Max Richard LeßmannSylt-Roman mit Promi-Unterstützung

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Max Richard Leßmann.

Max Richard Leßmann.

Max Richard Leßmann wurde mit den Sozialen Medien groß - mit "Sylter Welle" beweist er, dass er auch Romane schreiben kann. 

Knapp 120.000 Menschen folgen Max Richard Leßmann bei Instagram, wo er seit Jahren fleißig Gedichte postet. Manchmal sind es nur ein paar Zeilen („Wenn du es/Nur aus Angst tust/Dann tu es lieber nicht. Oder: Du hörst das Lied/Das in mir spielt/Das niemand sonst bemerkt), die aber offenbar einen Nerv treffen – irgendwoher müssen die ganzen Follower schließlich kommen.

Und so geschah etwas sehr Seltenes auf dem deutschen Buchmarkt. Ein großer Verlag (Kiepenheuer&Witsch) veröffentlichte das Debüt des Anfang 30jährigen. Kein Roman, keine Erzählungen, sondern Gedichte. Eigentlich Kassengift, erst recht bei einem auf dem Buchmarkt unbekannten Autor - aber in Zeiten der Follower gelten eben andere Gesetze. Für die Liebe genauso wie für Lyrik: Leßmanns in regenbogenfarben gebundener Band  namens „Liebe in Zeiten der Follower“ schaffte es auf die Spiegel-Bestsellerliste.

Genauso hieß übrigens auch schon ein Soloalbum, das er 2017 veröffentlichte, davor wurde er ein ganz bisschen bekannt als Sänger der Band „Vierkanttretlager“. Und jetzt also ein Roman. Der heißt „Sylter Welle“ und  das Erscheinen wurde öffentlichkeitswirksam orchestriert von einem Duett mit Ina Müller („Ich liebe Dich bestimmt/bis Sylt im Meer versinkt“)  und einem Blurp von Herbert Grönemeyer auf der Buchrückseite.

Wie viele andere Verlage auch hat Kiepenheuer&Witsch erkannt, wie praktisch es ist, wenn neue Autoren schon eine Fanbase aus den Sozialen Medien mitbringen. Die müssen dann auch nicht verzweifelt mit Exposés hausieren gehen, sondern werden gezielt angesprochen, ob sie nicht mal ein Buch schreiben möchten. Sebastian Hotz (El Hotzo) zum Beispiel, Sophie Passmann oder eben auch Max Richard Leßmann. 

Was das Marketing angeht, könnte es also gar nicht besser laufen, schließlich hat man so nicht nur die Follower sondern auch noch die Sylt-Enthusiasten als Käuferschicht erschlossen, die schon alle Sylt-Krimis ausgelesen haben - und bestenfalls auch noch Grönemeyer- und Müller-Fans.  

Eine Liebeserklärung an die Insel

Und tatsächlich gibt es schlechtere Urlaubslektüre. Es ist ein zutiefst nostalgisches und leise melancholisches Buch geworden und ganz nebenbei natürlich eine Liebeserklärung an die Insel.

Max Richard Leßmann schickt seinen Ich-Erzähler mit den Großeltern nach Sylt. Und blickt gleichzeitig auf die vielen früheren Reisen mit ihnen zurück. Das hat anfangs etwas von einem  „Mein schönstes Urlaubserlebnis“-Aufsatz, zumal Ich-Erzähler und Autor in der Autofiktion verschwimmen. Beide heißen Max, sind in Husum an der Nordsee aufgewachsen und leben heute in Berlin. Doch Max Richard Leßmann - der Autor - beherrscht die Kunst, das Belanglose, das Alltägliche sprachlich zu verzaubern. Also, zumindest als Romancier.

Er erzählt so stilsicher, dass man tatsächlich gerne mehr als 200 Seiten diesem komplett unspektakulären Plot („Ich und meine Großeltern machen Urlaub auf Sylt“) folgt. Und die oft barsche Oma Lore und den überschwänglichen Opa Ludwig wirklich kennen lernen möchte. Tiefer eintauchen will in diese Familiengeschichte, hinter der mehr steckt als verklärte Kindheitserinnerungen.

Max Leßmann schreibt witzige, lebensnahe Dialoge

Max Leßmann schreibt witzige, lebensnahe Dialoge. „Ich nehme ganz bestimmt nichts. Das brauche ich auch gar nicht. Ich war ja in meinem Leben noch nicht krank. Mich müssen sie irgendwann totschlagen“, sagt die Oma trotzig, die schon zwei Mal Krebs hatte. Und Leßmanns Ich-Erzähler betrachtet sich mit angenehmer Selbstironie. "Ich hatte in den wenigen Monaten über 1000 Euro ausgegeben, nur um mich vollkommen wertlos zu fühlen" endet eine Episode über eine Ex-Freundin, der zuliebe er haufenweise weiße T-Shirts kaufte. 

Dass das Buch bei allem Witz eher melancholisch stimmt, liegt nicht nur an den düsteren Kapiteln der Familiengeschichte: Die Tochter, die die Großeltern verloren haben, als sie anderthalb war. Die Depressionen des Ich-Erzählers. Der frühe Tod des geliebten Onkels.

Melancholisch macht vor allem die Erkenntnis, dass wir trotz aller Nostalgie die Vergänglichkeit nicht ignorieren können. Bei einem Spaziergang zur Strandmuschel taucht der Opa ewig nicht wieder auf. Bis der Ich-Erzähler ihn Ewigkeiten später verschämt auf einer Herrentoilette finet. Der stets souveräne Opa Ludwig traute sich nicht mehr aus der Kabine raus, weil er in die Hose gepinkelt hat. Der Rollentausch der Generationen ist unvermeidlich: Jetzt muss der Enkel zum Kümmerer werden. So schwebt das Alter, der Tod über all den scheinbaren Harmlosigkeiten. Und die Gewissheit, dass sich die Zeit nicht anhalten lässt - außer ganz kurz mal mit einem Roman.


"Sylter Welle", Kiepenheuer&Witsch, 224 Seiten, 22 Euro, E-Book 19,99 Euro.

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