Erfolgsroman über MillennialsBeziehungsstatus: Es ist kompliziert

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Connell (Paul Mescal) und Marianne (Daisy Edgar-Jones) in einer Szene der Serie „Normal People“ 

  • Sally Rooney erzählt in „Normale Menschen“ die klassische „Boy meets Girl“-Geschichte. Das gab es so oder so ähnlich schon hundertmal. Warum ist sie damit also so erfolgreich?
  • Ihre Protagonisten sind kluge junge Menschen, die die Gewissheit verloren haben, dass es ihnen einmal besser gehen wird als ihren Eltern.
  • Es geht um die große Liebe, aber auch um Mobbing und Gewalt, um zerrüttete Familien, Suizid und Depressionen.

In der Schule tun Marianne und Connell so, als würden sie sich nicht kennen. Der beliebte Mädchenschwarm und Star des Fußballteams und die Außenseiterin, die keine Freunde hat und ihre Verachtung für ihre Mitschüler offen zur Schau stellt. Das darf nicht sein. Marianne kommt aus einer reichen, aber zerrütteten Familie, Connells Mutter ist alleinerziehend und arbeitet als Putzfrau, auch im Haus von Mariannes Familie. Als Connell sie dort einmal abholt, beginnt eine Liebesgeschichte, die unter keinem guten Stern zu stehen scheint.

Aber ist das wirklich so? Ja, man denkt an „Romeo und Julia“ und Jane-Austen-Romane, an Liebende, die ihre Gefühle nicht ausleben dürfen. Aber die Grenzen, die Connells und Mariannes Liebe unmöglich zu machen scheinen, sind vor allem selbstgezogen. Es kommt etwa zu Beginn zu einer ersten Trennung, weil Connell nicht den Mut hat, Marianne zum Abschlussball einzuladen. Stattdessen geht er mit einem beliebten Mädchen hin. Auf der Feier erfährt er dann von einem Freund, dass sowieso alle Bescheid wissen über die beiden. Er hat seine Liebe also völlig grundlos verraten.

Quälende On/Off-Beziehung

Es wird noch viele solcher Situationen geben in Sally Rooneys zweitem Roman „Normale Menschen“, der nun auf Deutsch erschienen ist. Im englischsprachigen Raum ist er ein großer Bestseller, eine BBC-Adaption des Stoffes feiert ebenfalls gigantische Erfolge. Aber warum eigentlich? Es ist die klassische „Boy meets Girl“-Geschichte, die zu einer langen und manchmal quälenden On/Off-Beziehung wird. Das wurde so oder ähnlich schon hundertmal erzählt.

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Sally Rooney

Und dann auch wieder nicht. Es ist die Liebesgeschichte einer Generation. Sie beginnt in einer fiktiven Kleinstadt im Nordwesten Irlands im Januar 2011 und begleitet beide bis in den Februar 2015. Es ist kein Zufall, dass dieser Roman zeitlich so genau gefasst ist. Rooney, Jahrgang 1991, erzählt von Ihresgleichen. Ihre Protagonisten sind geradezu prototypische Vertreter der Millennials, der Titel „Normale Menschen“ ist ohne Ironie zu verstehen. Kluge junge Menschen, die die Gewissheit verloren haben, dass es ihnen einmal besser gehen wird als ihren Eltern, die wie selbstverständlich in der Welt herumreisen und gleichzeitig nicht wissen, wo sie eigentlich hingehören. Rooney selbst bezeichnet sich als Marxistin. Sie wolle gesellschaftliche Verhältnisse abbilden.

Die Autorin

Sally Rooney wurde 1991 geboren, ist in Castlebar, County Mayo, aufgewachsen und lebt in Dublin. Ihr Debüt „Gespräche mit Freunden“ erschien in Deutschland 2019. Ihr zweiter Roman „Normal People“ wurde für den Man Booker Prize 2018 nominiert. „Normale Menschen“ ist jetzt auf Deutsch bei Luchterhand erschienen.

Manchmal scheint es jedoch, dass die Klassenunterschiede, die Mariannes und Connells Beziehung wie ein schwarze Wolke überschatten, vor allem deshalb so viel Macht haben, weil die beiden nicht den Mut haben, sie hinter sich zu lassen. Weil die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht ihnen die Verortung gibt, die ihnen ansonsten fehlt. So bauen sie sich ihr Gefängnis selbst.

Als die beiden später am renommierten Trinity College in Dublin studieren, haben sich die Rollen vertauscht. Nun ist Marianne, die als Tochter einer verwitweten Anwältin weiß, wie man sich in Akademikerkreisen bewegt, beliebt und umschwärmt. Connell, der nur ein Paar Sneaker besitzt und jeden Monat kämpft, um die Miete bezahlen zu können, ist nun derjenige, der sich nicht zugehörig fühlt. An der gegenseitigen Anziehung ändert auch das nichts. Fast jeden Abend sind sie zusammen, kochen, haben Sex, führen lange Gespräche. „Marianne“, sagt er einmal, „ich bin wirklich nicht religiös, aber manchmal denke ich, dass Gott dich für mich erschaffen hat.“

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Da sind sie doch eigentlich ein Paar, sie wollen es nur nicht so nennen. „Wir waren nie richtig zusammen“, heißt es einmal. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Sie stehen ihrem Glück im Weg. Connell, weil er zu stolz ist, Marianne um Hilfe zu bitten. Marianne, weil sie sich minderwertig fühlt und sich immer wieder auf Männer einlässt, die sie schlecht behandeln. Die Sehnsucht und Suche nach Verbindlichkeit, dieser Wechsel von Anziehung und Wegstoßen, bilden den roten Faden des Romans. In diesem Hin und Her finden sich viele wieder, wie die unzähligen Liebesbekundungen in den sozialen Netzwerken beweisen.

Starke Dialoge

Rooneys volle Aufmerksamkeit ist auf Marianne und Connell gerichtet. Viele Nebencharaktere bleiben nur Andeutung. Über einen alten Schulfreund, der sich später das Leben nimmt, erfährt man etwa nicht viel mehr als seinen Namen. Die Dialoge fügen sich ohne Anführungszeichen in den Text ein, nehmen viel Raum ein und sind eindeutig die Stärke des Romans. Fast meint man, das Drehbuch schon mitzulesen. Ihre Prosa, von Zoë Beck ins Deutsche übertragen, ist gradlinig, erlaubt sich selten Ausschmückungen.

„Normale Menschen“ ist voll von schweren Themen, es geht um Mobbing und Gewalt, um zerrüttete Familien, Suizid und Depressionen. Der Roman liest sich dennoch sehr leicht, weil Rooney all das immer nur streift, nie vertieft. Zurück bleibt ein merkwürdiges Gefühl der Unverbindlichkeit. Als Leser befindet man sich in einem andauernden Schwebezustand, der dem von Marianne und Connell erstaunlich ähnelt, und der viel Raum lässt, die Liebenden so auszugestalten, wie man es selbst möchte. Sicher ist auch das einer der Gründe für den großen Erfolg des Romans. Marianne und Connell, das sind wir alle.

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