Gürzenich-Orchester mit Saisonschluss-Konzerten
Saisonschluss mit dem Gürzenich-OrchesterWem diese Klassik keinen Spaß macht, ist selbst schuld

Dirigent Oscar Jockel überzeugte bei seinem Debüt mit dem Gürzenich-Orchester.
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Es war in mehrerer Hinsicht ein Endspiel, wenn auch nicht eines in Becketts Manier. Mit drei Kurzkonzerten des Gürzenich-Orchesters ging am Sonntag in der Philharmonie die Konzertsaison 2024/25 zu Ende. Der scheidende Intendant Louwrens Langevoort richtete zum letzten Mal als Hausherr Begrüßungsworte an die „lieben Damen und Herren“ im Publikum. Und für die Solocellistin Ulrike Schäfer, ein Urgestein des Orchesters, schlug gleichfalls eine letzte Stunde – sie verabschiedete sich mit diesen Auftritten in den verdienten Ruhestand, vom französischen Cellosolisten Jean-Guihen Queyras mit der Offerte einer gemeinsamen Zugabe geehrt und am Schluss heimgesucht von einem Tsunami an Blumensträußen.
Konzerte waren ursprünglich als Abschied für Roth geplant
Eigentlich hatten die drei um 16, 18 und 20 Uhr startenden Konzerte das Abschiedsfestival für den früheren Kölner Generalmusikdirektor François-Xavier Roth formieren sollen. Daraus konnte nach Roths vorzeitigem Abschied aus Köln nichts mehr werden. Die Sache wurde dann aber nicht einfach gecancelt, sondern gleichsam umgewidmet: Drei jeweils knapp einstündige Auftritte mit attraktivem Programm, Riesenbesetzung, hochkarätigen Solisten und – in Gestalt von Oscar Jockel – einem so jungen wie hochengagierten und souveränen Debüt-Dirigenten; das Ganze bei freiem Eintritt und freier Platzwahl, von Gürzenich-Orchester und Philharmonie kooperativ veranstaltet und von der Sparkasse Köln/Bonn gesponsert: Das ist und bleibt auch ohne Roth ein charmanter Einfall. Er bewegte sich auf der Linie jener Niederschwelligkeit, in deren Zeichen sich der klassische Konzertbetrieb seit langem darum bemüht, neue Publikumsschichten zu erschließen. In diesem Sinne durfte auch zwischen den Konzerten niemand sitzen bleiben – die Zuhörer hatten allesamt das Haus zu verlassen, um Newcomern die Chance auf Teilhabe zu geben.
Tatsächlich ging es am Sonntagnachmittag und -abend in der Philharmonie erkennbar anders zu als im spielzeitlichen Alltagsbetrieb. Jeweils deutlich vor Beginn formierten sich die Besucher zu einer langen Schlange vor den Eingängen, dezidiert sommerlich-freizeitlich gewandet und im Schnitt markant jünger als im üblichen Abokonzert. Erwartbar auch der gesteigerte Applausdrang des (das Philharmonierund gut, aber nicht komplett füllenden) Publikums mit Beifall zwischen den Sätzen. Gelegentlich waren kleinere Unruheinseln bemerklich, aber im Wesentlichen herrschte doch gebannt-konzentrierte Zuhörbereitschaft.
Mit Hardcore-Avantgarde zu neuem Publikum?
Mission erfüllt? Ja, das wird man wohl weithin, wenn auch nicht hundertprozentig sagen können. In der Niederschwelligkeit gab es im zweiten Konzert immerhin einen herben Ausreißer: Auf Richard Strauss' druckvoll und szenisch plastisch servierten „Eulenspiegel“ folgte mit Helmut Lachenmanns „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ unter Beteiligung des Quatuor Diotima ein Stück Hardcore-Avantgarde, das in seinen Verschachtelungen, seinen im Untergrund mitlaufenden intertextuellen Bezügen und seiner spröden Klanglichkeit, auch in seiner puren Länge extreme Anforderungen an das Hör- und Analysevermögen selbst avancierter Konzertbesucher stellt. Jockels vorgängige Erläuterungen vermochten daran kaum etwas zu ändern. Überhaupt nichts gegen Lachenmann – der bald 90-Jährige war persönlich anwesend und wurde auch entsprechend gefeiert. Aber ist ausgerechnet solche Kunst geeignet, Besucher für die E-Musik zu erwärmen, die von Haus aus mit dieser Sphäre eher wenig Berührung haben?
Sonst aber ging es, in aufsteigender Linie, mit Schmackes zur Sache. Spektakulär genug bereits der Einstieg mit Giovanni Gabrielis „Exaudi me Domine“ aus dem zweiten Buch seiner „Symphoniae sacrae“, die Jockel für modernes Orchester umgeschrieben hatte. Auf vier Klangnester im philharmonischen Raum verteilt, ließ das Orchester hier einen faszinierenden Surroundklang entstehen. Prokofjews „Symphonie classique“ kam dann noch etwas schwerfällig, Tschaikowskys Rokoko-Variationen aber gelangen auch dank Queyras' sonorem und zugleich fein-geschmeidigem Cello-Ton ausgezeichnet.
Wohl unstrittig den Höhepunkt der finalen Session markierte indes das letzte Konzert mit Debussys „Prélude à l'après-midi d'un faune“, Gershwins „Rhapsody in Blue“ in der Instrumentierung mit Klavier von Ferde Grofé und Ravels „La Valse“, mithin drei Schlüsselwerken der musikalischen Moderne. Ein schwebender und zugleich flutender Grundklang bei Debussy (mit ausgezeichneten Bläsersoli), eine gelungene Mutation des Orchesters zur Bigband mit einem fabelhaft inspirierten und virtuosen Kirill Gerstein am Flügel, schließlich Ravels ironische Adaption des Wiener Kettenwalzers à la Johann Strauß, wo überall unter dem Dreiertakt die Katastrophe zu lauern schien – wem solche „Klassik“ so aufgeführt keinen Spaß macht, der ist es wirklich selber schuld.