Interview

Technikchef des Schauspiel Köln
„Mit der Ungewissheit zu leben, ist für uns die Normalität“

Lesezeit 8 Minuten
13.05.2024 Köln. Die Baustelle von Schauspielhaus und Oper am Offenbach Platz. Die jahrelange Sanierung wird inklusiver aller Kosten am Ende über eine Milliarde Euro gekostet haben. Für den 17. Mai sind wichtige Abnahmeprüfungen durch Sachverständige geplant.

Die Baustelle von Schauspielhaus und Oper am Offenbachplatz.

Sebastian Bolz hat schon zwei abgesagte Übergabe-Termine für die Kölner Bühnen am Offenbachplatz erlebt. Manche Schauspiel-Mitarbeiter, sagt er, würden lieber in Mülheim bleiben.

Sebastian Bolz, Sie sind technischer Direktor des Schauspiel Köln, aber angefangen haben Sie auf Seiten der Sanierung am Offenbachplatz.

Sebastian Bolz: Ich habe 2010 als junger Theateringenieur im Projektbüro mit dem vormaligen technischen Leiter der Oper gearbeitet. Damals hieß es ja, wir machen eine Sanierung mit drei Jahren Bauzeit, 2015 ziehen die Bühnen wieder ein und ich habe mich von Anfang an auf den Spielbetrieb gefreut. Als diese Pläne 2015 zusammengekracht sind und auf der Baustelle erstmal nichts mehr passierte, dachte ich mir, ich kann mit Anfang 30 hier nicht warten. Dann wurde im Schauspiel die Stelle als technischer Leiter frei. Hier wurde mir zum ersten Mal klar, mit wie viel Leidenschaft alle Beteiligten in den einzelnen Produktionen des Schauspiels auf die Premieren hinarbeiten. Man hat also alle vier bis sechs Wochen ein Erfolgserlebnis. Das ist ein großer Motivator.

Und im Depot gab es doch auch viel zu tun, nachdem sich das Interim ins Unendliche verlängert hatte.

Ja, wir haben viel am Depot verändert. Die Obermaschinerie und den Boden, die Tribünen, die Räume, das Foyer haben wir mehrmals verändert. Das war rock’n’rollig, man konnte Sachen in die Hand nehmen, die man in der Innenstadt, in so einem denkmalgerecht sanierten Theater, niemals machen könnte. Nach 11 Jahren intensiver Nutzung müsste man allerdings, wie bei jedem anderen Gebäude auch, noch einmal richtig was am Depot tun. Wir wurden da ja vor allem die letzten zwei Jahre lang auf gepackte Koffer gesetzt.

Hatten Sie denn damit gerechnet, dass die Gebäude am Offenbachplatz zum gesetzten Termin übergeben würden?

Immer wenn ich Ende 2023 die Baustelle besuchte, habe ich mir schon gedacht: echt? In sechs Monaten? Aber ich muss als Führungskraft natürlich versuchen, Optimismus zu versprühen, damit alle weitermachen an diesem Projekt.

Aber stürzt man dann mit diesem Zweckoptimismus nicht von der Klippe?

Klar, wenn es nicht klappt, fällt man in ein Motivationsloch und rettet sich in so eine sarkastische Haltung. Die sollte man als Abteilungsleiter aber unbedingt ablegen, das ist man den Mitarbeitern gegenüber schuldig.

Sobald du als Bauherr sagst: Wir glauben auch nicht mehr daran, dass wir den Eröffnungstermin halten können, lassen sofort alle den Hammer fallen.
Sebastian Bolz

Kann man auch der Stadt vorwerfen, dass sie viel zu lange mit verdeckten Karten gespielt hat, gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern?

Sobald du als Bauherr sagst: Wir glauben auch nicht mehr daran, dass wir den Eröffnungstermin halten können, lassen sofort alle den Hammer fallen. Das haben wir 2015 erlebt. Am Tag nachdem man den Planer rausgeschmissen hatte, holten die Firmen ihre Leute von der Baustelle und sagten, hier fassen wir gar nichts mehr an, bis der Bauherr sich sortiert hat. Ich verstehe allerdings, wie das von der Öffentlichkeit aus gesehen wirkt, vor allem bei den Summen, die da im Umlauf sind. Aber man darf deswegen die großartigen Erzeugnisse, die wir jetzt im Schauspiel und in der Oper produzieren und irgendwann am Offenbachplatz produzieren werden, nicht aufgeben und auf keinen Fall mit dem Sanierungsprojekt vermischen.

Klar, Sie müssen zuerst einmal dafür sorgen, die Produktionen herauszubringen. Aber im Hinterkopf dräut der permanent verschobene Umzug …

… oder die Vorstellung, dass uns drei Monate zuvor gesagt wird: Ach so, wir eröffnen jetzt übrigens doch am 1. April 2025. Das ist ein Moment, vor dem allen ein bisschen Angst haben, obwohl ich nicht glaube, dass es in der nächsten Spielzeit dazu kommen wird. Aber man muss immer in der Lage dazu sein, das Ruder in kürzester Zeit herumzureißen. Der Mietvertrag fürs Depot ist 2013 im Mai unterschrieben worden und im Oktober ging es los. Ich bin im Mai 2016 technischer Leiter geworden und im September haben wir die Außenspielstätte am Offenbachplatz eröffnet. In einem Fenster von drei bis fünf Monaten kann man im Schauspiel die Welt umdrehen.

Zuletzt mussten Sie doch für drei Varianten planen: Eine Spielzeit im Depot, eine Spielzeit am Offenbachplatz, ein Umzug mitten in der Spielzeit?

Wir hatten zunächst für die ersten drei Produktionen geguckt: Wie müssen die sein, dass sie am Offenbachplatz funktionieren, was brauchen sie an Veränderungen, damit sie aber im Depot auch gut aussehen? Und so tastet man sich dann da durch, immer mit einer Variante 1a und 1b. Das Depot mit seinem Cinemascope-Format ist im Portal 24 Meter breit und 6,50 Meter hoch. Im Schauspielhaus sind es eher 16-mal sechs Meter. Wir gucken also: Wie können wir mit einer Produktion von einem Format ins andere umziehen? Und wir müssen die jeweiligen Entwurfsteams bitten, uns zwei Entwürfe abzugeben. Mit der Ungewissheit zu leben, ist für uns die Normalität.

Sebastian Bolz, technischer Direktor, Schauspiel Köln

Sebastian Bolz, der technischer Direktor des Kölner Schauspiels

Aber kann man das auf unbegrenzte Zeit durchziehen?

Für die nächste Spielzeit haben wir mit Rafael Sanchez besprochen, dass wir zwar die nötige Mehrarbeit machen, um vorbereitet zu sein, ansonsten aber ganz entspannt abwarten. Wenn uns dann gesagt wird, dass es jetzt so weit ist, gehen wir erstmal rüber an den Offenbachplatz, gucken nach, ob es wirklich fertig ist – und dann können wir unseren Umzug angehen, weil wir vorbereitet sind. Es gibt einen Point-of-no-return, wo man Infrastruktur im Depot auseinandernimmt, die man dann nicht wieder einfach zusammenkriegt. Für den Betrieb wäre es das Beste, die gesamte nächste Spielzeit im Depot planen zu können. Und für Kay Voges wäre es gut, wenn er im Herbst 2025 mit einer großen Eröffnung am Offenbachplatz starten kann.

Wenn man jetzt die Gewerke fragen würde, wollt ihr überhaupt noch umziehen, oder wollt ihr lieber im Depot bleiben, wie fiele das Ergebnis aus?

Wir wissen alle, dass das Theater wieder zurück in die Mitte der Stadt gehört und das wollen wir auch. Trotzdem haben viele keine Haltung zum Offenbachplatz, zum Teil auch, weil sie erst in den Interimsjahren dazugestoßen sind. Für die ist das Schauspiel Köln das Depot. Dasselbe gilt für 80 Prozent des Ensembles. Es gibt eben vieles, was für Mülheim spricht. Und der Rat hat ja auch bewilligt, dass das Depot bleibt, auch wenn einem in Köln schwerfällt, zu glauben, dass das dann wirklich so kommen wird. Wir werden noch einige Kräfte im Carlswerk brauchen, wenn die Tanzkompanie kommt. Ich kenne Einzelne, die sagen, ins neue Haus ziehen, das muss ich nicht mehr, ich bleibe gerne hier. Also es ist schon herausfordernd, alle an Bord zu halten, auch was die Emotionen gegenüber der Baustelle am Offenbachplatz betrifft. Alle verstehen, wie schwierig es ist, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Man verliert nur den Glauben daran.

Woran, denken Sie, scheitert die Sanierung? Warum wird man einfach nicht fertig?

Aus meiner Einschätzung ist der Grund der gleiche wie 2015: Ich glaube, der Fehler an diesem gesamten Projekt ist, dass man in ein Gebäudeensemble aus den 50er Jahren Haus- und Gebäudetechnik einbauen muss, die dem aktuellen Stand der Technik entspricht, aber die Gebäudekubatur dabei nicht so verändern darf, wie man das eigentlich müsste. In Fluren, die vorher 1,90 Meter hoch waren, hängt jetzt ein Lüftungskanal, der so groß ist, dass man da nicht mehr hindurchgehen kann.

Aber hätte man das nicht in der Planung voraussehen müssen?

Das war ja damals kein Wettbewerb, sondern eine Ausschreibung, auf die sich Planungsbüros beworben haben. Was für einen Aufwand stecke ich denn als Büro da rein, um diesen Auftrag zu kriegen, wenn es kein Wettbewerb ist? Da guckt man auf interne Erkenntniswerte, was ein Sonderbau mit der und der Kubatur aus dem und dem Jahr an Planungskosten verbrauchen könnte und rechnet ein Angebot aus. Ich bin davon überzeugt, dass die Planungsbüros damals nicht genug Zeit für ihre Planung hatten und darum die Probleme nicht erkannt wurden.

Also hätte man einen Wettbewerb ausschreiben sollen?

Heute wählt man für diese Projekte eine andere, dynamischere Form von Verfahren und versucht agiler zu arbeiten. Insbesondere für Bauen im Bestand hat man gelernt, schneller auf die Umstände zu reagieren. Jetzt, würde ich sagen, ist man vom Baufortschritt in den letzten 15, 20 Prozent. Aber die sind natürlich hart. Da wurden Teile verbaut, die ihre Zulassung schon verloren haben, bevor sie das erste Mal in Benutzung waren, Hydraulikschläuche in der Untermaschinerie zum Beispiel. Die muss man revisionieren, bevor die ersten Zuschauer da waren.

Ist der Stand der Technik von anno 2015 nicht auch überholt?

Ja und nein. Das Traurige ist, dass dadurch, dass unsere Nutzeranforderungen seit Planungsbeginn nicht aufgefrischt wurden, man trotz der immens gestiegenen Kosten nur den Gegenwert von dem bekommt, was damals kalkuliert wurde. Zum Glück haben wir einen Teil der Technik – Beamer, Medienserver, Lautsprecheranlagen, Mischpulte, Scheinwerfer – noch gar nicht bestellt. Wir sitzen jetzt sehr intensiv daran, das alles auszusuchen. Und Technik, die schon 2015 schon gekauft wurde, ist zum Glück im Depot die ganze Zeit genutzt worden.

Hinterher ist man zwar immer schlauer, aber trotzdem: Wie hätte man es Ihrer Meinung nach besser machen können?

Ich glaube, man müsste sich als Theater hinstellen und sagen: Wir ziehen hier gar nicht richtig aus, macht das alles drumherum. Damit der Druck nicht rausgeht, denn sonst verstehen die Planer und die Firmen einfach nicht, was es für die Bühnen und die Stadt bedeutet, dass man da nicht hin kann.

Nachtmodus
KStA abonnieren