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Punk in Köln Teil II
„Musste feststellen, dass in Köln viele Leute aneinander vorbeileben“

10 min
Das Bild zeigt fanzine-macher rene bei einem Konzert in der Werkstatt, Köln. Foto: Torben Utecht / Allschools.de

Rene bei einer Show der Bostoner Hardcore-Band The Hope Conspiracy in der Werkstatt, Köln, 2010.

Mit der Corona-Pandemie hat sich die Hardcore-/Punkszene Kölns ein weiteres Mal neu erfunden. Ein Rückblick auf 40 Jahre Punk – zweiter Teil: Die Jahre 2000 - 2020.

„Es ist gerade ganz geil, weil die letzten Jahre, da sind wir uns eigentlich alle einig – die jungen Leute, die alten Säcke – so viel passiert ist. Während Corona haben junge Leute angefangen, sich mit Hardcore zu beschäftigen.“


Wir sitzen vor dem Theater im Bauturm, Aachener Straße, Kaffee auf dem Tisch. René, der heute das ‚Forced Narrative‘-Fanzine herausgibt, kommt Mitte der 90er mit Hardcore in Berührung; Anfang der Nullerjahre zieht er nach Köln und nimmt ein Studium auf. Im ‚Bürgerzentrum Ehrenfeld‘ habe es damals ab und zu Hardcore-/Punk-Shows gegeben, später, noch vor dem Umzug an die Luxemburger auch im ‚AZ‘, alles DIY, im ‚Underground‘ hingegen spielten die größeren Bands, vor allem Amis.

Überschaubare Szene in den Nullerjahren

„Früher gab es auch schon eine Szene in Köln, auch wenn die überschaubar war. Fünf, sechs Bands, wie Kingdom, Cobretti, My Defense, die etwas später dazu kamen, die was gemacht haben, vor allem Proberaum-Konzerte“, erzählt er.

Organisiert etwa unter dem Namen ‚Hit & Run-Shows‘ durch Leute von Cobretti und Jan aka Jaybeez, der heute bei ‚Weightless ‘singt. Ich erinnere mich an eines dieser Konzerte aus jener Zeit, keine Hardcore-Show, sondern ein Gig der Band ‚Turbostaat‘ in einem Proberaum in Zollstock. Etwa 2005 muss das gewesen sein, Pfeile auf Plakaten mit dem ‚Schwan‘-Motiv wiesen den Weg durchs Veedel.

„Wenn du ein, zwei Bands auf einem Festival gesehen hast, die dich begeistern, kannst du das vielleicht ein paar Jahre mitmachen. Aber wenn du drin bleibst und das sehe ich bei den Kids, dann spricht das irgendwas in dir an. Das ist etwas, dass ich total schätze und aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann“, beschreibt Mac die Begeisterung, die er bei jungen Hardcore-Fans in den vergangenen Jahren wahrgenommen hat.

Mac, Nils und ich sitzen vor der Asimmetric Bar in Ehrenfeld, um über die Punk-/Hardcore-Szene in Köln zu reden. In ihrer monatlichen Radioshow „Domcore“ auf 674.fm begleiten die beiden die Kölner Punk-/HC-Szene, zuvor moderierte Mac 20 Jahre die Sendung ‚Hellfire‘ auf Kölncampus.

„Wir haben neben dem Radio auch Konzerte veranstaltet, einmal im Jahr den Rockpalast im Radio gemacht – immer wenn wir Geburtstag hatten, gab es eine Show im ‚Sonic‘, für die wir auch Bands für kleines Geld bekommen haben. ‚Spermbirds‘ zum Beispiel und haben das dann live im Internet und über UKW übertragen. Das war mega – Leute sind Taxi gefahren, der Taxifahrer hat die Frequenz 100 eingestellt und dann ballerte da Live-Punkrock durch die Boxen. Dadurch hat sich unser Bekanntheitsgrad enorm vergrößert.“

Radio als Netzwerk

‚Hellfire‘ ist vor allem auch ins Leben gerufen worden, um ein Netzwerk zu schaffen – 2002 war das. „Wir bekamen mit, dass sich im ‚Sonic Ballroom‘, wo ich damals auch als einer der Ersten aufgelegt habe, eine ganz eigene Punk-Szene traf, die Leute da waren mehr so in Richtung Punk, Rock 'n' Roll, Garage-Rock, unterwegs. Im Rhenania gab es eine ganz andere Szene. Dann gab es noch die Deutschpunk-Fraktion, die gar kein richtiges Zuhause gehabt hat.“

Die Leute waren nicht miteinander vernetzt, also auch nicht aufeinander abgestimmt. Es sei oft so gelaufen, berichtet Mac, dass es wochenlang keine guten Konzerte gegeben habe und dann, an einem Tag gleich mehrere – weil niemand wusste, was die anderen machen.

Diese Zerfaserung der Szene, wie es sie in den 80ern gegeben hat, hat es später also nach wie vor noch gegeben – zum Teil auch stadtteilbedingt, denn wenn sich Leute beispielsweise in Ehrenfeld getroffen haben oder im Limes in Mülheim, sind sie oft nicht weiter als über ihr Veedel hinausgegangen. „Das war teilweise auch den Kommunikationswegen geschuldet. Viele semi-legale Sachen wurden unter Autobahnbrücken oder in Lost Places veranstaktet und die Infos darüber gingen dann nur an die Leute, raus, die man kannte. Da war das Internet ja noch nicht so verbreitet wie heute. Da gab’s Flyer und man kannte einen, der einen kannte und dem man das dann erzählt hat“, beschreibt Mac, wie sich früher Szene-Infos verbreiteten. Mac, 58, nimmt einen Schluck aus seiner fritz. Auf dem Arm zu sehen, das Logo der Band, die den Soundtrack zu einer juvenilen Selbstermächtigung lieferte, das Logo der wegweisenden US-Hardcore-Punk-Band ‚Black Flag.‘

Mac, der schon damals als freier Journalist arbeitet, und ein Freund initiieren die Radiosendung, spielen Musik lokaler Bands, laden sie ein – und sie haben freie Hand bei dem Hochschulradio.

„Kannte Leute, die waren eine Woche Punk und in der nächsten Skin“

Als er so jung gewesen sei, wie die Leute heute, erinnert sich Mac, da sei die Kölner Punk-Szene sehr verschrien gewesen, weil sie sehr gewalt-affin war. „Ich kannte Leute, die waren eine Woche Punk und in der nächsten Skin, nur, weil sie der jeweils anderen Seite aufs Maul hauen wollten. Du musstest selbst aufpassen, dass du nicht in irgendeine Hackerei hineingerätst. Das hat mich zwar nicht abgeschreckt, denn etwas Gefährliches hat ja auch einen gewissen Reiz, aber es war asi. Auch das war mit ein Grund dafür, warum mich Hardcore mehr interessiert hat – weil es dort auch nachdenkliche Stimmen gab, Leute, die sich leiser zu Themen geäußert haben.“

Ganz früher, da sei es immer nur darum gegangen, wer härter sei. Mit dem Hardcore hätten Bands begonnen, auch persönliche Themen in den Texten zu verarbeiten, es sei auch um eigene Befindlichkeiten gegangen, man habe sagen können „Scheiße, ich bin irgendwo verzweifelt und weiß nicht mehr weiter.“

In den 90er Jahren erlebt Hardcore einen ersten Höhepunkt, Major-Label signen alles, gerade die Vertreter des New York Hardcore, der ab Mitte der 80er Jahre aus der dortigen Punk-Szene entstanden ist, feierten auch außerhalb der Szene Erfolge.

Das Bild zeigt Domcore-Co-Host Nils. Foto: privat

Nils, organisierte jahrelang Punk-/HC-Shows in Köln. Er legt immer noch Platten auf und hostet zusammen mit Mac die Radioshow Domcore auf 674.fm.

„Ich fremdelte mit der HC-Szene der frühen 90er, da mir der Habitus der Fans dieser Sparte nicht gefiel. Die fanden sich zu cool und hatten die Verbindung zum Punk nicht mehr,“ erläutert Nils, wieso er lange nicht warm mit der Hardcore-Bewegung jener Zeit wurde und erst spät zu Stil & Szene fand.

Auch er findet die Szene zerklüftet vor. „Ich habe mich früher eher im Ruhrpott aufgehalten, dort kannte ich jeden und es gab ein Miteinander. Als nach Köln gekommen bin, habe ich feststellen müssen, dass hier viele Leute aneinander vorbeileben.“

„Musste feststellen, dass hier viele Leute aneinander vorbeileben“

Die Erfahrungen der Radiomacher teilt auch ‚Forced Narrative‘-Herausgeber Rene. Er nimmt die Szene in Köln ab 2005 als nicht miteinander verbundene, versprengte Cliquen wahr, auch er macht im Ruhrgebiet ganz andere Erfahrungen.

Mac erzählt, dass er den Ruhrpott immer beneidet habe. „Wenn man da hinkam, dann waren da 100 Leute, die so drauf waren wie man selbst, da haben alle Bands gespielt, die man sehen wollte und die Leute hatten auch eigene Bands, die ebenso gut waren. Das war für mich immer ein Vorbild.“ Die Zerfaserung habe noch lange angehalten, aber durch die zum Studium Zugezogenen sind „die Szene viel, viel größer geworden“ und habe mehr Facetten bekommen. Es sei nicht mehr nur „hier die Lederjacke und da der Turnschuh“ gewesen.

In Köln angekommen, kannte Nils nur eine einzige Person, „die mir allerdings zeigen konnte, wo man so hingeht, wenn man sich für Punkrock interessiert und so habe ich dann relativ schnell Anschluss gefunden“, erst nur als Besucher von Konzerten, ab 2006 legt Nils im ‚Sonic Ballroom‘ auf. „Ich war zuerst nur Gast, dann habe ich mir gewünscht, dort mal zu meinem Geburtstag aufzulegen. Es spielte die Berliner Band PVC, und denen hat das dann so sehr gefallen, dass es bis heute dabei geblieben ist, dass ich dort auflege.“

Schnell macht sich der 45-Jährige auch als lokaler Konzertveranstalter einen Namen. „Heute mache ich das nicht mehr, meine Hochphase hatte ich so 2008 bis in die späten 2010er-Jahre hinein.“

Digital ist besser

Fanzinemacher Rene, der früher auch für All Schools und das FUZE Magazine schrieb, erzählt, dass er heutzutage viel vernetzter sei, als damals. Auch wegen Instagram.

„Ich kann nicht mehr drei Shows in der Woche sehen, das geht einfach nicht“, sagt der zweifache Familienvater, dessen ‚Forced Narrative‘ -Fanzine bisher nur ein reines Digitalzine ist.

Sein Ziel sei es, weitere weitere Printausgaben zu veröffentlichen. „Die weltweite HC-Fanzine-Szene erstarkt mittlerweile, viele haben Bock auf das Haptische, das Physische, haben Lust auf Print“, hat Rene festgestellt und arbeitet deswegen gerade an einer zweiten Ausgabe seines Zines. „In der lege ich einen Fokus auf europäischen HC und Demo-Tapes, vieles ergibt sich bei mir aber spontan, wenn ich schreibe und Interviews verabrede.“

Durch Social Media komme er heutzutage mit Leuten in Kontakt, bei denen das früher gar nicht möglich gewesen wäre. „Ich schreibe dann mit Leuten, die dieselbe Band gesehen haben, die es mittlerweile seit 20 Jahren nicht mehr gibt, man schickt sich Fotos von Auftritten, spricht über die Hintergründe der Szene, das finde ich persönlich cool.“Früher habe das, was heute über Instagram stattfindet, in Foren stattgefunden. Da hätten sich die Nerds getroffen und „über Klamotten, über Bandshirts diskutiert.“

Social Media vereinfacht das netzwerken

Was René beschreibt, kenne ich nur zu gut – ich selbst trieb mich ab 2001 im Nirvana Fan Club, kurz NFC herum. Ein klassisches Bulletin-Board aus der Pre-Social Network-Area, in dem über seltene Musikaufnahmen, Bands, die man cool – und die man scheiße – zu finden hat oder den letzten Film, den man geguckt hat, diskutiert wurde. Oft bis spät in die Nacht, trotz 56kbit Modem und fehlender Flat.

Dass vieles heute digital stattfindet, sorgt allerdings auch dafür, dass die, die keine Social-Media-Accounts haben, nicht mehr alles mitbekommen.„Ich werde oft gefragt, ‚Woher weißt du das?‘ ‚Wo ist denn das?‘, wenn es zum Beispiel um Shows geht, da werden die Infos oft nur über Instagram und Telegram weitergetragen, was viele Ältere nicht auf dem Telefon haben“, erzählt Nils. Die, die es mitbekommen würden, was, wo stattfindet, die gingen aber auch hin, deswegen, so Mac, seien die beiden „Nicht die einzigen alten Säcke, die bei den Shows der Jüngeren auftauchen.“

Neue Generation offener und aktiver

Die Generation, die sich in den letzten Jahren nicht nur in Köln gefunden habe, ist stilistisch offener, aktiver, vernetzter als früher – einzelne Bubbles gebe es dennoch immer noch, weiß Rene.

Im Ruhrpott beobachtet er das Fehlen von Nachwuchsbands, in seiner Geburtsstadt Mönchengladbach hätte Freetz DYC-Booking wieder damit angefangen, vermehrt HC-Shows zu buchen, etwa im Projekt42.

Die Kölner Band Echo Chamber und deren Umfeld seien hingegen stark mit den Szenen in Düsseldorf, Hannover, Süddeutschland, Belgien aber auch in die USA rein vernetzt, wo sie in der Vergangenheit auch Shows un Festivals gespielt hätten. In der Domstadt gebe es auch eine starke Verbindung  mit der BMX-Szene, wie im Juli im Rahmen des Hammer & Nails-Festivals in den Abenteuerhallen Kalk zu sehen. Rene erläutert die Gründe für die Verbindungen in die Sportszene und in die Staaten: „Felix Prangenberg, aus Köln, der ist halt ein BMX-Pro, der hat dann wieder Connections zu den Amerikanern, die dann auch mit ein paar Leuten da waren“.

Dort, aber auch an vielen anderen Orten der Stadt „in Rodenkirchen, Quattro Cultura, mitten in einem Wohngebiet – ein supergeiler Laden“

„Es hängt ja auch immer an einem selbst, ob man sich für das interessiert, was die jungen Leute machen“, findet Nils. „Mac und ich interessieren uns für die junge Hardcore-Szene, wir gehen auch auf die Shows. Wir sind natürlich Jahrzehnte älter als die anderen, die dort hingehen – das ist aber auch völlig egal. Die machen die Sache toll, ich finde das super, dass es eine junge Szene gibt - wir hatten teilweise auch Vertreter in unserer Sendung – und es ist interessant zu hören, wie sich das alles entwickelt.“ [...]

Teil 3/3 der Serie erscheint am 24. Oktober.