Sonja Baum überzeugt in einer rundum gelungenen Inszenierung im Theater im Bauturm.
Theaterstück „Prima Facie“ über MeTooKeine Empathie für die Opfer

Sonja Baum spielt die Strafverteidigerin Tessa in „Prima Facie“
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Mit ihrem weltweiten Erfolgsstück „Prima Facie“ ist es der Australierin Suzie Miller gelungen, eines der wichtigsten Themen der „MeToo“-Bewegung auf die Bühnen zu bringen. Jetzt kommt das Justizdrama um eine Strafverteidigerin, die ihren Vergewaltiger anzeigt, unter der Regie von Martin Schulze in einer rundum gelungenen Inszenierung auch ins Theater im Bauturm.
Sonja Baum spielt in dem Solo-Stück in Köln die brillante britische Anwältin Tessa Ensler. In imposanter roter Robe und schickem Businessanzug betritt die Schauspielerin den Saal. Martin Schulze und die Ausstatterin Lucie Hedderich überlassen ihr ganz das Feld. Helles Bürolicht leuchtet die Bühne aus, deren vorderer Teil in drei kleine Boxen geteilt ist. Ein paar Stühle sind das markanteste Requisit, ansonsten gehört die Bühne ganz Sonja Baum.
Die präsentiert uns Tessa Ensler als eine selbstsichere und siegessichere Karrierefrau, die sich, aus einfachen Verhältnissen stammend, weit nach oben gekämpft hat. Als Angestellte einer Topkanzlei führt sie mit süffisanter Souveränität das Publikum zuerst einmal in die Regeln der britischen Justiz ein. Hier dürfen im Kreuzverhör die Zeugen nach allen Regeln der juristischen Kunst in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert werden.
Das Gesetz gibt den Opfern keinen Raum, zu ihrem Recht zu kommen
Tessas Fachgebiet sind dabei Sexualdelikte. Dass ihre männlichen Mandanten eine Frau als Verteidigerin wählen, um vor Gericht besser dazustehen, kümmert sie nicht. Es ist für sie eine Rolle in einem Spiel, bei dem jeder Beteiligte möglichst das Beste für seine Seite herausholen will. Empathie für die weiblichen Opfer, die hier eine wahre Tortur erfahren, wenn sie das Erlebte vor Gericht erzählen müssen, blendet sie aus, weiß sie doch konsequent die Schwachstelle solcher Verfahren zu nutzen. Es ist dem Opfer sexualisierter Gewalt kaum möglich, sich im Ganzen und in allen Details an ein solch traumatisches Erlebnis einer Vergewaltigung zu erinnern.
Das Gesetz, seit ewigen Zeiten von Männern gemacht, gibt den weiblichen Opfern kaum Möglichkeiten zu ihrem Recht zu kommen. Was das bedeutet, erfährt die Protagonistin im Stück plötzlich selbst. Die sich anbahnende Affäre mit dem smarten Kollegen Julien endet in einem Alptraum. Zuvor hatten beide zweimal einvernehmlichen Sex, aber beim dritten Mal, Tessa war betrunken und musste sich übergeben, geschah der Beischlaf gegen ihrer Willen. Obwohl sie Nein sagt und sich wehrt, wird sie von ihm in ihrer Wohnung vergewaltigt.
Sonja Baum gelingt es, mit ihrem ebenso virtuosen wie facettenreichen Spiel das Publikum über die gut 100 Minuten zu fesseln. Aus der zynisch auftretenden Staranwältin wird nun das waidwunde Opfer einer Vergewaltigung. Ihr gerade noch vorgetragenes Plädoyer für die Unschuldsvermutung als grundlegendes Element des Justizsystems, erweist sich auf einmal als fatale Zementierung eines gesellschaftlichen Status Quo, in dem die erdrückende Mehrheit der Vergewaltigungen ungesühnt bleibt.
Was das mit dem Opfern macht, schildert Tessa eindringlich: „Ich habe meine Würde und mein Selbstbewusstsein verloren, die Arbeitsstelle gewechselt, habe Freunde verloren, meinen Seelenfrieden, meine Sicherheit, die Freude am Sex.“ 782 Tage vergehen, bis Tessa Ensler sich selber vor Gericht vertreten wird. Noch einmal muss sie die Vergewaltigung in allen Einzelheiten schildern. Es ist ihr ganz persönlicher Kampf, von dem sie ahnt, dass er juristisch aussichtslos ist, der aber aus persönlichen und politischen Gründen geführt werden muss.
Und so steht am Ende die Frage im Raum, ob es im Falle von Sexualdelikten nicht an der Zeit wäre, die Voraussetzungen des Gesetzes zu hinterfragen, statt die Opfer. Oder wie es die Französin Gisèle Pelicot in ihrem Prozess postulierte: „Die Scham muss die Seite wechseln!“
Theater im Bauturm, nächste Termine: 26. Juni, 27. Juni, 12. Juli (jeweils 20 Uhr) und 13. Juli (15 Uhr).