Elke Heidenreich„Köln ist dreckig und planlos – am liebsten würde ich wegziehen”

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Elke Heidenreich hatte lange daran zu knabbern, dass der lit.Cologne-Abend mit Karl Lagerfeld auch ohne sie als Moderatorin stattfand. 

Elke Heidenreich hatte lange daran zu knabbern, dass der lit.Cologne-Abend mit Karl Lagerfeld auch ohne sie als Moderatorin stattfand. 

  • Die Kölner Autorin Elke Heidenreich hat schon oft beim Kölner Literaturfestival lit.Cologne mitgemacht, in diesem Jahr konzipiert sie die große Gala.
  • Im Interview erzählt sie, wie es zum Krach mit den Veranstaltern wegen eines Abends mit Modezar Karl Lagerfeld kam, den sie eigentlich moderieren sollte – und von einem vor die Füße geworfenen Blumenstrauß.
  • Mit ihrer Wahlheimat geht sie hart ins Gericht – auch in Bezug auf das Kulturleben: „Wir hatten eine irrsinnige Musikszene. Und jetzt haben wir noch Höhner und Paveier.”

Frau Heidenreich, Literaturveranstaltungen tun sich oft schwer, ein großes Publikum zu erreichen. Warum ist das bei der lit.Cologne anders?

Es liegt daran, dass sie anders gemacht ist. Es hat mit der Auswahl zu tun, wen man mit wem auf die Bühne stellt. Und es hat damit zu tun, dass die lit.Cologne von Anfang nicht diesen intellektuellen Hochmut hatte, nur Botho Strauß, Susan Sontag und Peter Handke einzuladen. Sie haben auch Isabel Allende und Eric-Emmanuel Schmitt eingeladen. Zudem junge, unbekannte Autoren, die nicht von vorne herein jeder kennt, Leute, die unterhaltend schreiben. Und dafür schämen sie sich nicht, denn so kriegt man die Leute ans Lesen. Diese Bandbreite macht es aus. Da ist für jeden was dabei. Und dann natürlich die bekannten Schauspieler. Das sind oft sehr, sehr gute Leute, die das brillant machen. Da ist was los auf der Bühne. Der Mut, Themen zu mischen, ist interessant.

Literaturveranstaltungen sind sonst zu elitär?

Ja. Aber die lit.Cologne war nie hochnäsig. Da ging es immer auch um Unterhaltung. Man muss den Leuten erst mal die Angst nehmen. Lesen ist so wichtig. Die Welt ist komplex geworden - erstarkter Nationalismus, die Demokratie geht den Bach runter. Die Dichter können darüber schreiben. Das hilft uns, unsere eigene Unsicherheit einzuordnen. Und wenn sie uns nur von Sorgen ablenkt, ist es auch in Ordnung.

Die lit.Cologne ist auch gesellschaftlich relevant?

Sie steuert dagegen. Sie bezieht alle ein, alle sind willkommen. Kultur macht uns aus. Sie hat uns geprägt. Die Kultur hat einen schweren Stand, dabei kann sie uns retten. Auch Menschen, die wir nicht leiden können, haben ihre Lieder, ihre Musik. Das hilft, sie zu verstehen. Literatur hat mich immer getröstet. Das möchte ich vermitteln. Schöne Abende wie bei der lit.Cologne geben mir Kraft, vieles andere auszuhalten, weiter frech zu bleiben, nicht in einer Ecke zu sitzen und an Dingen zu leiden, sondern mich einzumischen. Mir macht das Mut, weil ich merke, dass wir auch viele sind.

Hat auch Köln als Stadt einen Anteil am Erfolg des Festivals?

Ja, ich denke schon. Die lit. hat ja auch einen Abstecher ins Ruhrgebiet gemacht, und das hat meiner Meinung nach nicht so gut funktioniert. Da waren auch viele Leute, aber es hatte nicht diese Stimmung, diesen Charme und Drive. Die lit.Cologne war immer sehr in die Stadt eingebunden, hat viel für die Leute getan, aber auch wirklich viel für die Künstler. Daraus sind Freundschaften entstanden. Auch bei mir. Sie hat in mein Leben herein gewirkt. Ich genieße die unkomplizierte, fröhliche Atmosphäre immer sehr.

Sehen Sie weitere Gründe für den Erfolg?

Von Anfang an haben die Macher es richtig gemacht, die verrücktesten Orte auszusuchen. Auf dem Schiff, in der Flora, im Zoo. Es ist eben nicht ein Dichter in einer Buchhandlung mit einem Glas Wasser, sondern ein Event in der ganzen Stadt. Das ist eine wunderbare Idee. Auch zum Erfolg beigetragen hat das großzügige Einladen ins Schokomuseum. Alle treffen sich dort und lernen einander kennen. Man sitzt, isst, trinkt und hat eine selten schöne Atmosphäre. Das war ein kluger Schachzug. Das hat die Sache für alle interessant gemacht, die mitmachen. Die kommen gerne wieder.

Bei der ersten lit.Cologne haben Sie die Gala konzipiert. Wie sind Sie das angegangen?

Ich wollte einen unterhaltsamen Abend mit Musik und nicht zu komplizierten Texten machen, der trotzdem anspruchsvoll war. Ich habe erst mal geschaut, dass Freunde von mir dabei waren, damit ich nicht so aufgeregt war. In der Philharmonie muss man sich ja auch erst mal auf die große Bühne trauen. Also habe ich Senta Berger eingeladen, Tomi Ungerer, Urs Widmer und andere Freunde. Weil klar war, dass es sehr viel um Literatur gehen würde bei der lit.Cologne, die Lyrik aber wie immer zu kurz kam, habe ich Lyrik ausgewählt. Mir hat das großen Spaß gemacht. Ich habe das dann noch zweimal gemacht, danach all die Jahre nicht mehr. Und jetzt zum 20. mache ich meine letzte Gala.

Warum soll es die letzte sein?

Ich bin jetzt 77 Jahre alt und will kein öffentlicher Mensch mehr sein. Ich will in Ruhe 100 werden und auch nicht mehr so viel auftreten. Aber ich bleibe der lit.Cologne treu. Ich schreibe gerade noch ein neues Buch, vielleicht mein letztes. Das erscheint im Herbst, und daraus will ich gern bei der lit.Cologne lesen.

Welches Thema hat Ihre Abschiedsgala?

Für mich war von Anfang an klar, dass ich gern das Calmus Ensemble dabei haben will. Deren engelsgleiche Stimmen wollte ich immer schon mal in der Philharmonie hören. Dann war schnell das Thema Nacht geboren, weil sie dazu viele Lieder im Programm haben. In den 20 Jahren, seit es die lit.Cologne gibt, sind 140 Autoren, die hier waren, gestorben, sind sozusagen in die ewige Nacht eingegangen. Das geht mir nah. Ich möchte mich verbeugen und ihnen danken, dass sie mitgemacht haben.

Wie soll das konkret aussehen?

Ich habe mir gewünscht, dass wir ein Band mit den Fotos, Namen und Lebe- und Sterbedaten laufen lassen. Und wir lesen von einigen Texte. Das ist der große Bogen. Es ist eine Abendveranstaltung, die sich um die Nacht dreht. In der Nacht liest man, ist man schlaflos, denkt sich Geschichten aus. Das hat viel mit Literatur zu tun. Ich wünsche mir, dass es ein sehr poetischer, leiser, sanfter Abend wird und alle sehr gerührt sind. Remmidemmi haben wir oft genug.

Sie blicken sehr positiv zurück. Aber es gab ja auch Tiefen. War das schlimmste Erlebnis die Geschichte mit Karl Lagerfeld?

Ja. Wir hatten Lagerfeld in die Oper eingeladen. Wir kannten uns aus meiner Talkshow und konnten uns gut leiden. Er hatte bei Steidl seine Edition herausgegeben. Ich hatte die alle gelesen, war brillant vorbereitet und wollte mit ihm ein schönes Gespräch führen. Im Flieger hat er einen Artikel gelesen, den ich zu seinem Geburtstag in der „Brigitte“ geschrieben hatte. Darin stand, dass ich verstehe, dass er immer Handschuhe trägt, weil man an den Händen das Alter sieht. Das hat er mir so übel genommen, dass er umgedreht ist.

Wie haben Sie reagiert?

Ich wollte den Abend trotzdem machen. Scheiß auf Lagerfeld. Ich wollte einen Pianisten dazu holen und ich hätte die Bücher vorgestellt. Das haben sie aber nicht gemacht. Sie haben Lagerfeld zurückgerufen, Roger Willemsen geholt und den Abend mit den beiden gemacht. Das habe ich ihnen damals sehr verübelt. Ich verstehe die Entscheidung, aber sie hat mich geärgert. Da hatten wir Krach, ich habe zwei Jahre geschmollt.

Sie waren verletzt?

Ja, das hat mich sehr verletzt von beiden Seiten. Von Karl, aber auch von der lit.Cologne, dass ihnen das wichtiger war als ich. Ich hätte dieser Eitelkeit nicht nachgegeben. Es hat mich geärgert, wie weit man den Launen eines Prominenten entgegenkommt, denn ich hatte nichts Beleidigendes geschrieben. Es war eine Hommage an ihn. Sie haben mir dann einen Riesen-Rosenstrauß als Entschuldigung geschickt. Ich habe meine Mitarbeiterin ins Schokomuseum geschickt und ihr abverlangt, dass sie ihn den Verantwortlichen vor die Füße wirft – wie jetzt in Thüringen. Hat sie gemacht. Da waren wir quitt. Aber das ist längst vergessen. Heute lachen wir drüber.

Wie ist es denn generell um die Kultur in Köln bestellt?

Desaströs. Köln hat sich so sehr zum Nachteil verändert. Ich wohne hier seit 1987, ich habe diese Stadt geliebt und bin deshalb hergezogen. Wir hatten eine irrsinnige Musikszene. Und jetzt haben wir noch Höhner und Paveier. Ich sag nichts gegen die, das sind nette Menschen, aber es hat etwas aufgehört. Über die Oper müssen wir gar nicht reden, so entsetzlich ist das. Ich habe zwölf Jahre für die Oper gearbeitet und mir war immer klar, dass man das nicht sanieren kann. Der Platz reicht niemals. Und jetzt sitzen sie auf 800 Millionen Euro, und es wird scheiße. Aber auch die künstlerische Leitung der Oper ist desaströs. Unter Laufenberg war was los. Aber jetzt? Man hört und sieht nichts mehr.

Sehen Sie gar nichts Gutes?

Die Philharmonie ist toll. Dafür bin ich dankbar. Aber ansonsten ist Köln schlampig, dreckig, planlos. Ich geh kaum noch irgendwohin. Die Stadt interessiert mich nicht mehr. Da stürzt das Stadtarchiv ein, das Gedächtnis der Stadt, und was sagen die Kölner? Et hätt noch schlimmer kumme künne. Haben die sie noch alle? Irgendwann stürzt der Dom ein und sie sagen: Watt fott es, es fott. Ich habe große Wut auf Köln, eben weil ich es so liebe. Am liebsten würde ich wegziehen, mache ich aber nicht. Ich bleibe hier und rege mich auf.

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