Mit Tendenz zum aktiven Verschweigen

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Er bekennt sich zur Schuld der Deutschen an der Ermordung von sechs Millionen Juden. Er tut dies bewusst auf Englisch – nicht in der Sprache der einstigen Richter und Henker. Am selben Abend redet in der Kölner Philharmonie WDR-Moderator Uwe Schulz munter von „deutschem Wesen“ und dem typisch deutschen Hang zu Innerlichkeit, Musik und Wald. Leicht ironisch umflort ließ er alles Deutschtümeln letztlich unwidersprochen. Die Koinzidenz der Ereignisse in Köln und Jerusalem hatte man nicht geplant. Das war jetzt einfach auszuhalten.

„Die deutscheste aller Künste“

Anschließend hielt Thea Dorn ihren Vortrag „Musik: Weltkultur oder die deutscheste aller Künste“. Die Schriftstellerin zitierte aus Thomas Manns Washingtoner Vortrag „Deutschland und die Deutschen“ von 1945, in dem der US-Bürger seinen ehemaligen Landsleuten einen „Drang zum Dämonischen“, mithin zur Musik attestierte. Polyglott reihte die Autorin weitere Zitate von und über große deutschsprachige Musiker. Über ihr eigenes Verhältnis zu Musik, Wagner und dem „deutschen Wesen“ schwieg sie sich jedoch aus. Auch verlor sie kein Wort über Wagners glühenden Antisemitismus. Diese unbedachte Nicht-Erwähnung tendierte zum aktiven Verschweigen angesichts des aktuellen Holocaust-Gedenkens und der nachfolgenden Aufführung eines symphonischen Medleys aus „Der Ring des Nibelungen“. Das durfte nicht unkommentiert bleiben. Und so erwähnte Moderator Schulz im zweiten Konzertteil dann doch Steinmeiers Rede. Mehr lavierend als erhellend verschwurbelte er das „deutsche Wesen“ nun zu einer peinlichen „Verbindung aus Liebe und Grauen“. Das WDR Sinfonieorchester spielte unter Cristian Macelaru an vielen Stellen zerdehnt, breiig, zu laut, unpräzise, farblich stumpf. Eröffnet hatte man den Abend mit „Drei Kontinente“, einem für Jan Vogler geschriebenen Konzert für Violoncello und Orchester. Dessen drei Sätze boten freilich weder amerikanisches, deutsches oder chinesisches „Wesen“, sondern bloß eine Ansammlung musikalischer Klischees, mit denen die drei Komponisten die Erwartung eines bestimmten Nationalstiles zu erfüllen suchten: tönende Ideologie.

Thea Dorn

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