Nach der KatastropheNobelpreisträgerin Olga Tokarczuk bei der Kölner lit.Cologne

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Olga Mannheimer (l.) und Olga Tokarczuk in den Balloni-Hallen.

Olga Mannheimer (l.) und Olga Tokarczuk in den Balloni-Hallen.

Köln – Sie bitte um Nachsicht, sagte Olga Tokarczuk zu Beginn ihres Auftritts in den Balloni-Hallen am Samstagabend. Durch die Pandemie sei sie verwildert und nicht sicher, ob sie auf der Höhe eines intelligenten Podiumsgespräch sei. Doch die Sorge war unbegründet, die polnische Literaturnobelpreisträgerin präsentierte sich bei dieser Lesung im Rahmen der Sonderausgabe der lit.Cologne bestens gelaunt und auskunftsfreudig, gestoppt mitunter nur von der versierten Moderatorin Olga Mannheimer, die das Gespräch das ein oder andere Mal in andere Richtung lenken wollte als die Schriftstellerin. Aber es war ein freundlicher Schlagabtausch der beiden, den Milena Karas durch ihren Vortrag verschiedener Essay-Auszüge begleitete. Sehr viele der polnischen Sprache mächtige Zuschauer waren nach Ehrenfeld gekommen, das wurde schnell klar. In ihrer Heimat ist die 59 Jahre alte Tokarczuk eine wichtige, respektierte Stimme im öffentlichen Diskurs. Der rund 100-minütige Streifzug durch ihr Werk war vielschichtig, an manchen Stellen scheinbar sprunghaft, aber dennoch immer einem großen Bogen folgend.

Den stellte Mannheimer schon gleich zu Beginn dar, als sie sagte, Tokarczuks großes Talent sei die Kunst, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammenzugehören scheinen. Das Profane und das Heilige, der polnische Katholizismus und das Judentum.

Als lesendes Mädchen habe sie es immer schwer gefunden, in der Weltliteratur Identifikationsfiguren zu finden. „Es ist eine Männerwelt“, so die Autorin und Psychologin. „Geschichte beschäftigt sich mit Männern, weil sie von Männern geschrieben wird“. Frauen seien oft Nebenfiguren in der Literatur, ausgeschlossen von dem Fest, dass das Leben darstelle. Als sie begann zu schreiben, war es ihr wichtig, Gerechtigkeit herzustellen, um so zu einem Gleichgewicht zu kommen.

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Mit dem Begriff „Frauenliteratur“ könne sie dennoch nichts anfangen. Bei ihrem eigenen Erzählen komme die Stimme aus viel tieferen Schichten der menschlichen Psyche, wo das Geschlecht keine Rolle spiele.

Eine große Gefahr unserer Zeit sei der „Buchstäblichkeitsdrang“. Wegen der zunehmenden Komplexität der Welt sei der Wunsch vieler – gerade auch populistische Politiker ihrer Heimat – groß, Dingen nur eine Lesart zuzuschreiben, sie einzuengen. Ein Regenbogen sei früher mehrfach codiert gewesen, im heutigen Polen sei er zu einer Bedeutung geschrumpft. Er sei zum Hassobjekt vieler geworden, zur Flagge des Feindes, Sinnbild der LGBTQ+-Community, das es zu bekämpfen gelte. Die Aufgabe der Literatur sei es, diese Begrenzung des Geistes zu durchbrechen. Durch Empathie müsse man aus der eigenen Welt hinaus- und in die Welt eines anderen hineintreten.

Herta Müller zu Gast

Am Donnerstag ist eine weitere Literaturnobelpreisträgerin bei der Sonderausgabe der lit.Cologne zu Gast. Im Gespräch mit Ernest Wichner spricht Herta Müller über ihre jüngste Veröffentlichung „Der Beamte sagte“. Infos und Tickets zu dieser und allen anderen Lesungen unter

litcologne.de

Wie der Nobelpreis ihr Leben verändert habe, wollte Mannheimer von Tokarczuk wissen. Die Situation sei verwirrend gewesen. „Das Leben ist sehr turbulent geworden“, so die Schriftstellerin. Aber sie habe beschlossen sich mit dieser Stockholmer Katastrophe, wie ihre Landsfrau Wisława Szymborska den Preis nannte, abzufinden. Jetzt gehe es ihr darum, sich wieder auf das Schreiben zu konzentrieren.

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