Peter Kurth wird TV-Kommissar„Der Polizeiruf sollte die Leute ideologisch führen”

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Kommissar Michael Lehmann (Peter Schneider) und Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) am Tatort.

Halle – Herr Kurth, Sie haben in Ihrer Karriere im Krimi-Genre schon fast alles gespielt: Mörder, Kommissare, mordende Kommissare. Was interessiert Sie so sehr an dem Genre?

Peter Kurth: Das ist erstmal ganz pragmatisch: Arbeit (lacht). Und abgesehen von der Suche nach dem Täter werden in diesen Formaten auch, wie in anderen Filmen, Geschichten erzählt. Das gilt natürlich auch für den Polizeiruf. Hier geht es oft nicht um die große Tat, sondern um das Milieu, die Menschen und die Stadt. Das interessiert mich.

Der „Polizeiruf 110“ steht ja oft etwas im Schatten des „Tatort“. Was ist sein Alleinstellungsmerkmal?

Zunächst sehe ich das nicht so, dass der „Polizeiruf“ im Schatten des „Tatort“ steht. Der „Polizeiruf“ kommt aus der DDR und war einmal die Antwort auf den „Tatort“. Er wurde mit dem Ziel eingesetzt, die Leute ideologisch zu führen und zu beeinflussen. Die DDR ist mit ihren Kapitalverbrechen sehr zögerlich umgegangen, weil es hieß, im Sozialismus gibt es keine Verbrechen wie Mord. Das wurde alles totgeschwiegen, und das funktionierte im „Polizeiruf“ eben nicht. Der brauchte als Krimi einen Konflikt wie zum Beispiel einen Mord. Da der Mord jedoch ein Ausnahmefall war und bleiben sollte, wurden die eher kleinen Fälle genommen: Alkoholismus, Betrügereien.

Welche Folgen hatte das?

Damit haben sie aber dem Thema eine Bühne gegeben. Der Täter ist dann irgendwann an den Punkt gekommen zu erklären, warum er das macht. Das sagt dann eben doch etwas über die Gesellschaft aus. Unfreiwillig wurde es so dann teilweise subversiv. Da es so erfolgreich war, hatte man auf diesem Sendeplatz sehr viel mehr Freiheiten als üblich.

Sie haben sowohl im „Tatort“ als auch im „Polizeiruf“ gespielt. Wie sehen Sie das Verhältnis der Formate heute?

Der „Polizeiruf“ ist der kleine Bruder vom „Tatort“ wird ja oft gesagt. Damit kann ich nichts anfangen. Kann man sie überhaupt vergleichen? Das ist sehr schwer, weil beide mit einem unterschiedlichen Konzept und in unterschiedlichen Gesellschaftsformen angetreten sind. Jeder hat seine Eigenheiten. Dass der „Polizeiruf“ überlebt hat, hat mit seiner Qualität zu tun.

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Fest steht, dass Deutsche Krimis – auch jenseits von „Polizeiruf“ und „Tatort“ – lieben. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das so ist?

Ein Kriminalfall ist immer ein Verstoß gegen die Konvention, das System, das Gesetz. Es gibt einen Knall, an dem kann man sich orientieren und die Geschichte aufdröseln. Er ist ja immer ein Verdichter. Und es ist nach wie vor ein Indikator für den Zustand einer Gesellschaft. „Tatort“ und „Polizeiruf“ versuchen im Hier und Jetzt zu sein. Das ist der Versuch, die Zeit zu begreifen. Außerdem ist es natürlich auch ganz profan der Spaß daran, Rätsel zu lösen.

Sie sind im Fall „An der Saale hellem Strande“ erstmals als Henry Koitzsch zu sehen. Er ist ein sehr widersprüchlicher Charakter. War das das Reizvolle an dieser Figur?

Beim widersprüchlichen Charakter bin ich schon dabei. Das reicht aber natürlich noch nicht. Im Fall von Henry kommt einiges zusammen: Wir sind beide gleich alt und das sagt schon etwas aus. Als die Wende kam, habe ich schon als Schauspieler gearbeitet, war Anfang 30. Auch Henry hatte sich schon orientiert, hatte einen Platz in der Gesellschaft.

Und dann war plötzlich alles anders?

Ja, das Bekannte fiel auf einmal weg, und man musste sich umorientieren. Die Frage war, was man nun machen will. Ich habe mich damals erstmal entschieden, vor Ort zu bleiben. Und das ist bei Henry auch so. Ihn heute zu zeigen, mit einem Weg, den ich kenne, aber den er anders gegangen ist mit all seinen Verfehlungen und Sehnsüchten, das bleibt die Aufgabe.

Dieser Krimi zeigt, wie mühsam die Suche nach den Tätern ist. Wie realitätsnah muss ein Krimi sein?

Wir versuchen mit unserem neuen „Polizeiruf“ zu zeigen, welche Mühen die Kommissare wirklich haben. Die setzen sich nicht jeden Tag ins Auto und verfolgen reifenquietschend Verbrecher. Wir wollen zeigen, was den Großteil der Arbeit ausmacht – zum Beispiel eben auch eine Funkzellenauswertung. Das heißt, die Leute kommen zu lassen, zermürbender Papierkram, das Wissen, wenn wir auch so nichts finden, wird es ein Cold Case. Diese Mühen wollen wir zeigen, und das Ganze dennoch gleichzeitig in eine Überhöhung bringen und eine Form finden, dass daraus nicht eine Abbildung der Realität wird, sondern darüber hinausgeht. Ich bin gespannt, wie es ankommt.

Haben Sie lange überlegt, die Rolle zuzusagen? Man verpflichtet sich ja für einen längeren Zeitraum.

Ja, ich habe natürlich überlegt, aber hier passte sehr viel zueinander, da von Anfang die Konstellation mit Thomas Stuber, Clemens Meyer und Peter Schneider feststand. Und im Endeffekt geht es darum, Geschichten so zu erzählen, dass man mitmachen will und Leute trifft, die sich gegenseitig anstacheln. Dann ist die Chance groß, dass man gute, schöne, tiefe Geschichten erzählen kann. Und manchmal ist es dann auch egal, ob es ein Kommissar ist oder eine andere Rolle.

Das Jubiläum

Der „Polizeiruf 110“ wurde in der DDR als Konkurrenz zum westdeutschen „Tatort“ gestartet. Nun wird er 50 Jahre alt, was die ARD mit der Folge „An der Saale hellem Strande“ feiert, der am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten läuft.

Darin spielt Peter Kurth zum ersten Mal Kommissar Henry Koitzsch. Dieser ermittelt gemeinsam mit seinem Partner Michael Lehmann (Peter Schneider) in Halle. Peter Kurth (64) war schon in vielen Krimis zu sehen, hochgelobt wurde sein Spiel als krimineller Kommissar in „Babylon Berlin“. Für seine Darstellung in „Herbert“ gewann er 2016 den Deutschen Filmpreis. 

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