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Spielplatz Museum Ludwig„Keine langweiligen Bilder, wo man einfach nur draufguckt“

6 min
Regt zum Mitmachen an: Die Francis-Alÿs-Ausstellung im Museum Ludwig

Regt zum Mitmachen an: Die Francis-Alÿs-Ausstellung im Museum Ludwig 

Die Ausstellung des belgischen Künstlers Francis Alÿs im Kölner Museum Ludwig trägt den Untertitel „Kids take over“. Wir haben mit Klaas, 6 Jahre, und Piet, 10 Jahre, den Praxistest gemacht.

Leise sein, nichts anfassen, nicht toben – Kinder und Kunstmuseum, das passt einfach nicht. Oder doch? Die Ausstellung des belgischen Künstlers Francis Alÿs im Kölner Museum Ludwig trägt den Untertitel „Kids take over“ - also: Kinder übernehmen. Und das ist tatsächlich auch so gemeint - nicht nur in Bezug auf den Teil der Ausstellung, der gemeinsam mit Schulklassen kuratiert wurde. Denn Kinder dürfen hier auch die Räume erobern. Zumindest im hinteren Bereich, wo toben ausdrücklich erlaubt ist und ein ganzer Raum dazu einlädt, die Wände mit Filzstiften zu bemalen. Das machen die Besucher und Besucherinnen mit der gleichen Unbekümmertheit wie auf öffentlichen Toiletten. So viel Freiheit muss das Museum jetzt aushalten – das Bild eines riesigen Penis wurde allerdings notdürftig mit einem großen roten Herz übermalt.

Schwimmbad, Fußball, Sommerfeste – die Konkurrenz ist gerade groß und es brauchte ein bisschen Überredungskunst, Klaas (6) und Piet (10) für den Museumsbesuch zu motivieren. Aber jetzt sind sie voll dabei. In einem riesigen Ausstellungsraum, dem „Kindermuseum“, hängen Bilder an der Wand – so weit, so langweilig. Aber bei ein paar Bildern können die Besucher und Besucherinnen - übrigens auch viele Erwachsene - mitmachen. Auf einem Bild von „Francis und Juan“ (auf die Nachnamen wird hier verzichtet) sitzt ein Mann an einem Tisch und versteckt die Hand unter einem Tischtuch. Davor ist ein ähnlicher Tisch aufgebaut, mit dem man das Bild nachstellen kann. Die Kinder balancieren auch sofort ein paar künstliche Orangen auf dem Kopf, wie die „Orangenverkäuferin“ auf einem Bild aus dem Jahr 1916. In einem anderen Werk spiegelt sich Piet in kleinen Quadraten - „das sieht irgendwie aus wie Minecraft“, findet er.

Aber trotzdem hält es die beiden nicht lange dort. Denn sie haben schon mitbekommen, dass es auch noch Räume gibt, die zu kreativem Spielen einladen. Einer davon ist der, den man vollmalen darf. Eine Aufsicht erzählt uns, dass sie schon drei Mal neu gestrichen haben – und auch jetzt ist kaum ein freier Zentimeter mehr zu finden: Gerade steigt ein junger Mann auf einen Stuhl, um sich ganz oben zu verewigen, wo noch ein bisschen Platz ist: „Never give up“, schreibt er.

Regt zum Mitmachen an: Die Francis Alÿs Ausstellung im Museum Ludwig

Regt zum Mitmachen an: Die Francis Alÿs Ausstellung im Museum Ludwig

Dann gibt es noch einen Raum mit einem Berg Kleidung, ein paar Stühlen und einem Spiegel. Und einen, der fast leer ist – bis auf Klebeband, Kartons, Kabel und weiche Bausteine. Doch das ist der Raum, in dem wir uns mit Abstand am längsten aufhalten – die Jungs probieren, mit den Kabeln Seil zu springen, bauen eine Mauer aus den Steinen und werfen wild alles durch die Gegend, was sich so findet.

Ein Junge und zwei Mädchen spielen nebenan begeistert mit den Verkleidungssachen und der Vater erzählt, dass sie schon mal hier waren. Und sein neunjähriger Sohn, Theo, war von der Ausstellung so begeistert, dass er einer Freundin zum Geburtstag einen Gutschein für einen gemeinsamen Besuch geschenkt hat. „Und heute lösen wir den ein!“

Auch er selbst habe als Kind gelernt, dass Museen ruhige Räume sind, mit Wachleuten, die ungehalten werden, wenn man zu nah an ein Bild rankommt. „Das sind so ein bisschen verbotene Orte für Kinder. Dass das hier total aufgeweicht wird, finde ich einen ganz tollen Ansatz. Allein, dass die Kinder diesen Ort auch mal räumlich, architektonisch erleben dürfen.“ Er findet es spannend, dass die Schulklassen, die den großen Ausstellungsraum kuratiert haben, sich aus dem Archiv des Museums nicht nur die naheliegenden Werke ausgesucht haben – also große, bunte Pop-Art-Motive zum Beispiel. „Da sind ja auch Künstler wie Picasso oder Ernst Ludwig Kirchner dabei - das zeigt, doch, dass Kinder offenbar auch schon ein Interesse an vermeintlich erwachsener Kunst haben.“ Und was gefällt Theo so gut an der Ausstellung? „Keine langweiligen Bilder, wo man einfach nur draufguckt, wer der Künstler ist“, sagt er.

Keine langweiligen Bilder, wo man einfach nur draufguckt, wer der Künstler ist
Theo, 9 Jahre

„In den letzten beiden Wochen - das war die letzte Schulwoche - war unheimlich viel los, viele Klassen haben unsere Ausstellung als Abschlussfahrt ausgesucht“, erzählt Rita Kersting, stellvertretende Direktorin des Museums Ludwig. Da sei es dann auch schon mal ziemlich laut geworden, was eine „besondere Energie“ hatte, wie sie es diplomatisch formuliert. Man kann sich gut vorstellen, dass das eine Belastungsprobe für das Aufsichtspersonal war, die ja ansonsten gewohnt sind, Lärm und Trubel aller Art strikt zu unterbinden.

Die Perspektive der Kinder hat uns alle in verschiedener Hinsicht zum Nachdenken gebracht, was wir auch langfristig anders und besser machen können
Rita Kersting, stellvertretende Direktorin des Museum Ludwig

75.000 Besucherinnen und Besucher haben die Ausstellung seit ihrem Start im April gesehen, darunter viele Kinder, die vorher noch nie im Museum waren, sagt Rita Kersting. Und sogar welche, die noch nie auf der rechten Rheinseite waren und zum ersten Mal den Dom von nahem gesehen haben. „Wir haben alle fünften und sechsten Klassen der Kölner Hauptschulen eingeladen und ausgewählte Grundschulen.“ Die Reaktionen, sagt Kersting, seien außergewöhnlich gut: begeistert, gerührt, aufgeregt. Sie erhalte sogar regelmäßig enthusiastische Mails von Ausstellungsbesuchern, was ansonsten sehr selten vorkomme.

Die Ausstellung wurde ein Jahr lang gemeinsam mit Schülern und Schülerinnen konzipiert. Und von dieser Zusammenarbeit habe das ganze Team profitiert. „Die Perspektive der Kinder hat uns alle in verschiedener Hinsicht zum Nachdenken gebracht, was wir auch langfristig anders und besser machen können.“ In der Ausstellung erwecken zum Beispiel Sprechblasen die Figuren auf den Bildern zum Leben – „wann ist Onkel Emil endlich fertig mit Malen?“ fragt ein kleiner Junge auf einem Familienbild von Emil Nolde. Diese Idee soll auch künftig in die Sammlung übernommen werden. Und auch in Zukunft soll ein Beirat die Sicht von Kindern in die Museumsarbeit einbringen.

„Children's Games“-Serie, die Francis Alÿs

„Children's Games“-Serie von Francis Alÿs

Das eigentliche Herzstück (und eigentlich der Anfang der Ausstellung) schauen sich Piet und Klaas erst zum Schluss an: 30 Filme aus der „Children's Games“-Serie, die Francis Alÿs in den letzten 25 Jahren auf der ganzen Welt aufgenommen hat. Man sieht Kinder aus Kopenhagen mit Orangen tanzen, Mädchen in Hongkong virtuos Springseil hüpfen; einen Jungen aus dem Kongo, der einen riesigen Reifen eine Abraumhalde hochschiebt, um dann darin runterzurollen. Und Kinder in der Schweiz, die einen tief verschneiten Hügel runterkullern. „Können wir da auch mal hinfahren?“, fragt Klaas.

Den zehnjährigen Piet beeindrucken am meisten die Videos, in denen das Spiel eine politische Dimension hat. Ukrainische Kinder, zum Beispiel, die Luftangriff-Alarm spielen. Oder ältere Jungs im Nord-Irak, die auf der Straße Fußball spielen. Nur, dass der Ball fehlt. Es ist eine Art Luftfußball, denn als das Video 2017 entstand, war dort Ballspielen nicht mehr erlaubt. „So einen Einblick zu haben - das fand ich richtig cool“, sagt Piet am Schluss. Und den Gong mit der Durchsage, dass das Museum jetzt schließt, ignorieren beide einfach.


Francis Alÿs „Kids Take Over“ läuft noch bis zum 3. August im Museum Ludwig, Kinder bis 18 Jahre haben freien Eintritt.