„Requiem: Fire in the Air of the Earth“HipHop-Beats für Mozarts Totenmesse

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Zwei Tänzer tragen eine Tänzerin, die zum Himmel schaut. Im Hintergrund weitere Tänzer. Sie schauen angespannt.

„Requiem: Fire in the Air of the Earth“ vom Tanz-Ensemble A.I.M und Choreografen Kyle Abraham C

Tanz Köln löste mit seiner modernen Variante von Mozarts Requiem inhaltliche Ratlosigkeit aus, faszinierte aber in seiner ästhetischen Darstellung.

Mit vielleicht 70, maximal 120 bpm, also „Beats per Minute“ fing das Genre an. Aber dieser HipHop-Dance war bald nicht mehr cool genug. Anfang der 1990er landete man dann 165bpm, was den ohnehin beinlastigen Ghetto-Tanz komplett in die unteren Extremitäten verlagerte und bedeutete: Fußgetrappel, so crazy, dass sich die Beine zu verknoten schienen.

Aus diesem tanz-musikalischen Milieu kommen die Komponistin JLin und Kyle Abraham, um sich 2021 gemeinsam ein Heiligtum der klassischen Musik vorzunehmen: Mozarts „Requiem“. Bei der Afroramerikanerin JLin rappeln nun Hochgeschwindigkeit-Beats durch die Totenmesse. Die Chöre sind comichaft gepitcht, der ganze Klang scheppert hypersynthetisch. Was – Wienerisch – mal „a schene Leich“ war, hat sich in einen grotesk-makabren Totenkult verwandelt – und kommt vielleicht der Grausamkeit und Absurdität des Sterbens sogar näher. Mozart-Liebhaber dürfte die Pein packen bei dieser brutalen Überschreibung eines Musik-Mythos’.

Tanz Köln fasziniert und irritiert mit Mozarts Requiem im Depot

Nicht ganz so radikal rückt Kyle Abraham dem europäischen, vom Ballett geprägten Formenkanon auf den Leib. In vielbeachteten Stücken hat sich der aus einem afroamerikanischen Viertel in Pittsburgh kommende Choreograf schon mit der rassistischen Gewaltgeschichte der USA auseinandergesetzt, hat etwa für Star-Kompanien wie das Alvin Ailey Dance Theater und das New York City Ballet gearbeitet.

Sein im Depot gezeigtes „Requiem: Fire in the Air of the Earth“ wahrt nun stets die Liebe zur vollendeten Form - gestreckte Füße, hohes Bein, geometrische Körperachsen. Aber dazwischen pflanzt Abraham Styles aus seiner eigenen Urban-Dance-geprägten Historie und bewahrt sich seine persönliche Note in der ‚kulturellen Aneignung‘. Da ruckelt ein Robotic-Move durch eine perfekte Körperlinie, zupft mit theatraler Komik ein Paar an sich herum, als wollten sie ein lästiges Insekt entfernen, kriecht die Kompanie über den Boden davon wie Flüchtende in einer Katastrophe.

Vor allem aber variiert Kyle Abraham überraschend die Tempi, zerdehnt, beschleunigt die Bewegungen als spule hier einer einen alten Film wechselnd in Zeitlupe und Zeitraffer ab. Dass die durchgängig mit PoC-Tänzerinnen und -Tänzern besetzte Kompanie „A.I.M.“ dabei immer Anmut und Grazie bewahrt, ist der verblüffendste Effekt dieser eigenwilligen Tanzsprache. Im Hintergrund tropft dazu in einer Videoanimation schwarze Tinte in eine kreisrunde, oft schwefelgelbe Sonne - nicht die hinzugefügte Substanz ist hier das Gift, könnte man interpretieren. Das vielleicht deutlichste Bild an einem Abend, der inhaltlich so ratlos lässt wie er doch ästhetisch fasziniert.


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