Model und Aktivistin Phenix Kühnert„Trans sein ist kein Trend“

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Phenix Kühnert

Sie sind als Influencerin in den sozialen Medien aktiv - wie sehen Sie da Ihre Rolle zwischen Unterhaltung und Aufklärung?

Phenix Kühnert: Ich bin irgendwie automatisch in diese aufklärerische Position geraten, weil ich in den sozialen Medien einfach über Themen berichtet habe, die mich in meinem Alltag beschäftigen. Und ich will natürlich auch aufklären, das ist auch das Ziel meines Buches. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, ich sehe das jetzt auch als mein Werk, was dann auch  vollbracht ist. Damit habe ich erstmal die ernsthafte Rolle meiner selbst ausgefüllt und danach wird es dann auch hoffentlich wieder ein bisschen spaßiger.

Sie sind 26 Jahre alt und seit Sie 14 sind selber präsent in den sozialen Medien. Wie hat Sie das geprägt? 

Tatsächlich ist es für mich so, dass die sozialen Medien zu einem sehr großen Selbstbewusstsein geführt haben. Nicht, weil ich mich selbst so unglaublich toll finde, sondern einfach im Wortsinn: sich selbst bewusst zu sein. Ich weiß, wie ich rede, ich weiß, wie ich sitze, weiß wie ich lache, weil ich natürlich ganz viele Video-, Foto- und Tonaufnahmen von mir kenne. Das hat mir ganz viel gebracht tatsächlich.  

Das heißt, Sie haben auch als sehr junger Mensch die sozialen Medien vor allem als etwas Positives erlebt? 

Auf jeden Fall! Vor allem in meiner Generation und gerade bei Menschen, die wie ich nicht in großen Städten aufgewachsen sind. Da gab es viele von uns, die nicht so richtig in die Norm gepasst haben und dann die Flucht ins Internet gesucht haben. Und da haben wir dann Gleichgesinnte gefunden - und plötzlich waren wir nicht mehr die Außenseiter. Als sich irgendwann abzeichnete, was alles im Internet geht, hat sich dieses Klima natürlich auch extrem verändert. 

Wenn man sich schon sehr jung aus der Perspektive einer Kamera betrachtet – erhöht das nicht den Druck, sich selbst zu optimieren? 

Ich habe ja tatsächlich schon Dinge an mir optimieren lassen - auch wenn das jetzt nicht so riesige Eingriffe waren. Aber das Gefühl kenne ich schon: Als Kind oder sehr junger Mensch hatte ich so richtig einen Bauplan, was ich an mir alles verändern möchte. Ich glaube aber, dass das Anschauen vieler Fotos und Videos sogar eher dazu geführt hat, dass ich selbst ziemlich genau weiß, wie ich aussehe und mich dadurch einfach daran gewöhnt habe. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch jetzt noch Dinge gibt, die ich gerne ändern würde.

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Wie sehr sind Sie von gängigen Schönheitsidealen beeinflusst? 

Ziemlich stark – unter anderem, weil ich ja lange auch als Model gearbeitet habe und das ab und zu auch immer noch mache. Ich finde, es hat eine ganz interessante, kraftvolle Wirkung, wenn ich als trans Frau diese absurden Schönheitsideale der Gesellschaft erfüllen kann. So als kleiner Mittelfinger.

Ist das nicht auch ziemlich stressig, diese – wie Sie selbst sagen – absurden Ideale zu erreichen?

Was mir tatsächlich total viel geholfen hat, ist, in den sozialen Medien Dinge zu teilen und auch darüber zu sprechen. Dabei ist mir auch bewusst geworden, dass manche Probleme, die ich mit meinem Körper habe, auch viele cis Frauen teilen -  also Frauen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. Und ich finde, das hat etwas was ganz Verbindendes. Außerdem finde ich inzwischen auch wieder mehr Gefallen an den Dingen, die bei mir von Schönheitsideal abweichen. Weil das mich auch irgendwie besonders macht. Aber so entspannt kann ich da leider nicht an jedem Tag mit umgehen. 

Sie machen kein Geheimis daraus, dass Sie nicht einfach eines Morgens so aufgewacht sind, wie Sie jetzt aussehen.

Mir ist es total wichtig, offen damit zu sein, was an meinem Gesicht nicht natürlich ist – dass zum Beispiel meine Lippen aufgespritzt sind. Zum Beispiel gibt es dazu bei Instagram ein Story-Highlight. Weil mir total wichtig ist, dass vor allem junge Menschen verstehen, dass bei keinem Menschen komplett natürlich das passieren kann, was bei mir in den vergangenen fünf Jahren passiert ist.

Lange Haare, hohe Absätze, Röcke, Kleider und viel Make-up - woher kommt es, dass manche trans Frauen besonders feminin wirken wollen?

Da möchte ich eigentlich gar nicht so viel über andere sprechen, sondern nur über mich selbst. Und ich weiß, dass Make-up et cetera helfen können, dass mich Menschen als Frau lesen.  Und ja, es ist auch eine Art Schutzschild. Das sind Dinge, von denen mir die Gesellschaft so viele Jahre verwehrt hat, sie selbstbewusst tun und haben zu können.  Am Anfang habe ich natürlich erstmal alles genommen, was ich kriegen konnte: Lashes, Nails, Haare... Mittlerweile bin ich wieder relativ natürlich unterwegs. Auch, wenn ich es nach wie vor liebe, ich mich aufwendig zu stylen - aber eben nur, wenn die Zeit da ist. 

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Die Feministin Alice Schwarzer hat gerade eine sogenannte „Streitschrift“ zum Thema Transsexualität herausgebracht. Darin will sie warnen vor „dem aktuellen Trend, bereits Geschlechterrollenirritation für »Transsexualismus« zu halten.“

Erstmal finde ich es einen interessanten Fakt, dass Menschen, die überhaupt nicht betroffen sind, ganze Bücher darüber schreiben. Ich diskutiere mit solchen Menschen gar nicht, weil sie mir meine Lebensrealität absprechen und das ist Diskriminierung und keine Meinung.

Trans sein als „Trend“ – sicher eine krasse These für jemanden, der so sehr damit zu kämpfen hatte wie Sie und viele andere.

Und wenn man sich das Leid anguckt, von ganz vielen trans-Menschen in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten. Wenn man sich anschaut, wie hoch die Suizidrate ist oder wie viele immer noch auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Das zeigt doch, dass wir den Zugang zu medizinischer Begleitung so einfach wie möglich machen müssen, damit möglichst viele Menschen, die das wollen, diesen Weg leben können. Ich verstehe nicht, woher diese Angst kommt, dass Trans sein ein Trend ist. 

Wie stehen Sie zum Feminismus? 

Ich bin Feministin und die Definition von Feminismus ist für mich die Gleichstellung aller Geschlechter. Und Menschen, die das nicht verstehen und nicht leben, sind in meinen Augen auch keine Feminist*innen. 

Was bedeutet es für Sie, Frau zu sein? 

Ich habe über diese Frage schon viel nachgedacht und ich glaube, es ist am Ende etwas ganz, ganz Individuelles. Ich habe für mich gelernt, dass ich anfangs das Frau-Sein für etwas sehr Oberflächliches gehalten habe. Weil das Oberflächliche für mich aber auch die ersten Schritte Richtung Weiblichkeit waren. Heute aber habe ich verstanden, dass Frau zu sein viel mehr ist als das. Äußerlichkeiten sind auf der einen Seite wichtig, und auf der anderen Seite total unwichtig. Das ist und bleibt für mich ein Paradox.

Veranstaltung in Köln

Am Freitag, 22. April kommt Phenix Kühnert im Rahmen der c/o pop Convention um 16.20 Uhr ins Herbrands in Köln Ehrenfeld.

Ihr Buch „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“ ist im Haymon Verlag erschienen (224 Seiten, 19,90 Euro).

Männer und Frauen – vor hundert Jahren hätten wir uns leichter damit getan, Geschlechterrollen klar zu definieren… 

Wenn man die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte betrachtet, sieht man auch, wie diese Geschlechter-Zuschreibungen sich gewandelt haben. Seien es hohe Schuhe, die früher Männlichkeit und Macht standen - genauso übrigens wie Make-up und Perücken. Das zeigt doch einfach nochmal, wie sehr dieses binäre Geschlechter-Konstrukt eben auch einfach nur das ist: ein Konstrukt - und manchmal gar nicht viel mehr als das. 

Hat die Arbeit an Ihrem Buch für Sie etwas verändert? 

Ich habe das Buch im Haus meiner Eltern geschrieben, weil ich irgendwie in Berlin überhaupt nicht dazu gekommen bin. Und währenddessen habe ich oft, wenn nicht sogar jeden Morgen mit meiner Mutter kurz gesprochen: Wo stehe ich gerade, worüber schreibe ich gerade? Es geht ja auch viel um meine Kindheit und Jugend. Und da fand ich es total interessant, dass wir teilweise ganz andere Erinnerungen an konkrete Ereignisse haben. Was aber für mich vollkommen in Ordnung ist, denn jeder Mensch hat eine eigene Wahrheit. Weil wir alle Dinge unterschiedlich wahrnehmen, vergessen oder verdrängen. Und das war für mich eine ganz große Erkenntnis aus meinem Schreib-Prozess, die für mich auch heute - und nicht nur retrospektiv - ganz viel bringt.

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