Uraufführung im Schauspiel KölnDie gefährlichen Träume gekränkter Männer

Lesezeit 4 Minuten
Die letzten Männer des Westens
von Tobias Ginsburg
Regie: Rafael Sanchez
 
Regie: Rafael Sanchez
Bühne: Eva-Maria Bauer
Kostüme: Ursula Leuenberger
Video: Meika Dresenkamp
Musik: Cornelius Borgolte
Licht: Jürgen Kapitein
Dramaturgie: Sibylle Dudek
 
Foto: Krafft Angerer

Szene aus „Die letzten Männer des Westens“, in der Mitte Yuri Englert als Alt-right-Agitator Milo Yiannopoulos

Autor Tobias Ginsburg zeichnet die krausen Ideen rechter Männerbünde nach. Rafael Sanchez bringt sie auf die Bühne. Unsere Kritik.

Eine Stretchlimousine, Marke Hummer, schießt durchs offene Fabriktor herein, wie ein großer, dicker Penis. Ihr entsteigt Pepe, der Frosch. Er baut sich vorm Publikum im Depot 2 auf, die Arme hoch, die Beine breit. Sein grün glitzernder Körper ist anthropomorph. Die Tümpel, denen er entsteigt, sind die zum Gamingroom umfunktionierten Kinderzimmer spätpubertierender Jungs. Sein Leben begann Pepe recht unschuldig als Comicverkörperung enthemmt-bekifften Jungmännertums, mit bis zu den Knöcheln heruntergelassener Hose im Stehen pinkelnd: „Fühlt sich gut an, Mann!“

Doch von da wurde er Mitte der Zehner Jahre von der aufkommenden Alt-right-Bewegung, den Internet-affinen amerikanischen Neonazis, gekidnappt, zu ihrem Meme und Maskottchen erklärt. Oder, wie es Yuri Englert in der Froschrolle formuliert: „Ich wurde der Held der jungen Kerle, die sich ausgeschlossen fühlen, im Stich gelassen, gemeinsam einsam im digitalen Kosmos aus Selbsthass, Ekel, Wut.“

Tobias Ginsburg hat sich undercover in verschieden rechte Männerbünde eingeschleust

Eben diese Bewegung, von gekränkter Männlichkeit zu Antifeminismus, Homophobie und Transfeindlichkeit zu offenem und oft genug mörderischen Rechtsradikalismus, hat der Autor Tobias Ginsburg in seinem Buch „Die letzten Männer des Westens“ nachgezeichnet, in dem er sich selbst, Günter-Wallraff-Style, in verschiedene rechte Männerbünde einschleuste. Er sei weiß und männlich, da gäbe es für ihn keine No-go-Areas, schreibt Ginsburg. Und als deutscher Jude sei er es sowieso gewohnt, sich zu assimilieren. Das war 2021, das Thema hat allerdings an Aktualität nichts verloren.

Jetzt hat Rafael Sanchez, Hausregisseur und designierter Interims-Intendant des Kölner Schauspiels, die literarische Reportage mit Unterstützung des Autors – er spielt via Video mit und erstellte zusammen mit Sibylle Dudek die Spielfassung – in einen Abend verwandelt, der die Zuschauer fassungslos, aber auch extrem gut unterhalten zurücklässt. So gut, dass Sanchez sie mit einem mahnenden Schlusswort von Ginsburg entlässt: Die Zuversicht, dass irgendwie schon alles gut werde mit der Demokratie könnten wir uns nicht leisten. Es gehe um Gedanken und Ideen, die sich nicht irgendwo da draußen, sondern in uns ausbreiten.

Die letzten Männer des Westens
von Tobias Ginsburg
Regie: Rafael Sanchez
 
Regie: Rafael Sanchez
Bühne: Eva-Maria Bauer
Kostüme: Ursula Leuenberger
Video: Meika Dresenkamp
Musik: Cornelius Borgolte
Licht: Jürgen Kapitein
Dramaturgie: Sibylle Dudek
 
Foto: Krafft Angerer

Auf der Videoleinwand: Autor Tobias Ginsburg, davor Yvon Jansen als Tobias Ginsburg.

Der Abend beginnt, noch vergleichsweise harmlos im Wald. Ein paar Baumstümpfe stehen erigiert im Depot 2 herum (Bühne: Eva-Marie Bauer), dazwischen streifen eine Handvoll verirrter Männer. Es handelt sich um eine FDP-nahe Männerrechtsvereinigung, die sich hier auf einem Grillplatz hinter einer Jugendherberge in der Nähe von Jena trifft. Mittelständler, Akademiker, Anwälte, Arrivierte aus der Mitte der Gesellschaft, die sich dennoch an den Rand gedrängt fühlen. Von Feministinnen und Familienrechtlern, von „Gutmenschen“ und vom „Gender-Gaga“ (Benjamin Höppner spricht das beharrlich mit hartem „G“ aus).

Yvon Jansen spielt den Undercover-Autor, mit Glatzenkappe und angeklebtem Oberlippenbart und das ist in mehrfacher Hinsicht eine gute Entscheidung: Sie bleibt bei allen Assimilierungskünsten ein Fremdkörper im Testosteronbad, ein Dragking, der Normalität performt, während die Gekränkten um sie herum einen Maskulinitätszirkus aufführen, der umso abstruser erscheint, als desto „natürlicher“ die gespielte Männlichkeit behauptet wird.

Tobias Ginsburg ist der Anti-Borat, er provoziert keine reaktionären Reaktionen, er hält sich im Hintergrund, nickt und versteht, während sich seine Protagonisten um Kopf und Kragen reden. Nur wenn der Autor von seiner eigenen Verstörung ob des Gehörten spricht, legt Jansen eine gewisse Schärfe in ihre Stimme.

Die Gefahr ist unsere Zuversicht. Die Vorstellung, dass es schon irgendwie am Ende gut werden würde. Dass die Demokratie ja siegen wird, weil sie siegen muss.
Tobias Ginsburg

Wie Gulliver reist Ginsburg von Parallelgesellschaft zu Parallelgesellschaft, zu einer „Straight Pride Parade“ in Boston („Kicherfaschismus“ nennt er das rechte Getrolle zutreffend), zur schlagenden Verbindung in Marburg, zur ultrarechten polnischen Denkfabrik Ordo Iuris. Und wie „Gullivers Reisen“ sind auch seine Erkundungen keine Kinderbelustigungen, so kurios sie auch erscheinen mögen: Wie Birgit Walter, die als empörter Unternehmer einen Overheadprojektor-Vortrag gegen Selbstverteidigungskurse für Frauen hält: „Es kann so ziemlich jeden Mann treffen, auch oft unverschuldet: Die Zahl der nachgewiesenen Vergewaltigungen, das ist ja im Mini-Bereich.“

Wie Kei Muramota, der als Manosphere-Influencer misogyne Sprüche herausbrüllt – Frauen wollen keine Empathie – da musst du kommen und sagen „Sitz!“ und „Platz!“ und „Aus!“ – wie einst Tom Cruise in „Magnolia“ („Respect the cock!“). Oder wie Nikolaus Benda als Neonazi, der den Hip-Hop für sich entdeckt hat: „Ich bin kein Aktivist mehr, ich bin jetzt Rapper! Wir können auf der Straße eine Massenschlägerei anfangen – und die einzige Konsequenz? Mehr Hörer!“

Dazu findet Sanchez eindrückliche Szenen, Nicola Gründel gibt die Dokumentarfilmerin und Männerversteherin Cassie Jaye („The Red Pill“) als aufgekratztes Videogirl, Andreas Grötzinger verwandelt sich in einen lebenden Arno-Breker-Adler, kurz zuvor hat er als einsamer Mann eine Countertenor-Arie so schön gesungen, dass er Szenenapplaus erhält.

Auch Ginsburg zeigt durchaus Verständnis für die Verunsicherten, aber das hat Grenzen, denn einer der Männer, die ihm hier ihr Herz ausschütten oder große Pläne schmieden, könnte der nächste Anders Breivik sein, dank ihres Giftes könnten die USA zum faschistischen Gottesstaat degenerieren, oder in Deutschland die Hitler-Diktatur neu aufgelegt werden.

Dass der Kampf gegen die Demokratie mit dem Krieg gegen Frauen und sexuelle Minderheiten beginnt – weil man damit, so Ginsburg, ganz viele Leute mitnimmt –, nein, längst begonnen hat, davon muss man das typische Theaterpublikum wahrscheinlich nicht mehr überzeugen. Aber dringlich erinnern allemal.

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