Stefan Bachmann„Verwalten eines Theaters, das nicht spielen darf, macht keinen Spaß”

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Stephan Bachmann

  • Der Kölner Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann und sein Team haben die vergangenen Monate als „rasenden Stillstand” erlebt.
  • Im Interview erklärt Bachmann seine Pläne für die neue Spielzeit ab Herbst, das Sicherheitskonzept für Schauspieler und Zuschauer und die größten Hürden auf dem Weg zu einer neuen Normalität.
  • Er spricht aber auch über den ständigen Widerspruch zwischen Theater als Kunstform und Hygiene-Vorschriften: „Diese dreckige Lebendigkeit mit ihren Sekreten, das ist für mich eigentlich das Theater.”
  • Lesen Sie hier das ganze Interview.

Köln – Herr Bachmann, als wir das letzte Mal miteinander sprachen, hatten Sie gerade die Spielzeit wegen des Coronavirus vorzeitig beendet. Jetzt präsentieren Sie einen neuen Spielplan für den Herbst und Winter. Beschreiben Sie mal den Weg dahin?

Es war ein bisschen wie rasender Stillstand. Viel Arbeit bei erstmal wenig Ertrag. Und das hat sich bis vor kurzem nicht verändert. Es hatte in seiner Vergeblichkeit schon fast etwas becketthaftes. Von Tag zu Tag fragte man sich was die neuen Meldungen und Maßnahmen nun fürs Theater bedeuten würden. Es blieb nichts anderes übrig, als auf Sicht zu fahren, die nächsten zwei Wochen im Blick. alles andere war Spekulation. Von der Dramaturgie kam sofort die Initiative, unsere Arbeit in den virtuellen Raum zu verlegen. Das fand ich richtig und gleichzeitig, um es ganz ehrlich zu sagen, muss richtiges Theater für mich life sein und in einem realen Raum stattfinden.

Tatsächlich haben die Theater ja ganz unterschiedlich reagiert, ganz unterschiedliche Dinge digital angeboten, vom eilig geschriebenen Zoom-Stück bis zum Griff tief ins Archiv...

Wir haben eine bunte Mischung gemacht. Es gab unterschiedliche Formate und es war wichtig, nicht zu verstummen. Was die Planung angeht: Alles was man besprochen hat, war zwei Tage danach meist wieder hinfällig und trotzdem kristallisiert sich jetzt ein Spielplan heraus. Es beruhigt ein bisschen, dass viele Kollegen von mir ähnliche Erfahrungen machten.

Sie haben auch in regelmäßigen Abständen mit den Intendanten der anderen großen Häuser konferiert?

Wir haben uns einfach zum Austausch in Zoomkonferenzen zusammengefunden. Unter welchen Voraussetzungen kann man denn jetzt proben? Wie sieht euer Hygienekonzept aus? Wie ist das in eurem Bundesland? wie hoch ist der finanzielle Schaden? Wie können wir den auffangen? Alle Theater, die GmbHs sind, konnten sofort in Kurzarbeit gehen. In Köln hat das bis jetzt gedauert, da wir eine Eigenbetriebs-ähnliche Einrichtung der Stadt Köln sind, und da wurde doch relativ lange geprüft, ob Kurzarbeit für uns überhaupt in Frage kommt. Jetzt können wir bis Dezember in Kurzarbeit gehen. Aber gleichzeitig wollen wir auch so viel wie möglich spielen.

Allerdings vor erheblich weniger Zuschauern!

Stand heute sind wir mit den aktuell geltenden Abstandsregelungen in unseren Spielstätten bei ungefähr jeweils 25 Prozent der vollen Auslastung. Wir bieten im Depot 1 normalerweise ca. 500 Plätze an und sind jetzt ungefähr bei 130. Wir bauen aber unsere Tribüne jetzt noch nicht um, sondern warten ab und reagieren auf den aktuellen Stand im August. Das Ziel ist natürlich, so vielen Leuten wie möglich den Theaterbesuch wieder anbieten zu können. Und gleichzeitig möchte ich für die Sicherheit bei uns garantieren. Die Zuschauer und die Mitarbeiter sollen sich geschützt fühlen. 

Es gibt ja bereits Untersuchungen darüber, wie hoch die potentielle Ansteckungsgefahr bei verschiedenen künstlerischen Tätigkeiten ist. Der Superspreader ist ausgerechnet das laute Sprechen im Theater. Wie reagieren Sie?

Im Moment gelten beim „exzessiven Sprechen“ sechs Meter Abstand. Die Regeln gelten natürlich auch für den Abstand zum Zuschauer. Es ist jetzt von Vorteil, dass wir so große Räume haben. Ende Juni werden wir auch noch zwei Freiluftaufführungen von „How to Date a Feminist“ machen, einfach um ein Zeichen zu setzen: Uns gibt es noch. Und wir wollen wieder spielen!

Haben Sie schon darüber nachgedacht, wegen der reduzierten Zuschauerzahl zum Beispiel Aufführungen zweimal hintereinander zu spielen?

Ja, wir müssen sehen. Im Moment scheint es so, dass es ein großes Interesse an Theater gibt. Aber noch vor kurzem hatten wir Intendanten Sorge, ob die Leute überhaupt noch ins Theater gehen werden? Das wird davon abhängen, wo wir im Herbst mit der Pandemie stehen.

Kommen wir zur neuen Spielzeit. Wie viel von Ihren ursprünglichen Plänen mussten Sie ändern? Wir haben an vielem festgehalten. Das erste, was ich gemacht habe, war mich selber, also meine Premiere, aus dem Spiel zu nehmen. Dadurch ist es möglich, Ende Oktober die ausgefallene Premiere von „Nora“ nachzuholen. Was jetzt nicht stattfinden konnte, hatte erst einmal Vorfahrt. So wird im Februar auch die für die jetzige Spielzeit geplante Premiere der „Jungfrau von Orleans“ stattfinden. Andere Projekte mussten aus verschiedenen Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Mit Jan Bosse, der die Eröffnungspremiere macht, gab es ursprünglich ein Projekt, bei dem man 400 Menschen auf der Bühne in einer Art Festzeltsituation versammelt hätte. Das Gegenteil von dem, was im Moment geboten ist. Das haben wir erst einmal um ein Jahr verschoben und Jan Bosse inszeniert nun „Warten auf Godot“, das Stück der Stunde. Am 4. September ist Premiere.

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Vier Protagonisten, großer Abstand...

... ja und die Situation im Stück hat viel mit unserem jetzigen Zustand zu tun. Die zweite Premiere im Depot 1 ist Elfriede Jelineks „Wut“ in der Regie von Ersan Mondtag.

Was ist mit ihrer Jelinek-Premiere „Schwarzwasser“, die war ja quasi das erste Opfer der Corona-Krise?

Ich hatte heute zum ersten Mal eine Idee für eine Neufassung. Die Inszenierung war ja eigentlich fertig und unter Corona-Bedingungen gar nicht mehr umsetzbar. Jetzt wird es im Depot verstreute Fragmente dieser untergegangenen Inszenierung geben. Und dann hatte ich eine alte Verabredung mit einem Urgestein der Theatergeschichte, mit Jürgen Flimm ...

... dem ehemaligen Intendanten des Schauspiel Köln...

... den habe ich relativ früh angerufen, er gehört ja nun mal zur Risikogruppe. Aber der sagte, mir geht es gut, ich warte die Situation einfach in meinem Landhaus mit meiner Frau und meinen Katzen ab. Das hat mich sehr gefreut, dass das geblieben ist. Es wird auch eine Weiterentwicklung von Richard Siegals „New Ocean“ geben. Er hatte die Idee, daraus eine mehrstündige Performance für zwölf Tänzer zu machen. Und dann haben wir noch einen Monolog „Stevko Hanushevksy erzählt „Der große Diktator“, das ist diese Rafael Sanchez/Petchinka-Geschichte, bei der ein Schauspieler einen Film erzählt und sich dieser bis zur Unauflösbarkeit mit eigenen biografischen Erlebnissen mischt. Monologe sind natürlich die Form der Stunde.

Kommen noch mehr Monologe?

Ja, z.B. die „Die Blechtrommel“ als Monolog. Woran wir erstmal festhalten konnten, ist Kleists „Hermannsschlacht“ im Depot 2, Oliver Frljić will sich dafür die Interpretationsgeschichte des Dramas anschauen, das Stück wurde z.B. von den Nazis für Propagandazwecke missbraucht. Bassam Ghazi macht mit seinem Import-Export-Kollektiv im Depot 2 Horvaths „Jugend ohne Gott“ und Rafael Sanchez Steinbecks „Früchte des Zorns“, ebenfalls wie geplant. 

Sie machen also doch erstaunlich viel?

Die Schlagzahl ist sehr hoch. Wir haben stark darauf gesetzt, die Vielfalt zu halten, um an unseren Verabredungen mit den freien Künstlern festhalten zu können. Es hat die Opulenz einer normalen Spielzeit. Gleichzeitig sind wir noch in Kurzarbeit. Die Probenbedingungen werden also nicht so sein, wie wir das gewohnt sind.

Was ist mit dem Offenbachplatz?

Der Offenbachplatz wird Ende des Jahres wieder Teil der Baustelle werden, bis dahin werden wir dort eine performative Installation von T.B. Nielsson und Julian Wolf Eicke zeigen. Ehemalige Mitglieder von Signa...

... der dänisch-österreichischen Gruppe, die einst in Köln ihren künstlerischen Durchbruch feierte ...

... die machen eine Art begehbares Theater und bauen dazu den Offenbachplatz komplett um, der wird nicht wiederzuerkennen sein. Das kann man von den Besucherzahlen und Abständen sehr gut steuern. In der Arbeit geht es um die Mythologie der Walküre. Das war übrigens auch bereits geplant. Was wir auch noch versuchen, ist die Produktion von Rimini Protokoll, „Utopolis“, die eigentlich die jetzige Spielzeit abschließen sollte, zu realisieren. Die ist von sehr vielen Teilnehmern abhängig und im Moment auch noch von der Frage, ob wir ins Rathaus rein dürfen. Frau Reker unterstützt uns da sehr, aber es ist eine komplexe Terminfrage.

Und wenn der Offenbachplatz wegfällt, wo bleibt dann die dritte Spielstätte? 

Dass es eine dritte Spielstätte geben muss, steht in meinem Vertrag. Das habe ich nachverhandelt, als ich jetzt meinen Vertrag verlängert habe. Der andere Punkt war, dass sich die Stadt verpflichtet, Richard Siegal / Ballet of Difference am Schauspiel Köln bis 2023 zu unterstützen. Tatsächlich haben wir keine dritte Spielstätte gefunden, und noch einmal einen Raum nur für zwei Jahre zu ertüchtigen, kostet zu viel Geld. Meine Idee ist, dass wir flexibel in die Stadt hineinzugehen, mit partizipativen Formaten und experimentelleren Formen. Dass man auch mal an einem theaterunüblichen Ort Theater zeigt. Dafür gibt es zusätzliche Mittel von der Stadt.

Johan Simons feiert an diesem Mittwoch eine Premiere in Bochum, trotz Corona. Sind Sie etwas neidisch?

Nein. Wenn Bochum jetzt spielt, finde ich das in Ordnung. Wir könnten es derzeit einfach nicht. Aber wir haben gerade mit den Proben der ersten zwei Produktionen begonnen und schon das ist ein unfassbarer Zugewinn an guter Laune und man sieht Licht am Ende des Tunnels. Das Verwalten eines Theaters, das nicht spielen darf, macht keinen Spaß.

Draußen gehen die Leute inzwischen bedenklich locker mit den Abstandsregelungen um, aber auf den Proben, wo man sich doch auch im Spiel verlieren soll, müssen sie streng eingehalten werden. Behindert das nicht die kreative Arbeit?

Es ist ein Widerspruch, den es auszuhalten gilt. Aber was ist eine Probe anderes, als Distanz zu überwinden? Alles auszuprobieren, bis hin zur Verantwortungslosigkeit? Diese dreckige Lebendigkeit mit ihren Sekreten, das ist für mich eigentlich das Theater. Als Intendant kriege ich diesen Widerspruch zusammen, als Künstler tue ich mich schwer damit. 

Das Gespräch führte Christian Bos 

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