WDR-SinfonieorchesterUmjubeltes Gastspiel in der Kulturhauptstadt

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Cristian Măcelaru dirigiert das WDR-Sinfonieorchester in seiner Heimatstadt.

Cristian Măcelaru dirigiert das WDR-Sinfonieorchester in seiner Heimatstadt.

Das WDR-Sinfonieorchester war mit Chefdirigent Cristian Măcelaru in dessen rumänischer Heimatstadt Timișoara, der aktuellen Kulturhauptstadt Europas, zu Gast. Ein Reisebericht.

Am Siegesplatz von Timișoara verstecken sich die großbürgerlichen Wohnpaläste aus den 1910er Jahren hinter Bauplanen. Die Flaniermeile der westrumänischen Großstadt wird großflächig restauriert. Auf den Planen wird mit bunten Bildchen das propere Ergebnis der Anstrengungen bereits vorweggenommen, in die Dank Timișoaras Titel als Kulturhauptstadt 2023 üppige EU-Fördergelder fließen. Vieles in der drittgrößten Stadt Rumäniens ist bereits mustergültig saniert, wie etwa das imposante Lloyd-Gebäude gegenüber dem Opernhaus, ein Jugendstil-Traum, in dem sich das Polytechnikum und ein stilvolles Restaurant befinden.

Auf dem Opernplatz nahm die Revolution von 1989 ihren Anfang

Bis 1989 hieß der Siegesplatz noch Opernplatz, doch während der Rumänischen Revolution, die tatsächlich in Timișoara – und nicht in der Hauptstadt Bukarest – ihren Anfang nahm, war die heutige Piața Victoriei zentraler Schauplatz der ersten Demonstrationen und blutigen Unruhen, die schließlich zum gewaltsamen Sturz des Regimes unter Nicolae Ceaușescu führen sollten.

Timișoara besitzt noch ältere Plätze, etwa den Unions-Platz mit katholischem Dom auf der einen, einer serbisch-orthodoxen Kathedrale auf der anderen Seite und einem barocken Schlossbau nach Wiener Vorbild, in dem das Kunstmuseum seine Sammlung und mehrere Wechselausstellungen präsentiert. Darunter die beachtliche Werkschau des Surrealisten Victor Brauner.

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Neben dem Opernhaus gibt es in Timișoara ein ungarisches und ein deutsches Staatstheater, dessen Tradition auf die Donau-Schwaben zurückgeht. Und die „Filarmonica Banatul“ residiert zwar nur in einem ehemaligen Kino-Saal, kann aber darauf verweisen, dass Johannes Brahms und Gustav Mahler hier am Pult standen. Was daran erinnert, dass diese unverkennbar von ihrer k.u.k-Vergangenheit geprägte Stadt näher an Budapest und Belgrad liegt als an Bukarest, selbst Wien ist mit 500 km Entfernung näher als die Hauptstadt.

Timișoara ist also eine Stadt, die den Kulturhauptstadt-Titel endlich wieder verdient, hatte man doch in den letzten Jahren öfter den Eindruck, dass mit dem Titel Orte bedacht wurden, die ihr kulturelles Leben erst noch erfinden mussten.

Als Kinder kamen wir immer hierhin für die großen Paraden, wenn Ceaușescu zu Besuch kam
Cristian Măcelaru

Vor 43 Jahren wurde hier Cristian Măcelaru als jüngstes von zehn Kindern geboren, genoss die Vorzüge der kostenlosen Musikspezialschulen, ging aber bereits im Teenageralter alleine in die USA, um Geige zu studieren. Wenn man mit Măcelaru durch die aufblühende Stadt spaziert, sprudeln Kindheitserinnerungen aus ihm heraus. Durch einen der großen Parks führte sein Schulweg, vorbei am Denkmal des unbekannten Soldaten. „Als Kinder kamen wir immer hierhin für die großen Paraden, wenn Ceaușescu zu Besuch kam. Alles war voller Kinder, und wir warteten Stunden über Stunden.“

Die Probenpause ist kurz, Măcelaru hat ein volles Programm: Nach kurzer Akklimatisierung gab es in der Philharmonie ein erstes Konzert des WDR Sinfonieorchesters mit Brahms‘ Klavierkonzert Nr.2, seiner 4. Sinfonie, sowie „Caritas“ von Klaus Lang, tags darauf ein Kammerkonzert mit Solisten aus den Reihen des WDR-Orchesters.

Bei Mahlers Dritter mischen sich die Orchester beider Städte

Und den Abschluss der Tour bildet - neben zahlreichen Workshops der Orchestermitglieder für den musikalischen Nachwuchs vor Ort – ein Konzert mit Mahlers Dritter, bei dem sich Mitglieder des vor 75 Jahren gegründeten WDR-Orchesters mit Mitgliedern des mehr als doppelt so alten Orchesters aus Timișoara mischen, was Măcelarus ausdrücklicher Wunsch war: „Es ist ein einzigartiges europäisches Konzept, denn es ist zwar üblich für ein professionelles Orchester, Seite an Seite mit Studenten zu spielen, aber es ist sehr ungewöhnlich, dass zwei professionelle Orchester zusammenspielen.“

Es gilt also, die unterschiedlichen Hör- und Musiziertraditionen zu befragen und zu harmonisieren. In Mahlers Dritter müssen zudem noch ein Kinder- und ein Frauenchor integriert werden. Die Probensprache ist Englisch, die Stimmung entspannt, herzlich.

Schon beim ersten Konzert, als nur Kölner auf dem Podium sitzen, ist der mittelgroße Saal mit einer extrem trockenen Akustik rappelvoll, die schnell ins rhythmische Klatschen fallende Begeisterung ist einhellig. Nach dem Konzert biegen sich die Tische bei einem Empfang, zu dem die Măcelaru-Familie selbst gemachte rumänische Köstlichkeiten kredenzt.

Beim Abschlusskonzert mit Mahlers Dritter platzt der Saal dann aus allen Nähten, stolze Chor-Mütter besetzen wacker bereits belegte Plätze, es müssen weitere Stühle beschafft werden. Corneliu Dan Georgescus „Exorcism“, das Solo-Flötist Michael Faust mit gestochener Klarheit musiziert, wird eher beiläufig quittiert, bis Măcelaru mit Mahlers Dritter sehr weit ausholt.

Die jeder Klangpoesie eigentlich feindliche Akustik versperrt sich den Wonnen verklingender Töne, aber Măcelaru beharrt auf epischer Breite, breit ausschwingenden Tempi und einer beträchtlichen emotionalen Fallhöhe. Das beschert den Ausführenden klangliche Schwerstarbeit, aber Măcelarus Kalkül geht auf: als die betörend kristallklaren Chöre aus Timișoara mit ihrem „Bimm, bamm!“ anheben und Roxana Constantinescu „Oh Mensch!“ mit burgunderrotem Mezzo anstimmt, wird die Aufführung zur Sternstunde. Der abschließende sechste Satz gerät zum versöhnlichen Hymnus, nach dem jubelnden Schlussapplaus fallen die Musiker sich spontan in die Arme.

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