Netflix-DokuWer hat Detlev Rohwedder erschossen?

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Günther Classen, Kriminalreporter beim Düsseldorfer „Express“, war als erster Journalist am Tatort.

Günther Classen, Kriminalreporter beim Düsseldorfer „Express“, war als erster Journalist am Tatort.

  • Am Ostermontag 1991 wurde Detlev Rohwedder, der Chef der Treuhandanstalt, in Düsseldorf erschossen.
  • „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ streut Zweifel an der Täterschaft der Roten Armee Fraktion.
  • Vor allem aber zeigt die erste in Deutschland produzierte Netflix-Doku, warum sich die Ostdeutschen damals als Verlierer der Wiedervereinigung fühlten.

Köln – Ein Handtuch, über einen Plastikstuhl geworfen. Ein Haar, das im Handtuch hängt. Ein Feldstecher, drei Patronenhülsen, drei Zigarettenstummel und ein Bekennerschreiben mit dem Zeichen der Roten Armee Fraktion.

Das sind die einzigen Hinweise, die der oder die Mörder in einem Schrebergarten im Düsseldorfer Stadtteil Niederkassel zurückgelassen haben. Und die zu den Hülsen passenden Projektile, die in 63 Meter Entfernung durch ein Fenster in das Arbeitszimmer von Detlev Karsten Rohwedder einschlugen.

Die dritte Kugel traf ein Bücherregal. Die zweite den Arm von Rohwedders Frau Hergard. Die erste tötete den Präsidenten der Treuhandanstalt und damit den Chef der größten Industrie-Holding der Welt.

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Als solcher wird der am Ostermontag des Nachwendejahres 1991 ermordete Manager in der Netflix-Dokumentation „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ bezeichnet. Mit dem mokanten Zusatz, dass jedes einzelne der 15000 Unternehmen der Ex-DDR, die unter Rohwedders Leitung privatisiert werden sollten, ein Sanierungsfall war. Eine Riesenaufgabe also. Und keine, bei der man sich Freunde macht.

Trotz RAF-Bekennerschreiben: Der Mord gilt bis heute als unaufgeklärt. Ein perfektes Verbrechen nennt es beinahe bewundernd einer der damaligen Ermittlungsbeamten und hat dem Vierteiler damit auch gleich seinen internationalen Titel gegeben: „A Perfect Crime“.

True Crime

Die Doku-Reihe von Produzent Christian Beetz und den Regisseuren Georg Tschurtschenthaler und Jan Peter ist die erste, die in Deutschland für den Streaming-Dienst produziert wurde. Im Ausland konkurriert sie nun mit anderen True-Crime-Serien wie „Making a Murderer“ oder „The Staircase“ und macht sich dabei im Vergleich gar nicht mal schlecht. Auch wenn der Fall hier selbstredend nicht überraschend am Ende gelöst wird.

Tschurtschenthaler und Peter stellen das Verbrechen in drei sich widersprechenden Spielszenen nach: Die erste zeigt ein RAF-Terroristenpaar, die zweite eine militärische Operation von ehemaligen Stasi-Agenten, die dritte Auftragskiller mit eigenem Aufräumkommando, das sorgfältig die später gefundenen Hinweise hinterlegt. „Aktenzeichen XY … ungelöst“ trifft Kurosawas „Rashomon“.

Drei Theorien

Jede Theorie hat ihren Gewährsmann: Der BKA-Terrorbekämpfer ist sich sicher, dass die dritte Generation der RAF den Anschlag verübt hat. Ein Kriminaloberrat fragt „Wem nutzt es?“ und hält die Stasi für die Antwort. Der Kriminalist Bernd Wagner, bekannt durch sein Engagement gegen Rechtsradikalismus, kann sich vorstellen, dass der Chef der Treuhand von westdeutscher Seite geopfert wurde. Als Sündenbock, um den Einheitsgegnern im Osten zu sagen: „Euer Gesellschaftsbild führt in den Tod“.

Und Günther Classen, Kriminalreporter beim Düsseldorfer „Express“ und als erster Journalist am Tatort, denkt, dass der Generalbundesanwalt und das BKA der Auflösung der Tat viel näher sind, als wir glauben. Weder für die Stasi- noch für die Profikiller-Vermutung gibt es schlüssige Beweise, es ist wohl dem True-Crime-Format geschuldet, dass die Filmemacher diesen Spekulationen so viel Platz einräumen.

Die ostdeutsche Psyche

Denn eigentlich haben sie noch eine ganz andere und spannendere Geschichte zu erzählen: Die von den bis heute nicht vernarbten Wunden, welche die Wiedervereinigung in die Psyche der Ostdeutschen geschlagen hat. „Der Wert der DDR war Null“, sagt Thilo Sarrazin, der damals als Referatsleiter im Finanzministerium ein Konzept für die Währungsunion erstellte.

Eine Einschätzung, die exakt so bei den Menschen ankam. Zu den erschütterndsten Szenen der Doku gehören Ausschnitte aus einer Umfrage unter Arbeiterinnen, die nun vor den Trümmern ihres Lebens stehen, nicht weiter wissen und heulend vom Suizid als letzter verbliebener Möglichkeit sprechen.

Schmierentheater

Dem gegenüber stehen kurze Gespräche mit westdeutschen Unternehmern, die 1990 von einem Kamerateam im Foyer der Berliner Zentrale der Treuhandanstalt abgefangen werden. Sie wollen nicht verraten, was sie hier machen, glucksen dabei jedoch so überdeutlich vor Gier, dass man es jeder schauspielerischen Nachstellung als Schmierentheater angekreidet hätte: Das ist die dunkle Seite der deutschen Einheit, ein Glücksfall der Geschichte, für manche aber auch ein wahres Verbrechen.

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