Jazz-Botschafter, Filmkomponist und vieles mehr: Mit Klaus Doldinger starb einer der bedeutendsten deutschen Nachkriegsmusiker
Zum Tod von Klaus DoldingerDer Mann der vielen Reisepässe

Der Komponist Klaus Doldinger, aufgenommen am Rande von Dreharbeiten zum „Tatort - Wacht am Rhein“.
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Blickt man auf Klaus Doldingers unfassbare sieben Jahrzehnte währende Karriere zurück, könnte man vor Staunen und Ehrfurcht auf die Knie sinken. Der Saxofonist, geboren 1936 in Berlin, prägte und gestaltete den Jazz in Deutschland bereits zu einer Zeit, als die improvisierte Musik noch belächelt wurde, ja sogar verpönt war. „Aber das hat uns angetrieben“, sagte er einmal. „Wir wollten mit dem Kopf durch die Wand, nach dem Motto: Wir werden's denen schon noch zeigen! Die alte Generation war ja noch am Ruder. Und da war Jazz durchaus ein Feindbild.“
Ähnlich bedeutsam wie Pianist Wolfgang Dauner oder Posaunist Albert Mangelsdorff, machte Doldinger den Jazz in Deutschland fashionable: Er verlieh ihm Seriosität und Ausdruck, Stil und Eleganz – und machte ihn exportfähig: Als „Ambassador of German Jazz“ reiste Doldinger um die ganze Welt, immer interessiert am Austausch, an fremden Kulturen und Wurzeln, einstehend für ein anderes, weltoffenes Deutschland. Im Rückblick erscheinen die Stationen seiner musikalischen Karriere wie eine einzigartige Zeitreise, der jedoch wohltuender Weise nie etwas „Staatstragendes“ anhaftete.
Er wollte nie auf einem Podest sein
Ohnehin war es nie in seinem Sinne, ihn auf ein hohes, unerreichbares Podest zu setzen. Eher verschmitzt, beschwingt und heiter erinnerte sich der 83-Jährige während eines Konzerts im Kölner Stadtgarten vor knapp sechs Jahren an die Etappen seiner langen Karriere: Wie er 1955 als 19-Jähriger durch Sidney Bechet das Sopransaxofon entdeckte und dafür bei einem Wettbewerb in Brüssel sogleich einen Preis erhielt; und wie er Mitte der 1960er-Jahre fürs Goethe-Institut durch die Welt reiste, nachdem er mit seiner Düsseldorfer Amateur-Swing-Band „The Feetwarmers“ den Durchbruch erlebte. Kurze Zeit später wurde er Berufsmusiker, kam 1960 erstmals in die USA, nach New Orleans, Chicago, New York, ins „Birdland“, wo ihn Bud Freeman ansagte.
Doldinger bezeichnete diese „Jazz-Traumreise“ als den „ersten großen Einschnitt meiner Karriere“. Zwei Jahre später folgte bereits der zweite Einschnitt, als er 1962 mit Ingfried Hoffmann (Klavier und Orgel), Helmut Kandlberger (Bass) und Klaus Weiß (Schlagzeug) sein erstes, eigenes Quartett gründete. In jener Zeit überschlugen sich förmlich die Ereignisse: Mit der EP „Bossa Nova“ begann die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Producer Siggi Loch, erstmals lehrte er im Fach „Saxofon“ an der Musischen Bildungsstätte in Remscheid, zugleich debütierte er als Leader beim legendären NDR-Jazzworkshop.
Einschnitt Nummer drei wurde für Doldinger dann 1963 die Platte „Doldinger – Jazz Made in Germany“, die in 20 Ländern, darunter auch die USA, veröffentlicht wurde. Wertgeschätzt wurde Doldinger für den ausgereiften, warmen und eloquenten Stil seines Saxofon-Spiels, mit dem er den tradierten Jazz US-amerikanischer Provenienz zunehmend für seinen eigenen, innovativen Stil nutzte: „Klaus Doldinger hat eine Art Tenorsax zu spielen“, lobte ihn Horst Lippmann, „die sehr ‚schwarz‘ ist. Wie ein schwarzer Vollblutmusiker. Harlem at ist best.“
Früh stellte er die Weichen für seine Karriere
Bereits in jenen Jahren stellte Doldinger die Weichen für seine weit größer und breit aufgestellte Karriere. Während er ununterbrochen tourte und auf internationalen Jazz-Festivals gehypt wurde, weitete sich der Jazzmusiker, Komponist, Bandleader, Arrangeur, Dirigent und Plattenproduzent strategisch geschickt zum Allrounder mit entsprechendem Wirkungskreis: 1964 übernahm er mit der Deutschlandpremiere von Gershwins „Girl Crazy“ zum ersten Mal die musikalische Leitung eines Musicals, ohne Berührungsängste kreierte er seinen Paul-Nero-Sound – das Pseudonym wählte er, weil er ahnte, dass ihm Jazz-Puristen diesen vergleichsweise kommerziellen Sound übelnehmen würden. Ins Filmgeschäft stieg er 1966 ein, als er für „Playgirl“ von Will Tremper seinen ersten Soundtrack komponierte.
Den vierten, vielleicht größten Einschnitt seiner Karriere bereitete Doldinger mit großem Bedacht vor: Mit Motherhood stieg er 1970 in den elektrischen Fusion-Sound ein, ein Jahr später eroberte dann Passport die Bühnen und Dancefloors gleichermaßen mit dynamischem, hochenergetischem Jazz-Rock. „Ich bin fasziniert von dieser Musik“, schrieb Joachim E. Behrend. „Sie gehört mit zum besten Rock, der auf der deutschen Szene gemacht wird. Da ist die Rhythm & Blues-Entwicklung zu spüren, die vom Rock’n’Roll herkommt und zur Soulmusik hingeführt hat.“ Der Passport-Siegeszug begann 1972, und eigentlich endete er nie wirklich.
Und er wurde zum Sprungbrett für weitere Meilensteine Doldingers. Die pulsierende Rockriffs setzte er effektvoll in seiner Titelmusik der „Tatort“-Reihe ein. Komplette Scores entstanden für zahlreiche „Tatort“-Krimis, während Doldinger zeitgleich für den jungen deutschen Film komponierte: für Will Tremper, Volker Schlöndorff, Michael Verhoeven und, vor allem, für Wolfgang Petersen. Dessen Welterfolg „Das Boot“ lebte wohl nicht zuletzt auch von Doldingers symphonischer Musik voller düster-bedrohlicher, heftig pulsierender Klangwellen. Ganz anders und doch in der Tradition von Doldingers virtuoser Melodiefindung faszinierte seine Musik zu Petersens Michael-Ende-Verfilmung „Die unendliche Geschichte“.
Bei all seinen Ausflügen in kommerziellere Gefilde blieb Doldinger stets integer und bewahrte sich seine künstlerische wie schöpferische Freiheit. „Künstlerische Rückenfreiheit kostet Geld“, sagte er. „Man muss sie sich bewahren für Dinge, die gerne mal machen möchte, wie Passport. Da habe ich erst einmal 100.000 Mark für Anlage, Instrumente und den Transport investiert. Bevor es losgehen konnte.“ Das Handgemachte blieb lebenslang Doldingers bevorzugte Musik, weshalb ihn der Jazz nie losließ und er ihm nie untreu wurde. Beim Stadtgarten-Konzert vor sechs Jahren spielte der 83-Jährige den Jazz-Standard „Autumn Leaves“, allein Pianist Martin Sasse begleitete ihn so einfühlsam wie respektvoll bei dieser intimen Ballade, der die klare, mitunter helle Schärfe des melodiös plaudernden Sopransaxofons jede Kitsch-Gefahr nimmt – ein Moment für die Ewigkeit. Am 16. Oktober starb Klaus Doldinger, ein halbes Jahr vor seinem 90. Geburtstag.