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Tanz KölnÄsthetische Perfektion

3 min
CRWDSPCR im Depot 1

CRWDSPCR im Depot 1

Harmonische Ausgewogenheit bei Trisha Brown trifft auf ästhetische Perfektion von Merce Cunningham im Depot 1 des Kölner Schauspiels.

Taucht ein Mensch auf der Bühne auf, wollen wir ihn lesen: Was fühlt er, was denkt er, welcher Geschichte bringt er mit? Für Choreografinnen und Choreografen ist es nicht leicht, den Zuschauern diesen Zwang zur Interpretation auszutreiben. Sie aber war eine Meisterin der Abstraktion: Trisha Brown. In den 1960er Jahren zählte sie als Mitglied des legendären Judson Dance Theaters zu den Pionierinnen und Pionieren des amerikanischen Postmodern Dance und war neben Yvonne Rainer, Steve Paxton und Lucinda Childs die eleganteste, sinnlichste ‚Mathematikerin‘ im Team: sorgsam ausgetüftelte Bewegungspartituren, Arme wie Achsen im Raum, gestreckte Beine, die wie die Schenkel eines Zirkels präzise Radien zeichnen.

Ende der 1970er Jahre arbeitete Brown häufiger mit Robert Rauschenberg als Bühnen- und Kostümbildner zusammen. Man könnte sie also zum erweiterten Kreis der „Fünf Freunde“ zählen, dem Best-Buddy-Team aus John Cage, Merce Cunningham, Jasper Johns, Robert Rauschenberg und Cy Twombly, dem derzeit im Museum Ludwig eine fantastisch umfassende Ausstellung gewidmet ist. Die Schau gab den Ausschlag für die Einladung des „CCN-Ballet de Lorraine“ zu ‚Tanz Köln‘, einer Kompanie mit ausgewiesener Expertise für den amerikanischen Postmodern Dance. „Twelve Ton Rose“ heißt Browns Stück für das Kölner Gastspiel - und irgendwann denkt man nur noch: Ist das alles herrlich sortiert und harmonisch ausgewogen! Wer sich vom weltlichen Krisen-Chaos ermattet fühlt, den könnte Trisha Brown erquicken: so gelassen ernst, so erhaben klar sind ihre choreografischen Strukturen zu verschiedenen Kompositionen für Streichinstrumente von Anton Webern.

Der „mental overload“ kehrt nach der Pause allerdings mit Merce Cunningham rasch zurück, schon der Titel ist ein Konsonanten-Overkill: „CRWDSPCR“. Er soll darauf verweisen, dass der technikaffine Cunningham für den Aufbau dieser Choreografie mit der Software „LifeForm“ arbeitete. Entsprechend flappert und zerrt es wie ein Digitalgewitter aus den Boxen, und die Tänzerinnen und Tänzer erinnern mit steif abgestreckten Armen und ansatzlosen Sprüngen, die aufs Kniegelenk quasi zu verzichten scheinen, ein wenig an frühe Avatare - ziemlich schräg. Aber die 13köpfige Kompanie aus Nancy meistert Cunningshams widerspenstige Kinetik souverän, in der kein Körperteil dem anderen hilft bei einer Bewegung, sondern immer nur sein eigenes Ding macht: Die Arme stützen nicht die Balance, der Torso klappt seitlich weg, wenn doch gerade das Bein vorne hoch muss. Eine Fragmentierung, die sich in den engen Kostümen widerspiegelt: 14 Farbsektionen unterteilen die Körper und man könnte an Gerhard Richters Domfenster denken, so perfekt wirkt in den Ensembleszenen das Farbenspiel aus Zufall und Konstruktion. Und was soll das jetzt alles bedeuten? Absolut egal angesichts der ästhetischen Perfektion.

Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 19./20.11. Akram Khan Company „Thikra: Night of Remembering“ im Depot 1