Russischer Regisseur„Alle haben Angst, zu sagen, was sie denken“

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Der russische Regisseur Danila Korogodsky  

Berlin – Danila Korogodsky (66) hat als Bühnenbildner eine internationale Karriere gemacht, bevor er 2006 die künstlerische Leitung des Theaters Pokoleniy in St. Petersburg übernahm. Der Sohn eines Theaterleiters und einer Drehbuchautorin arbeitete als Bühnenbildner auch an den Opern in Bielefeld und Dessau sowie am Schauspiel Bonn und am Theater Parkaue in Berlin.

Am 4. März 2022 verließ er mit seiner Frau St. Petersburg – momentan lebt er bei Freunden in Berlin. Eine aktuelle Ausstellung Korogodskys in der hermitage.berlin zeigt künstlerische Arbeiten für die in St. Petersburg aufgeführte Version von Hans Magnus Enzensbergers Stück „Der Untergang der Titanic“, Kurt Weills „Die Bürgschaft“ und Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“.

Herr Korogodsky, Sie sind Anfang März mit Ihrer Frau aus St. Petersburg nach Berlin gefahren, um vorläufig in Deutschland zu leben. Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung?

Danila Korogodsky: Ich hatte kurioser Weise ohnehin vor, nach Deutschland zu fliegen, weil ich am 17. März eine Ausstellungseröffnung in Berlin hatte. Als wir die Ausstellung planten, gab es noch keinen Krieg – und als wir fliegen wollten, konnten wir nicht mehr fliegen, der Flughafen war geschlossen. Wir haben sehr spontan entschieden, mit dem Zug nach Helsinki zu fahren und von dort weiter nach Deutschland. Es spielte eine große Rolle, dass die Atmosphäre in Russland sehr bedrückend war.

Was heißt spontan entschieden?

So spontan, dass ich sogar vergessen habe, meine Hosen einzupacken! Vielleicht habe ich vieles deswegen nicht mitgenommen, weil ich nicht wahrhaben wollte und will, dass ich für längere Zeit weg sein werde. Ich habe gelacht, als ich das mit den Hosen bemerkt habe. Aber der Krieg ist natürlich kein Witz. Er macht mich unfassbar traurig und leer.

Russland ist der Aggressor

Putin spricht von „militärischen Spezialoperationen“ und verbietet es den Menschen, von „Krieg“ zu sprechen.

In Russland geht das nicht mehr, das stimmt. Das ist ein Grund dafür, dass ich nicht bleiben wollte. Ich bin zu alt dafür, mir sagen zu lassen, was ich sagen darf und was nicht. Russland ist der Aggressor in diesem Krieg, dass muss ich leider so sagen, auch wenn es mir schwerfällt, weil ich mein Land liebe und es meine gesamte Identität ausmacht.

Haben Sie auch Petitionen unterschrieben, die Putin aufgefordert haben, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden?

Ja, einige in den ersten Tagen des Krieges. Ich weiß gar nicht genau, welche veröffentlicht wurden und welche nicht.

Welche Bilder tauchen auf, wenn Sie an die vergangenen drei Wochen denken, die letzten Tage in Russland und die ersten in Berlin?

Ich hoffe, dass es nicht meine letzten Tage in Russland gewesen sind! Ein paar Tage vor unserer Abreise wollte ich das Grab meiner Eltern besuchen, 40 Kilometer vor St. Petersburg, der Friedhof liegt in einem gut betuchten Ort, an dem viele Oligarchen ihre Datschen haben. Ich habe es nicht mehr geschafft, weil ich zu viele andere Dinge im Kopf hatte. Der Krieg hat mich total verwirrt. Aber ich denke jetzt manchmal daran, dass es ein Fehler war, nicht mehr da gewesen zu sein. Mir fallen auch die freundlichen Passkontrolleure im Zug nach Helsinki ein, die nach dem Anlass unserer Reise fragten – und denen wir wahrheitsgemäß sagten, dass ich eine Ausstellung in Berlin habe. Statt zu sagen, Russland habe einen furchtbaren Krieg begonnen und auch uns älteren Menschen damit unserer Zukunftsaussichten beraubt. 

Worte und Gedanken zensiert

Hatten Sie Angst, in Russland festgenommen zu werden?

Nicht, festgenommen zu werden. Aber es hat sich eine seltsame Angst eingeschlichen, meine eigenen Worte und Gedanken zensieren zu müssen. Das haben sie geschafft: Dass bei allen eine diffuse Angst entsteht, zu sagen, was man denkt. Bei jedem Wort zu überlegen: Was passiert, wenn ich das jetzt sage? Wenn Du in einer freien Gesellschaft lebst, kontrollierst Du nicht, was du sagst.

Hatten Sie das Gefühl, zensiert zu werden, auch vor dem Krieg?

Nein. Das Theater Pokoleniy in St. Petersburg, das seit 1990 zunächst mein Vater geleitet hat und seit 2005 ich, stand für das Gegenteil der alten Sowjetunion: Es stand für Offenheit, Vielfalt an Meinungen, auch Kritik. Es hat Grenzen geöffnet und mit Künstlern vieler Länder zusammengearbeitet, vor allem aber hat es gegen die Grenzen in unseren Köpfen gearbeitet. Wir haben nie politische Direktiven erlebt. Wir hatten offenbar Glück. Diese Zeiten sind vermutlich jetzt vorbei.

Das ist traurig – die Kultur war immer auch ein Aufklärer und Brückenbauer….

Ja, es macht mich auch sehr traurig. Aber betroffen machen sollte uns gerade vor allem, dass jeden Tag Kinder durch Bomben sterben. Das muss aufhören, sofort.

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Sie haben als Bühnenbildner auf der ganzen Welt gearbeitet, viele Jahre in den USA, auch an der Oper in Bielefeld & Dessau sowie am Schauspiel Bonn und dem Theater Parkaue Berlin.

Ich hatte eine internationale Karriere. Aber ich bin immer nur Russland richtig verbunden geblieben. Ich finde das Land wunderbar, seine Widersprüche, seine Menschen, vor allem auch seine kulturellen Errungenschaften: denken Sie nur an die Literatur, den Tanz, die Musik, das Theater, die Architektur. All diese stolzen Leistungen der Zivilisation machen es jetzt besonders tragisch: Die Wahrnehmung auf Russland verändert sich dramatisch ins Negative. Das Land wird jetzt assoziiert mit Brutalität, Rohheit, Mord an Zivilisten. Das erzeugt eine Leere in mir, die ich nicht kannte.

Denken Sie daran, die Erfahrungen künstlerisch zu verarbeiten?

Im Moment bin ich zu leer, aber ich hoffe es. Ich spreche auch mit meinen Berliner Freunden aus der Theaterszene darüber. Ich denke auch manchmal darüber nach, was ich als junger Mensch getan hätte: Statt Hemingway, Remarque und Neruda zu lesen wie jetzt, wäre ich wohl auf die Straße gegangen. Ich weiß es nicht. Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, musst du als Künstler eigentlich genau dazu etwas machen: Wie Federico Fellini in „Achteinhalb“, dieser grandiose Film über einen Filmregisseur, dem nichts mehr einfällt.

Russland hat nie um Vergebung gebeten

In Zeiten großer Krisen finden Kunstschaffende manchmal Antworten, die Politiker nicht haben…

Die ganze russische Kultur konnte den Krieg nicht verhindern. Eine Ursache liegt für mich auch darin, dass Russland seine Geschichte nie richtig aufgearbeitet hat. Im Gegensatz zu Deutschland mit seiner Erinnerungskultur an den Holocaust hat das Land nie um Vergebung gebeten. Es gab nie ein Eingeständnis von Fehlern.

Im Moment wird russischen Künstlerinnen und Künstlern verboten, aufzutreten, wenn sie irgendeine Nähe zum Kreml haben…

Ich finde das einfach dumm. Dann könnte man gleich die ganze Kultur verbieten! Hitler liebte Wagner, Wagner war Antisemit, Emil Nolde war in der NSDAP… das ist wirklich lächerlich, auch wenn man das Canceln irgendwie verstehen kann, um mit seiner Wut umzugehen. Aber ich finde diesen Umgang mit Künstlern naiv und unzivilisiert.

Was ist Ihre größte Hoffnung für die nächsten Monate?

Dass das Töten aufhört. Das Kämpfen. Heute. Jetzt. Gleich. Ich weiß nicht, wie realistisch das ist. Ich hoffe, der Krieg weitet sich nicht aus und es gibt keinen Dritten Weltkrieg.

Was tun Sie, damit sie nicht ohnmächtig bleiben?

Ich spreche mit meinen Theaterfreunden. Wir gehen in Ausstellungen und in den Park. Ich habe eben ein Foto von meinem dreijährigen Enkel bekommen. Mein viertes Enkelkind ist ein Mädchen, sie ist am 16. Februar geboren. Ich liebe meine Enkelkinder, meine Kinder, meine Frau und meine Freunde. Egal, wie schrecklich die Umstände sind: Menschen werden weiter leben, sie werden sich weiter lieben und versuchen, an eine Zukunft zu glauben.

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