Das war allerdings über die Jahre ziemlich mau.

„Die Leute feiern Karneval, gehen aber trotzdem dann zu Sloterdijk”

Aber die jeweiligen Kulturdezernenten waren immer fleißige Besucher der Veranstaltungen?

Osnowski: Nein, da kann man schon sagen, das ist ja eine fahrlässige Vernachlässigung, was im Kulturbereich strategisch passiert. Man könnte aus der Kultur in Köln als Standortfaktor noch viel mehr machen.

Wie wichtig ist die Stadt jenseits der Stadtverwaltung für den Erfolg?

Labonté: Das ist die beste Stadt, die du haben kannst. Es gibt eine extreme Begeisterungsfähigkeit.

Osnowski: Wenn wir über die 20 Jahre die Gästebücher durchsehen, lesen wir, wie viele Autoren und Schauspieler geschrieben haben, das sei das beste Publikum der Welt. Und das ist überhaupt keine Anbiederung. Das liegt natürlich auch daran, dass die Menschen hier auch tiefgründiger, neugieriger sind, als ihnen unterstellt wird. Es ist eben nicht nur Fußball und Karneval, sondern das Interesse geht darüber hinaus. Die Leute feiern Karneval, gehen aber trotzdem dann zu Sloterdijk und wollen hören, was man nicht verstehen kann.

Labonté: Und die Stadt hat natürlich auch die ideale Größe. Wenn Sie in Berlin so was machen, ist eine Veranstaltung in Tiergarten, eine in Charlottenburg, das verpufft ja alles. Wenn hier in Köln das Festival ist, sehen Sie ja an jeder Ecke Menschenschlangen, Fahnen, Plakate. Man hat schon das Gefühl, dass die Stadt in diesen zehn Tagen komplett unter dem Motto Literatur steht. Und das steckt natürlich auch an und erzeugt eine Euphorie und auch einen gewissen Stolz bei den Leuten.

Köhler: Ich glaube, das Tolle an den KölnerInnen ist, sie lassen sich sehr gerne auf Neues ein, und wenn du dann gut performst, sind sie treu - wenn du keinen Unsinn baust. Ich glaube, das ist schon ein Merkmal der Stadt.

Osnowski: Die katholische Kirche spielt ja keine so große Rolle mehr wie früher, aber es ist eine Stadt, die durch Prozessionen, durch eine gelebte Öffentlichkeit gekennzeichnet ist. Die Stadt hat sich immer nach außen gebärdet und nicht nach innen. Und diese Mentalität ist natürlich für ein populäres Festival eine ideale Ausgangsvoraussetzung. Wir nehmen die Leute mit und sie sind auch bereit, sich mitnehmen zu lassen.

Und welche Bedeutung hat das Kinderprogramm?

Labonté: Es gibt ja in unserer Branche diesen fiesen Begriff Leseförderung. Der ist ja schon so abschreckend. Wir haben immer gesagt, ihr dürft den Kindern nicht sagen, ihr müsst lesen, sondern ihr müsst den Kindern Bücher geben, dann funktioniert dieser Ansatz. Es ist so erstaunlich, was dieses Festival da so geleistet hat im Laufe der Jahrzehnte.

Osnowski: Zu den Klassenbuchlesungen kommen 20.000 Kinder und Jugendliche. Das ist ja das demokratischste Element, das man haben kann. Da sind Bildungsschichten völlig egal. Wir erreichen viele Kinder und Jugendliche, die vorher noch nie mit Lesungen in Berührung gekommen sind. Darauf können wir sehr stolz sein!

Wenn Sie zurückblicken, gibt es den größten Moment für Sie persönlich?

Labonté: Also ich habe einen. Ich bin mal zwei Tage mit Charles Aznavour durch Köln gelaufen. Man glaubt nicht, was der für eine Popularität hatte. Die Leute auf der Straße sind betend vor ihm niedergekniet. Wir sind mit ihm mittags essen gegangen, da kam Herbert Grönemeyer. Er hatte die Probe für ein Konzert abgebrochen, kam an unseren Tisch wie ein kleiner Schuljunge und sagte, er müsse kurz stören, um seine Verehrung für ihn auszusprechen.

Osnowski: Bei mir war es die erste Gala. Wir haben so lange darauf hingearbeitet, und keiner wusste ja, ob es funktioniert. Als Elke Heidenreich dann die Treppen vom Künstlereingang runterging, es endlich losging und die Menschen begeistert waren – bei der Erinnerung daran habe ich auch heute noch eine Gänsehaut!

Die 20. Ausgabe soll ja nicht die letzte sein. Wie geht es weiter?

Köhler: Wie es weitergeht? Einfach zu beantworten: Im September setzen wir uns wieder zusammen und versuchen ein noch besseres Programm zu machen. Wir lesen unendlich viel, tauschen uns aus, streiten, brainstormen, legen fest und fragen an. Und am 5. oder 6. Dezember stellen wir das, was da rausgekommen ist, mit klopfenden Herzen unserem Publikum vor. Weiter, immer weiter. Heute wir, morgen die nächste Generation.

Osnowski: Ganz früh haben wir gesagt, wir schauen mal, wie lange wir das machen, aber mittlerweile ist die lit.Cologne ja sowas wie ein allgemeines Kulturgut. Wenn es uns drei nicht mehr gibt, sollte es allein schon wegen der Einzigartigkeit des Festivals dennoch weitergehen. Wie, das wird man dann sehen.

Spielt es für Sie eine Rolle, dass die Stadt, wenn es sonst um Kultur geht, nicht so grandios performt die letzten Jahre oder ist Ihnen das egal?

Köhler: Für uns als Festival ist das nicht so wichtig, als Bürger aber schon. Die Stadt würde mehr Leuchttürme vertragen und mehr Mut.

Labonté: Köln verkauft sich unter Wert, sagen wir mal so. Da ist viel Luft nach oben.

KStA abonnieren