Romanische Nacht in KölnEin Musikabend der scharfen Gegensätze

Abschlusskonzert in St. Maria im Kapitol
Copyright: Uwe Weiser
Köln – Einer der Sänger des Freiburger Jazzchores trat sogar mit Hut auf. Das tut „man“ in einer katholischen Kirche wie Sankt Maria im Kapitol eigentlich nicht, aber als Sakralraum wird sie von Künstlern wie Besuchern heutzutage halt immer weniger wahrgenommen. An die Stelle spiritueller Versenkung sind die Stimmungswerte romanischer Architektur und die Erkenntnis ihrer akustischen Vorzüge gerade für die Performance von A-cappella-Chören getreten.
Hinsichtlich der „Stimmung“ kam das Publikum der traditionell den Kölner Romanischen Sommer beendenden Romanischen Nacht am Freitag wie gewohnt auf seine Kosten: Die in unterschiedliche Lichtfarben zwischen Bassin-Türkis und Blut-Rot getauchte Ostkonche (als Ort des Geschehens), das allmähliche Eindunkeln der Kirche durch das Verlöschen des Tageslichts und immer wieder die Raumwirkung der Gewölbe – das alles sind zweifellos starke Effekte, die man umso mehr zu schätzen weiß, als das Festival corona-bedingt zumindest als Präsenzveranstaltung zwei Jahre lang pausieren musste.
Beim Freiburger Jazzchor ging es wenig geistlich zu
Darüber hin aus trug der eröffnende Auftritt der Freiburger Formation unter ihrem Gründungsleiter Bertrand Gröger den Titel „Mainly Sacred“ – meistens geistlich, aber eben nicht nur. Das Schlussstück etwa, „Der Mond ist aufgegangen“ in einer Jazz-Bearbeitung, hat zweifellos Gebetscharakter, firmiert aber doch gemeinhin als Volkslied, nicht als Kirchenlied. In seiner Jazz-Version mit den typischen „verschmutzten“ Akkorden geht freilich auch dieser Charakter verloren – nur die konventionelle Schlussklausel der dritten Strophe wirkte da wie eine Einkehr in heimatliche Gefilde.
Auch die vorangehenden Sätze von Jakub Neske über Bobby McFerrin bis George Harrison („Long, Long, Long“) verlangten den Sängerinnen und Sängern einiges ab – es ist ziemlich schwer, „Schmutziges“ sauber zu singen. Das gelang den Gästen indes vorzüglich, immer wieder rasteten die Harmonien auch nach chromatischen Rückungen hochbefriedigend ein. Was Klangpotenz, rhythmischen Drive (die Choristen kreierten mit Schnalzen und Zischen ihre eigene vokale Schlagzeuggruppe), swingende Lässigkeit und den Rausch des Repetitiven anbelangt, so gibt es eh nur Gutes zu berichten.
Sergey Malov saß wohl der Tempoteufel im Nacken
In starkem Kontrast folgte der Auftritt des russischen Geigers Sergey Malov mit drei Werken aus Bachs unsterblichen sechs Sonaten und Partiten für Violine solo. Malov wartete allerdings mit einer Enttäuschung wenngleich auf hohem Niveau auf. An der technischen Kompetenz lag es nicht, die ist über jeden Zweifel erhaben. Der Interpret spielte klang- und druckvoll, energisch, gestenreich, mit starkem Bewusstsein für Bachs reale und virtuelle Mehrstimmigkeiten.
Aber irgendwie schien ihm der Tempoteufel im Nacken zu sitzen. Da ging es teils für diese Musik unangemessen virtuos zu, entgleiste sie in Richtung von leicht skurrilen Charakterstücken. Da fielen nicht nur angezeigte Wiederholungen unter den Tisch, sondern wurden auch Details verschluckt, Endnoten klangschädigend abgerissen.
Und die einzigartige Aura, die gerade die Chaconne aus der d-Moll-Partita verströmt, aber in der Darstellung auch aktiviert werden muss (wer kein Herz aus Stein hat, dem müssen eigentlich beim tröstenden Dur des Mittelteils unweigerlich die Tränen kommen) – wurde sie diesmal lebendig?
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Dann, der Programmlinie entsprechend, erneut ein scharfer Schnitt. Unter dem Titel „Lumba – Der große Tag“ ließ das senegalesisch-belgische Trio Tamala mit Gesang (Mola Sylla), Kora-Stegharfe (Bao Sissoko) und Violine (Wouter Vandenabeele) Musik der westafrikanischen Kulturtradition, zumeist eingerichtet vom Kora-Spieler Bao Sissoko, lebendig werden. Weltmusik auf hohem Niveau und zugleich mit einem bemerkenswerten Hybridcharakter. Überraschenderweise schlug gleich das Eingangsstück den Bogen zurück zur Bach-Chaconne: Es handelt sich gleichfalls um Variationen – übrigens in eindeutigem Moll-Modus – über ein bass-basiertes Harmoniemodell, das demjenigen Bachs sehr ähnlich ist.
Der Rezensent musste danach aufgrund rezeptiver Erschöpfung den Heimweg antreten. Die Romanische Nacht ging noch bis 24 Uhr weiter – mit Neuer Musik von Caroline Thon und Christina Fuchs, gespielt vom Fuchsthone Orchestra.