Wolfgang NiedeckenDas Glück einer Zugabe

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Wolfgang Niedecken mit seiner Ehefrau Martina im Garten des Kölner Wohnhauses.

Wolfgang Niedecken mit seiner Ehefrau Martina im Garten des Kölner Wohnhauses.

Köln – Mehr geht nicht. Nicht bei einem Musiker. Ein komplettes Album als Liebeserklärung an eine Frau zu arrangieren ist wohl das höchste der Gefühle. Wolfgang Niedecken widmet ein solches Album jetzt seiner Ehefrau Tina, die er mit sehr gutem Grund als seinen „Schutzengel“ bezeichnet. Denn sie war es, die am 2. November 2011 schnell und effektiv reagierte, als Niedecken in seiner Kölner Wohnung einen Schlaganfall erlitt.

„Ein Bekannter hat gesagt, dass die Tina jetzt wohl eine Bleiweste benötige, damit sie nicht abhebt.“ sagt Niedecken lachend am Küchentisch seiner Kölner Wohnung. Tina Niedecken widerspricht: „Wer so was sagt, der kennt mich schlecht.“ Seine Frau sei sowieso der Ansicht, verrät er weiter, dass Liebeslieder leicht zu schreiben seien. „Stimmt auch“, sagt sie. „Da schreibt man so ein Lied und ist für ein Jahr fein raus. Ich sage ja immer, dass es in der Liebe auf die kleinen Taten ankommt.“

Selbstverständlich steht außer Frage, dass „der Schutzengel“ sehr zu schätzen weiß, was ihm da geboten wird. „Zosamme alt“ ist der alles summierende erste Titel auf dem Album, der ihm auch gleich seinen Namen gibt. Der erste und der letzte Song des Reigens sind Novitäten. Alles andere sind frisch polierte Liebeslieder aus dem reichen Reservoir von BAP. Die werden mal einer Lena, Maria oder Magdalena gewidmet, aber meinen doch immer nur die eine: „Sie ess et Beste, wat ihm je passiert ess.“ Die Platte, die am Freitag erscheint, wirkt angenehm tiefenentspannt. Lässig. Warm. Sanft und satt. Die akustischen Gitarren dominieren, Pedal Steel und Mandoline sind vorneweg, Mundharmonika und – mitten ins Herz bei „Ich wünsch mir, du wöhrs he“ – Posaune sorgen für Akzente.

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„Zugabe – Die Geschichte einer Rückkehr“ von Wolfgang Niedecken (mit Oliver Kobold) erscheint bei Hoffmann und Campe, 352 S., 22,99 Euro. Vor zwei Jahren ist dort der erste Teil erschienen: „Für ’ne Moment“.

Erhältlich ist Wolfgang Niedeckens „Zugabe“ ebenso wie das von ihm gesprochene Hörbuch unter anderem im ksta shop: online unter www.ksta.de/shop und tel. unter 0221/567 99 303 . Außerdem im Servicecenter Breite Str. 72, DuMont-Carré Köln.

Am Freitag, den 18. Oktober (19 Uhr), stellt Wolfgang Niedecken im Gespräch mit Gert Scobel in der Kölner Zentralbibliothek das Buch vor.

„Zosamme alt“ erscheint am Freitag, 13. September. Wolfgang Niedeckens Soloalbum hat 14 Titel und kommt bei seiner neuen Plattenfirma Universal heraus – der dritten nach Eigelstein und der EMI.

Die „BAP zieht den Stecker Tour 2014“ startet am 12. März in Ludwigshafen. Das erste Kölner Konzert ist ausverkauft. Zwei Zusatzkonzerte sind für den 23. und 24. April in der Philharmonie angesetzt.

Über Heinrich Böll sprechen Reinhold Neven DuMont und Niedecken am 29. Oktober, 20 Uhr, in der Kölner Kulturkirche, Siebachstraße. Veranstalter ist das Literaturhaus.

Das Album ist ein weiteres Soloprojekt von Wolfgang Niedecken, wie es das immer wieder einmal gegeben hat. „Fest steht, dass die Soloalben BAP immer weiter gebracht haben“, sagt Niedecken. „Da wurden immer wieder Dinge ausprobiert, die bei BAP so nicht stattgefunden haben. Und darüber reden wir dann und ziehen unsere Lehren daraus.“ Auffallend ist im aktuellen Fall, dass alle Songs ohne Schlagzeug eingespielt wurden. Allerdings darf davon ausgegangen werden: Das wird bei BAP keine Schule machen.

Julian Dawson, ein alter Freund, hat die Band in Woodstock zusammengestellt. Das ist der Ort, der mit dem Rockfestival-Mythos verbunden wird, welches in Wahrheit im 75 Kilometer entfernten Bethel stattgefunden hat. Woodstock ist allerdings der Ort, wohin sich Bob Dylan 1966 nach einem schweren Motorradunfall zurückgezogen hatte. Dort nahm er mit The Band die legendären „Basement Tapes“ auf. Wenn man erst einmal auf dieser Fährte ist, kommt man bei „Zosamme alt“ aus den Dylan-Fußstapfen so schnell nicht heraus. Da wird Dylans Neigung geteilt, vertrautes Songmaterial neu zu arrangieren und damit Hörgewohnheiten aufzubrechen. Da trifft Niedecken beim Frühstück im Café „Bread Alone“ den Dylan-Fotografen Elliott Landy, der dort gerade seine Bilder aufhängt. „Unglaublich“, sagt Niedecken. Weiter ist in der Studio-Band Dylans langjähriger Gitarrist John Campbell aktiv, ein As seines Fachs. Und gegen Ende der Aufnahmen schaut John Sebastian vorbei und spielt Mundharmonika. Sebastian, einst Gründer der „Lovin’ Spoonful“, saß in den 60ern auf dem Rücksitz von Dylans Motorrad. Und mit einer beschwingten Cover-Version von Dylans „All I Really Wanna Do“ endet das Album: „Alles, wat ich zo jähn wöhr“.

Noch vor dem Album kommt die „Zugabe“ auf dem Markt. Der Nachschlag zu Niedeckens Autobiografie „Für ’ne Moment“, die vor zwei Jahren erschienen ist. Das Buch, wieder mit Oliver Kobold als Co-Autor, hat eine typisch BAP’sche Zugabenlänge: Nach dem Haupt-Programm mit 524 Seiten jetzt die fette Zugabe mit 352 Seiten. Darin geht es sehr ausführlich um den Schlaganfall und die Lehre: „Mach mal halblang!“ Ebenso intensiv wird die Arbeit am neuen Album beschrieben. Schließlich ist die Feier zum 60. Geburtstag des Künstlers, bei der es zu einer überraschenden Bläck-Fööss-Reunion kam, ein markantes Kapitel: „Seitdem glaube ich daran“, so steht es geschrieben, „dass man manche Beulen und Schrammen tatsächlich heilen und wieder zusammenflicken kann.“ Gibt es da Reparaturen, an denen ihm gelegen ist? Vor dem Pflaumenkuchen sitzend sagt Niedecken ziemlich entspannt: „Ja – aber das ist alles im Fluss.“

Darüber hinaus schweift die „Zugabe“, die hier und da stilistisch sehr heftig aufrüstet („Et in Arcadia ego“), immer wieder weit zurück in die Viten von Niedecken und seiner Band. Bei der ersten Autobiografie sei viel Material liegen geblieben, sagt Niedecken, „weil wir da doch sehr auf Lücke geschrieben haben“. So ist dieses Buch zumal für Fans eine Fundgrube. Darin erfahren sie auch, wie BAP einst politisch instrumentalisiert werden sollte als „Band der Bewegung“. Von einem, der sich als Manager ausgab, der er nicht war. Diesen Punkt klarzustellen, sagt Niedecken, sei ihm sehr wichtig gewesen.

So wird das Lebens-Mosaik, zu dem Niedecken schon sehr viele Steinchen vorgelegt hat, immer dichter. Buch für Buch. Song für Song.

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