Gastspiel „Sonoma“ im Schauspiel KölnDie Revolution beginnt im Kopf

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Die Tänzerinnen von „La Veronal“ binden Seile um ein Kreuz.

Die Tänzerinnen von „La Veronal“ binden Seile um ein Kreuz.

Die Tänzerinnen der Kompanie „La Veronal“ stemmen sich in im Stück „Sonoma“ gegen Patriarchat und Katholizismus.

Mit diesen Frauen sollte man sich besser nicht anlegen. Sie mögen wie Büßerinnen auf den Knien herumrutschen und mit ihren Röcken den Boden schrubben. Sie mögen die Hände zum Gebet kneten - doch es gärt und brodelt in ihnen. Das ist die letzte Chance, wispern sie dann auch am Ende. „Die Revolution!“

Manchmal würde man den Choreografinnen und Choreografen doch gern ins Hirn schauen können, wie sie ihre Entscheidungen für Ablauf, Bilder in ihren Stücken fällen. Der aus Valencia kommende Choreograf Marcos Morau ist mit seinen unberechenbaren, oft auch unentschlüsselbaren Szenerien so ein Fall. Die Genrebezeichnung „Surrealismus“, sonst gelegentlich etwas überstrapaziert - für ihn trifft sie zu.

Moraus Choreografie ist von kirchlichen Bildwelten geprägt

Den Filmemacher Luis Buñuel bezeichnet er als „unerschöpfliche Inspirationsquelle“. Und definitiv ist es wohl auch der reaktionäre Katholizismus Spaniens, dessen Unterstützer-Rolle im Franco-Faschismus sowie die kirchlichen Bildwelten, die Moraus Kunst triggern: die Widersprüche aus Keuschheit und Ekstase, gepredigter Askese und sinnlicher Fantasie.

In seinem jetzt im Kölner Depot gezeigten, 2020 entstandenen Stück „Sonoma“ porträtiert er eine Frauengemeinschaft wie in „Bernarda Albas Haus“ von Federico García Lorca: in patriarchalisch geprägten Traditionen gefangene Frauen, deren aufgestaute Passionen zu explodieren drohen. In langen Reifröcken huschen sie über die Bühne, die Oberkörper ganz steif und still, so dass sie wie Aufziehpüppchen zu gleiten scheinen. Den fantastischen Tänzerinnen der Kompanie „La Veronal“ gelingt das grandios. Wie rasend schnelle Kegel auf einer Eisfläche kurven sie im bedrückend eng scheinenden Raum. Hart schlagen Kirchenglocken und Trommeln, dazu ein wilder Gesang, der an osteuropäische Mädchenchöre denken lässt und fast unmerklich in einen Rave übergeht.

„Sonoma“ zeigt, wie die Revolution im Kopf beginnt

Ein einziges Mal taucht eine männliche Gestalt auf. Sie ist überlebensgroß, ihr fehlt der Kopf - soviel zur hirnlosen Männerherrschaft. Im übrigen sind die Frauen unter sich. Sie kreiseln an Fäden hängend um ein am Boden liegendes Holzkreuz wie Kinder in einem Jahrmarkt-Karussell. Sie reihen sich wie Perlenketten auf und verschmelzen mit ihren Bewegungen zu einem einzigen Körper, bis sie spitz die Ellbogen, Finger in die Luft stechen, gefährlich wie Messer.

Manche Szenen lassen an Frauen-Horrorfilme denken wie „Rosemaries Baby“ oder „Den Report der Magd“. Andere an Hochzeitsprozessionen mit üppigen Blumengestecken auf dem Kopf, an zackig-zornige Flamenco-Formationen, die in okkulte Rituale kippen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt in Marcos Moraus „Sonoma“, auch der des Publikums nicht, das macht Moraus Kunst so stark. Und die Revolution, nach der die Frauen sich sehnen - beginnt sie nicht immer im Kopf?

Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: „One and Others“. Choreografien von Christopher Wheeldon, Demis Volpi und Sharon Eyal mit dem Ballett am Rhein am 25./26.02. im Staatenhaus

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