Fotostadt Köln Teil 1Menschen und Bilder des Jahrhunderts

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Auch das ist die Photographische Sammlung: Harold E. Edgertons „Schneller Schnitt durch die Karte“ (1964), ein Geschenk der Harold and Esther Edgerton Family Foundation.

Auch das ist die Photographische Sammlung: Harold E. Edgertons „Schneller Schnitt durch die Karte“ (1964), ein Geschenk der Harold and Esther Edgerton Family Foundation.

Köln – Im Herzen der Sammlung liegt eine Giftküche, in der, beinahe noch wie zu August Sanders Zeiten, Bilder von eingelagerten Negativen gezogen werden. Für den Besucher macht das Fotolabor erst einmal nicht viel her: Eine Nasszelle mit vielen Wannen und bauchigen Flaschen - ein wenig fühlt man sich in den Chemieunterricht zurückversetzt. Aber genau hier wurden die Abzüge von August Sanders epochalem Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ gemacht, die gerade vom New Yorker Museum of Modern Art gekauft wurden.

Von Sander (1876-1964), der in Köln-Lindenthal ein Fotostudio betrieb und beinahe nebenbei eines der wichtigsten Kunstwerke der Moderne schuf, besitzt die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur fast alles, was man haben kann und als August- Sander-Archiv haben muss. Nämlich rund 5500 Originalabzüge und 11 000 Negative - mehr als an jedem anderen Ort der Welt zu finden sind. Entsprechend gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Sammlung, das Archiv nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter zu erschließen. Denn obwohl wir Sander bestens zu kennen glauben, kennen wir streng genommen nur den kleinsten Teil seines Werks. Rund 3000 Sander-Bilder hat die Sammlung bislang publiziert, darunter die berühmten Porträts von Bauern, Handwerkern und anderen „Typen“ der Gesellschaft. Aber 3000 sind eben nur ein gutes Viertel des Bestands, und in dieser Rechnung sind die - je nach Schätzung - 20 000 bis 40 000 Negative, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, noch gar nicht mitgezählt.

Selbstverständlich liegen in diesem ungehobenen Schatz auch viele Glasperlen. Also Varianten dessen, was wir schon kennen, und Auftragsarbeiten, wie sie in jedem Fotostudio anfallen. Aber eben auch einiges von dem wenigen, das von Sanders kaum bekannten Ausflügen ins Genre der Architekturfotografie erhalten ist: Mit anderen Kölner Fotografen arbeitete Sander eine Zeit lang an einer Vergleichsstudie über die historische Bausubstanz der Stadt und der Architektur des neuen Wohnens.

August Sander hatte in Lindenthal sein Fotostudio, Chargesheimer schlich im Morgengrauen über die Nord-Süd-Fahrt, und L. Fritz Gruber hat die legendären Bilderschauen der Photokina begründet.

Es gibt viele Gründe, warum Köln eine Stadt der Fotografie ist, und ebenso viele Menschen und Institutionen, die sie bis heute maßgeblich prägen.

Wir stellen in lockerer Folge bedeutende aktuelle Kölner Fotografen, Sammler, Händler und Archive vor. Zum Auftakt der Serie haben wir die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur mit dem weltberühmten August-Sander-Archiv besucht. (KoM)

Eher für Spezialisten interessant sind dagegen die Vergleichsstudien dazu, welche Variante eines Motivs August Sander für seine „Menschen“ auswählte. Aber gerade für die Fachleute führt an Köln kein Weg vorbei: Allein im Archiv, so Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung, könne man sehen, wie sich das Werk entwickelt hat und welche Haupt- und Nebenwege Sander ging.

August Sander gibt der ganzen, auf sachlich-dokumentarische Fotografie spezialisierten Sammlung die Richtung vor. Aber er erdrückt sie nicht. In der Sammlung finden sich zahlreiche Klassiker der Fotografie - von Diane Arbus, Karl Blossfeldt und Walker Evans bis zu Albert Renger-Patzsch. Und ein wesentlicher Teil des fotografischen Archivs von Bernd und Hilla Becher. Bei den Bechers, deren anfangs belächelte Reihenaufnahmen von Wassertürmen und anderen Industriebauten mittlerweile wie Ikonen gehandelt werden, konzentriert sich die Photographische Sammlung auf ein bestimmtes Gebiet: auf die Fotografien gesamter Industrieanlagen. Dazu sind die Aufnahmen der bahnbrechenden „Typologien“-Ausstellung als Dauerleihgaben im Bestand und die Aufnahmen der Siegerländer Fachwerkhäuser. Letztere wurden angekauft, als dies mit den bescheidenen Mitteln der Stiftung noch möglich war. Auch die Werkblöcke von Fotografie-Stars wie Lee Friedländer oder Stephen Shore könnte sich Conrath-Scholl bei den heutigen Kunstmarkt-Preisen nicht mehr annähernd leisten.

Was auch sein Gutes hat: Nach 20 Jahren im Kölner Mediapark platzt die Sammlung allmählich aus allen Fugen. Ein großes Kölner Haus der Fotografie, wie es immer mal wieder im Gespräch ist, würde da Abhilfe schaffen. Aber Conrath-Scholl schätzt die Beweglichkeit einer Stiftung mit kurzen Entscheidungswegen und kleinem Team. „Ein großes Haus macht die Sache unpersönlicher“, sagt sie. Andererseits, fügt sie gleich hinzu, ließen sich dann sicherlich mehr als die zwei bis drei Ausstellungen pro Jahr zeigen, die Budget und Mitarbeiterzahl derzeit erlauben. Die Besucherzahlen der Photographischen Sammlung sind nicht schlecht, aber auch nicht so gut, wie es der Bedeutung und dem weltweiten Ruf der Sammlung angemessen wäre. „Die Verweildauer könnte besser sein“, so Conrath-Scholl. Der windige Mediapark ist nicht unbedingt ein einladendes Entree für einen gemütlichen Ausstellungsbesuch. Außerdem fehlt das Geld für ein richtiges Werbebudget: Dass die grandiose Walker-Evans-Ausstellung im Berliner Gropiusbau rund 40 000 Besucher hatte und in Köln nur 6000, kann da niemanden wundern.

Neben den Ausstellungen bietet die Photographische Sammlung noch manches mehr, um eine höhere Verweildauer zu rechtfertigen: etwa eine umfangreiche Bibliothek, die, nach vorheriger Anmeldung, allen Bürger offensteht. Im Studienraum lädt sie zudem regelmäßig zur Wahrnehmungsschule ein: Allein an Originalabzügen, so Gabriele Conrath-Scholl, lässt sich erleben, dass „ein Foto nicht einfach ein Foto ist“. Jeder Abzug ist anders. Und nicht nur bei Sander oft eine Entdeckung.

Die Photographische Sammlung SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Köln. Telefon: 02 21-88 89 53 00. Die Ausstellungen sind täglich außer mittwochs von 14 - 19 Uhr geöffnet, montags ist der Eintritt frei.

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