Das Ensemble Nevermind präsentierte in Köln eine Kammermusik-Version von Bachs Goldberg-Variationen - ein außergewöhnliches Musikerlebnis.
Nevermind-Ensemble mit Bachs Goldberg-VariationenReise in ein anderes Zeitempfinden

Das Barockensemble Nevermind stellte in der Kölner Philharmonie seine eigene Fassung von Bachs Goldberg-Variationen vor
Copyright: Clément Vayssières
Für Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen interessieren sich nicht nur die Pianisten und Cembalisten. Von der 1741 veröffentlichten „Aria mit 30 Veränderungen“ gibt es unzählige Bearbeitungen - für Gitarrenduo, Streichtrio oder Blockflötenquartett, für Orgel, Marimbaphon oder ein ganzes Orchester. Der Komponist selbst hat in dem vielgestaltigen Wunderwerk unterschiedliche Gattungen und Besetzungen imitiert, so liegt es nahe, diesen Spuren auch in der Musizierpraxis zu folgen.
Das Barockensemble Nevermind stellte in der Kölner Philharmonie seine eigene Fassung vor, die vor einigen Monaten auch auf CD erschienen ist. Die Besetzung mit Traversflöte (Anna Besson), Barockvioline (Louis Creac’h), Viola da Gamba (Robin Pharo), Cembalo und Truhenorgel (Jean Rondeau) überführt das Stück in gängige Formate barocker Kammermusik, was sich zweifellos anbietet: Etliche der Variationen folgen dem Muster der barocken Triosonate - zwei Oberstimmen werden von einer Basslinie getragen; das Tasteninstrument tritt mit improvisiertem Generalbass-Spiel völlig stilgerecht hinzu.
Exzeptioneller Rang der Aufführung
Vor allem in den neun Kanons, die den Zyklus sinnfällig gliedern, waren die klar unterscheidbaren Timbres von Flöte, Violine und Gambe für das Strukturverständnis äußerst hilfreich. Weniger überzeugend wirkte das Arrangement da, wo der Komponist ganz unmittelbar aus der pianistischen Physis schöpft - so etwa in den Nummern 20 und 29, in denen die Klavierhände beständig alternieren. Diese Variationen hätte man besser dem Tasteninstrument allein überlassen, das an anderer Stelle zu Recht schwieg, um das reine Spiel der Linien nicht zu stören (11, 17, 23).
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Wer den geheiligten Text eines Meisterwerkes bearbeitet, macht sich immer angreifbar, das ist klar. Das ändert aber nichts an dem exzeptionellen Rang der Aufführung, die über pausenlose 100 Minuten hinweg von einem Maximum an spieltechnischer Qualität, innerer Sammlung und subtiler Kommunikation getragen war.
Geistig-sinnliches Exerzitium
Das Quartett riskierte Tempi, die auf dem Klavier oder gar dem Cembalo mit ihrem schnell verhallenden Ton kaum möglich wären. Die Variation 13 etwa dehnte sich zu einem schier endlosen Monolog der Flöte, die jede Wendung der wuchernden Oberstimme behutsam nachzeichnete. Hier wurde man völlig aus dem eigenen Zeitempfinden herausgenommen und in ein anderes hineingesetzt.
Für das eher bescheidene Klangvolumen barocker Kammermusik ist die Philharmonie fraglos nicht der ideale Raum. Manch kunstvolle Figuration war nur noch in ihren Umrissen, nicht mehr in ihren Einzeltönen wahrnehmbar. Und doch konnte sich das aufmerksame Ohr hier vieles erobern - man durfte sich aber nicht zurücklehnen und bedienen lassen, man musste die Musik aufsuchen und abholen, man musste aktiv einsteigen in jenes geistig-sinnliche Exerzitium, das sich da auf dem Podium vollzog. Wer das schaffte, hatte ein musikalisches Erlebnis, wie es der klassische Konzertbetrieb nicht alle Tage gewährt.
