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Tanzperformance im NS-DokEs schmerzt schon beim Zusehen

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In einer eigens für das EL-DE-Haus entwickelten Performance bespielt die koreanische Künstlerin und Choreografin Nayoung Kim (Tanztheater Wuppertal Pina Bausch) mit der Kostümbildnerin Elisabeth Bertelsmann das ehemalige Gestapo-Gefängnis und den Innenhof.

In einer eigens für das EL-DE-Haus entwickelten Performance bespielt die koreanische Künstlerin und Choreografin Nayoung Kim (Tanztheater Wuppertal Pina Bausch) mit der Kostümbildnerin Elisabeth Bertelsmann das ehemalige Gestapo-Gefängnis und den Innenhof. 

Choreografin Nayoung Kim überzeugt im NS-Dokumentationszentrum mit der berührenden Performance „Die Schreie der Wände“.

Es schmerzt schon beim Zusehen. Nackte Haut, die über rauen Asphalt scheuert. Körper, die hart auf dem kalten Beton aufprallen. Und sie fallen oft an diesem Abend im NS-Dokumentationszentrum. „Die Schreie der Wände“ heißt die Tanzperformance von Nayoung Kim, der vielleicht stillsten, ernstesten Diva im früheren Star-Trupp von Pina Bausch. 13 Jahre lang tanzte die Südkoreanerin unter der Wuppertaler Ikone, war an 24 Stücken kreativ beteiligt. Manchmal sah man sie als taffe Domina. Häufiger aber war sie die introvertierte, mimosenhaft-sensible Femme fragile, die mit wundersamer Poesie die langen Arme schnörkelte und behutsam die Finger in die Luft tupfte als liebkose sie dort schwebende Geister.

So sah man sie am vergangenen Wochenende auch in ihrer eigenen Choreografie, einer Auftragsarbeit für das Kölner NS-Dokumentationszentrum. Da steht sie im bodenlangen weißen Spaghettiträger-Kleid wie eine Wiedergängerin aus Pina Bauschs „Café Müller“ im verspiegelten Innenhof des Gebäudes und wirft Origami-Kraniche in die Luft, Symbole für Frieden und Hoffnung in Japan und Korea. Und Zauber des Zufalls: In diesem Augenblick flattern zwitschernd reale Vögel aus den Bäumen hinter dem NS-Dok auf - besser könnte man einen Moment der Befreiung nicht inszenieren. Die Papier-Vögel im Stück stürzen zu Boden. Nayoung Kim aber blickt in den Himmel als flögen die Kraniche dort davon - und vielleicht ist die Fantasie ja stärker als jede Realität? Oder doch wenigstens ein Fluchtraum vor einer kaum zu ertragenden Wirklichkeit.

Gellend laute Warnungen vor der Menschenverachtung des Faschismus

Tatsächlich ist dieser Gedanke ein wiederkehrendes Motiv in der Performance für einen Ort, an dem die Gestapo während der NS-Diktatur grausam wütete. Mehr als 400 Häftlinge wurden im Innenhof hingerichtet. In den zehn Kellerzellen des Gebäudes wurden sie davor verhört und gefoltert, manche hinterließen Inschriften auf den Wänden. Das inspirierte Nayoung Kim zum Titel ihrer Produktion, sollten uns doch die winzigen Schriftzeichen der Todgeweihten gellend laute Warnungen vor der Menschenverachtung des Faschismus sein.

Im ersten Teil des Abends werden die Zuschauer durch den Zellen-Trakt geschleust. Dort erinnern Andrey Berezin, ebenfalls langjähriger Pina-Bausch-Tänzer und Experte fürs Düster-Groteske sowie drei fantastische Tanztheater-Gäste (Stsiapan Hurski, Sara Valenti, Sanne Vree) in szenischen Miniaturen an den Terror an diesem Ort: Valenti träufelt rote Rosenblätter auf ihren Körper wie Blutstropfen. Berezin kriecht über den schmutzigen Betonboden oder stülpt sich einen Blecheimer über den Kopf, ruft: „Ich sehe nichts, ich höre nichts, ich sage nichts“.

Perfomance „Die Schreie der Wände“ im NS-DOK

Perfomance „Die Schreie der Wände“ im NS-DOK

Im Kontrast dazu erzählen sie in knappen Sätzen Kinder-Geschichten, in denen sich eine Bedrohung als harmlos entpuppt. In diesem Setting wirkt das wie eine Dissoziation des Bewusstseins: Als löse sich die Fantasie vom Körper und flüchte sich in den Schutzraum der Kindheit. So stellt sich Nayoung Kim der Gewaltgeschichte mit poetischer Abstraktion und sensibler Seelenkenntnis. Unverkennbar trägt sie damit den Spirit der Wuppertaler Schmerzensmadonna ins Kölner NS-Dok - sinnvoller lässt sich Pina Bauschs Erbe wohl kaum fortschreiben.

Berührend ist dabei vor allem, mit welcher Schonungslosigkeit die Tänzerinnen und Tänzer sich den Traumata des Ortes aussetzen, wie sie ihre Körper zu Erinnerungs-Triggern für das Unrecht machen, das hier geschehen ist. Dabei nicht in Grusel-Kitsch gekippt zu sein, zählt zu den größten Leistungen dieses ambitionierten Projekts.