Kölner Theater der KellerKönig Ubu“ am Abgrund des Anthropozäns

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König Ubu sitzt mit freiem Oberkörper und pompöser Krone an einem Tisch, rechts und links neben ihm seine zwei Gefolgsleute mit Zigarette und Ritterhelm.

„König Ubu“ im Theater der Keller in Köln.

Charlotte Sprengers sechste Regiearbeit am Kölner Theater der Keller dreht Alfred Jarrys „König Ubu“ durch den Fleischwolf. Das erwartet Sie.

Der alte König in seinem Reich. Da sitzt das Monster auf der Bühne, blind, wie König Lear in Kurosawas „Ran“, ein Zausel reduziert auf seine Urinstinkte. Nackt, nach einem grotesken Striptease, seine Notdurft verrichtend. In einen Eimer. Will Wurst, will essen, will Liebe und ist doch selbst im Zustand jämmerlicher Demenz noch ein polternder Patriarch, dessen Glied wie eine wertlose Trophäe bloßgestellt wird.

Regisseurin Charlotte Sprenger hat bei ihrer bereits sechsten Regiearbeit im Theater der Keller Alfred Jarrys Stück „König Ubu“ durch den Fleischwolf gedreht und bis zur Unkenntlichkeit überschrieben. Von der Handlung des ursprünglichen Stückes, das seit seiner Uraufführung im Jahre 1896 zu einem Meilenstein des modernen Theaters geworden ist, bleibt kaum etwas übrig.

Alfread Jarrys „König Ubu“ ist Charlotte Sprengers sechste Regiearbeit am Theater der Keller

Père Ubus skrupelloser Weg zur Macht, seine Gewaltexzesse, sein Sturz und seine Flucht: das alles lässt die Inszenierung weg. Bei Charlotte Sprenger scheint dies alles schon vorbei zu sein: hier kämpft ein König am Abgrund des Anthropozäns mit lächerlicher Kraftlosigkeit gegen die Sinnlosigkeit einer menschlichen Existenz an, die mit Volldampf auf ihr Ende zusteuert.

Der Palast, ein Pappgebäude, auf dem Videoaufnahmen einer brennenden Stadt im Krieg zu sehen sind, visualisierte Zustandsbeschreibung einer Gegenwart, die in der Ukraine trauriger Alltag ist. An seiner Seite eine zweiköpfige Entourage, die klammheimlich die Rebellion sucht, um dann doch, mangels eigener Initiative, dem Tyrannen die Treue zu halten.

Brit Purwin, letztjährige Gewinnerin des Nachwuchspreises Puck, und Frank Casali, längst unverzichtbares Mitglied im Keller-Theater, überzeugen im Wechselspiel von devoter Dienerschaft und versteckter Revolte.

Theater mit allen Sinnen: „König Ubu“ anfangs stumm, dann mit Tempo

Das Trio spielt dabei losgelöst im Theaterkosmos, anfangs stumm und langsam, reduziert mit Beckettschen Gusto, um dann umso mehr, wie in Christoph Schlingensiefs wilden Tagen, aufs Tempo zu drücken. Das Publikum bekommt hier Theater mit allen Sinnen geboten. Wird gerührt, geschüttelt, irritiert und verwirrt, bis es sich, wie König Ubu, dem Wahnsinn einer Gegenwart beugt, die lieber Klimaaktivisten verteufelt, als Antworten und Lösungen auf die anstehenden Probleme zu suchen.

König Ubu, Theater der Keller

König Ubu, Theater der Keller

Daniel Breitfelder, bekannt durch seine Arbeit am Theater Bonn, aber in Köln auch im Theater Bauturm zu sehen, liefert hier eine wahre Tour de Force ab. Die Triggerwarnung fürs Publikum, das im Stück Nacktheit vorkommt, gilt in erster Linie seinem Auftreten. Sein König Ubu ist selten bekleidet und in seiner Schamlosigkeit ebenso provozierend wie verletzlich. Ein nackter Narr, in dem das Böse lauert.

„König Ubu“ im Theater der Keller mit konterkarierenden Videobildern

Irgendwann werden ihm in einer grotesken „Geburtsszene“ Schwerter, Helme und die Insignien der Macht aus dem Darm gezogen, während Videobilder laufen, die zeigen, wie zerhacktes Fleisch in Wurstgedärme gepresst wird. Immer wieder befeuern konterkarierende Videobilder das Bühnengeschehen, sorgen für Lacher und Assoziationen, wie bei einem Vortrag aus dem OFF über den zivilisatorischen Entwicklungsprozess des Menschen, bei dem im Video Pinguine zu sehen sind.

Viel Hoffnung wiederum, dass hinter der menschlichen Hülle aus Haut, Fleisch und Knochen viel mehr ist, als eine Wolfsnatur, wie sie ein Zitat von Wolfram Lotz im Stück beschreibt, liefert dieser König Ubu nicht.

Das Flehen nach einer überirdischen Rettung, wenn das Trio gegen Ende nackt die Hände wie im Gebet einem Bühnenlicht entgegenstrecken, bleibt unerhört. Vielmehr geht es hier zurück auf Los in dem Zivilisationsreigen, wenn im Schlussbild die Männer das Zeitliche gesegnet haben und die allein zurückbleibende Frau nur noch einem Huhn Gesellschaft leistet. Finale eines furiosen Parforceritts auf der Bühne, der vom Premierenpublikum mit langem Applaus belohnt wurde.

Termine „König Ubu“: 3, 10. und 24. Juni um 20 Uhr, 4. Juni um 18 Uhr. Theater der Keller.

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