Zum Tod des GIF-ErfindersPanik, Sarkasmus, kulturelle Überlegenheit

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Das „Drinking DiCaprio“-GIF  

Columbus, Ohio – Steve Wilhite interessiert sich für Datenkompression. So sehr, dass er noch nach der Arbeit beim Internet-Provider CompuServe in Columbus, Ohio zu Hause an dem Problem knobelt, wie man digitale Informationen möglichst verlustfrei verdichten könnte. 

Nach einem Monat hat er ein Dateiformat entwickelt,  mit dem hochauflösende Farbbilder selbst mit langsamen Modems schnell verschickt werden können. Sein „Graphics Interchange Format“, kurz GIF, erlaubt es sogar, mehrere übereinanderliegende Bilder in einer Datei abzuspeichern, die  Webbrowser als Animation interpretieren.

Dass er mit seiner Erfindung der vernetzten Welt eine Universalsprache geschenkt hat, kann Wilhite im Jahr 1987 nicht ahnen. Seine GIFs funktionieren zwar nicht im Sinne von Leibniz als Lingua franca, die mathematische Gewissheiten mit metaphysischen Spekulationen verbindet. Dafür aber lassen sich mit Hilfe von GIFs alle Gefühlslagen  ausdrücken, die im Internet als soziale Währung funktionieren: Panik, Sarkasmus und kulturelle Überlegenheit.

Wie man GIF korrekt ausspricht

Nun wurde bekannt, dass Steve Wilhite bereits Mitte März im Alter von 71 Jahren an den Folgen von Covid-19 gestorben ist.  Ihm zu Ehren wollen wir erwähnen, dass der Programmierer stets besonderen Wert auf die richtige Aussprache seiner Erfindung legte: GIF artikuliere man mit weichem „G“, also „Dschif“.

Die heutige Allgegenwärtigkeit des Formats ist kein Selbstläufer. Mitte der 1990er führt der Netscape-Browser geloopte GIFs ein, zum Ende des Jahrzehnts kulminiert der erste GIF-Hype in der Animation eines in seinen Windeln tanzenden Kleinkinds, angeblich Wilhites Lieblings-GIF.  Das Dancing Baby lässt seine Hüften in Musikvideos kreisen, gastiert in der TV-Serie „Ally McBeal“, wird von den „Simpsons“ parodiert.

Wo die Meme herkommen

Es ist die leicht gruselige Idealverkörperung der Mem-Theorie des Biologen Richard Dawkins: Der hat 1976 in seinem Buch „Das egoistische Gen“ das Mem (oder englisch „meme“) als kleine Replikator-Einheit für die kulturelle Entwicklung der Menschen eingeführt: Ein kompaktes Datenpaket, etwa eine zum Mitsummen einladende Melodie, das sich nach den Regeln der Evolution vermehrt – oder verkümmert.

Kurz nach dem „Dancing Baby“-Phänomen geht Wilhites  Format seiner ökologischen Nische verlustig. Das Internet wird schnell und mobil, so viel Datenkompression ist gar nicht mehr nötig: GIFs wirken nur noch als Symbole der Flegeljahre des World Wide Web, wie knallbunte GeoCities-Seiten oder das elektronische Einwähl-Fiepen von 56k-Modems. Laut dem Kreativchef von Tumblr ist das GIF für die Internetgeneration, was die Vinylschallplatte den Boomern  bedeutet.

Seinen Durchbruch als digitales Esperanto verdankt das Bildformat der Blase aus internetbasierter Kommunikation, die uns heute fortwährend umgibt:  Soziale Medien, Dating-Apps, Instant-Messaging-Dienste, Plattformen zur innerbetrieblichen Kommunikation. Sie alle bieten auf ihren Benutzeroberflächen die gängigsten GIFS an, man wählt sie aus, in dem man in ein Suchfenster die entsprechende Emotion oder Reaktion eingibt, die man seinem virtuellen Gegenüber vermitteln will.

Warum dann nicht einfach schreiben, was man fühlt? Warum sollte man das, wenn man es auch mit einem das Sektglas hebenden Leonardo DiCaprio erzählen kann, mit einem badenden Hasen oder einem Popcorn schaufelnden Michael Jackson? Ein bewegtes Bild sagt sehr viel mehr als all die tausend Worte, die zu tippen man sowieso keine Zeit hat. Noch dazu vermittelt es den unmittelbaren Affekt, den Worte nur wolkig umschreiben können.

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Das GIF löst solche Affekt-Momente – den DiCaprio-Toast aus „The Great Gatsby“, den auf die Leinwand starrenden Michael Jackson  aus dem „Thriller“-Video – aus ihrem jeweiligen Kontext, aber eben nicht ganz:  Der ursprüngliche Inhalt verfällt, das Wissen ums kulturelle Wissen bleibt erhalten. Mit anderen Worten: Das GIF pflegt die Kunst des Zitats.

Und, dazu passend, die Kunst des Uneigentlichen: Den „drinking DiCaprio“ verschickt man nicht allein, um jemanden zu seinem Erfolg zu gratulieren, sondern um diesen zugleich ins Lächerliche zu ziehen. Das „Thriller“-GIF drückt weniger die kindliche Freude am Zuschauen aus, als den Rückzug auf die Beobachterposition, weil man eine verunglückte Kommunikation nur noch als billigen Horrorfilm wahrnimmt.

Insofern steht Steve Wilhites Erfindung sinnbildlich für den Zustand des Menschen in der digitalen Welt: Man wird überall verstanden, kann sich aber nie ganz sicher sein, wer sich gerade über einen lustig macht.

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