Jugendschutz im InternetDie einzig anerkannte Software funktioniert auf Handys nicht

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Promi_Big_Brother_Krasavice

Katja Krasavice sitzt im August 2018 bei der Auftaktshow zur neuen Staffel der Sat.1 Realityshow „Promi Big Brother" auf der Bühne. 

Köln – Katja Krasavice ist keine Freundin subtiler Botschaften. Auf ihrem Youtube-Channel, der mehr als 1,4 Millionen Abonnenten hat, lässt sie sich besonders gerne über Sex aus, gibt Tipps, wie man einen Orgasmus vortäuscht und singt etwa im Video zu „Sex Tape“ über ihre sexuellen Vorlieben, während sie leichtbekleidet einen Mann mit Halsband an der Leine über eine Straße führt.

Die meisten Eltern in Deutschland möchten wohl kaum, dass ihre Kinder solche Inhalte sehen, doch diese Clips sind im Internet frei zugänglich. Sex wird zwar in Krasavices Videos nicht gezeigt, aber auch Pornografisches ist im Internet nur wenige Klicks entfernt.

Einmal Ja schreiben genügt

Wer auf einschlägigen Seiten die Frage „Sind Sie 18?“ mit „Ja“ beantwortet, hat freien Zugang zu Millionen eindeutig nicht jugendfreien Inhalten. Der Weg von der Vorschulserie „Kikaninchen“ zu Pornos ist also nicht weit. Und das gilt auch für gewaltverherrlichende Videos oder Inhalte, die Selbstverletzungen, Suizid oder Essstörungen glorifizieren.

Eigentlich dürfte das nicht sein, denn der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) regelt, das Anbieter von so genannten entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten dafür Sorge tragen müssen, dass Kinder und Jugendliche auf solche keinen Zugriff haben. Für das Internet gilt also nichts anderes als für das Fernsehen, wo eben auch keine Pornos laufen.

Umgesetzt werden können diese Vorgaben etwa durch Altersplausibilitätsprüfungen anhand der Personalausweisnummer oder Einsetzen eines Jugendschutz-PIN, wie es Streamingdienste häufig handhaben. Auch zeitliche Beschränkungen sind möglich, so machen es die Öffentlich-Rechtlichen in ihren Mediatheken.

Die dritte Möglichkeiten sind programmierte Kennzeichnungen nach Altersstufen, die durch Jugendschutzprogramme ausgelesen werden können. Das einzige in Deutschland anerkannte Programm ist JusProg, ein Angebot des gleichnamigen Vereins. Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) hat es kürzlich zum zweiten Mal nach 2012 als geeignet beurteilt.

Nun muss in einem nächsten Schritt die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) entscheiden, ob die FSM die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten hat. Die KJM tagt an diesem Mittwoch, und wie aus deren Umfeld zu hören ist, ist es gut möglich, dass sie die Beurteilung für unwirksam erklärt.

Alles hängt von der Anerkennung des Programms ab

Was zunächst sehr abstrakt klingt, könnte weitreichende Folgen haben. Denn nur weil JusProg anerkannt ist, dürfen in Deutschland entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte, wenn sie mit einem zutreffenden Website-Label gekennzeichnet sind, verbreitet werden. Das Problem ist aber, dass das kostenlose Programm, das Eltern auf ihrem Computer installieren müssen, nur auf Windows-PCs funktioniert, nicht aber auf Apple-Geräten und vor allem nicht auf Smartphones.

Diese besitzen aber 97 Prozent der Jugendlichen nach einer aktuellen repräsentativen Studie. „Man sieht ja nicht gerade sehr viele Kinder und Jugendliche, die mit einem stationären Computer über den Schulhof gehen. Und damit wird deutlich, dass wir so oder so ein erhebliches Problem haben“, sagt deshalb Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen dieser Zeitung.

„Kinder und Jugendliche sind dem Einfluss von Gewalt und Pornografie im Netz schutzlos ausgesetzt. Und die Industrie weiß das seit Jahren, hat aber den technischen Jugendschutz trotz aller Versprechen nicht plattformübergreifend weiterentwickelt.“

Martin Drechsler, Geschäftsführer der FSM, sieht der Entscheidung der KJM gelassen entgegen: „Ich bin davon überzeugt, dass die Entscheidung, die die FSM getroffen hat, richtig und rechtmäßig ist, und es keinen Anlass für die KJM gibt, diese Entscheidung zu widerrufen. Wir haben den Beurteilungsspielraum, der uns laut Gesetz zusteht, eingehalten.“

Sollte die KJM dennoch anders entscheiden, werde man prüfen, rechtliche Schritte einzuleiten. Zu den Mitgliedern der FSM gehören Unternehmen wie Facebook und Google. Um Vorwürfen der Einflussnahme entgegen zu wirken, habe die Selbstkontrolle ein externes Sachverständigengremium für die Bewertung von JusProg eingesetzt. „Uns war wichtig, das unabhängigen Experten zu übertragen. Hier wurde eine objektive Entscheidung getroffen, die nicht interessengeleitet ist“, so Drechsler.

FSM-Geschäftsführer weist auf Gesetzeslücke hin

Die von der FSM geprüfte JusProg-Version sei noch nie für Smartphones gedacht gewesen. „Dass es für mobile Betriebssysteme eine Lücke gibt und wir da eine Lösung brauchen, ist vollkommen richtig. Aber das Gesetz, an das wir gebunden sind, sagt dazu gar nichts. Es verlangt auch keine Komplettlösung, die auf sämtlichen Systemen alles kann“, so Drechsler.

Klassisches Internetsurfen spiele auf Handys ohnehin keine große Rolle. Jugendliche nutzten vor allem Apps. „Und die Zugänglichkeit von Apps lässt sich sehr leicht reglementieren, denn alle Apps tragen ein Alterskennzeichen.“

Ob die KJM dieser Argumentation folgen wird, ist fraglich. Sollte sie JusProg für untauglich erachten, müssten die Medienanstalten in Deutschland gegen Inhalteanbieter, die für Kinder und Jugendliche nicht geeignete Inhalte veröffentlichen, vorgehen. Tobias Schmid ist klar, dass Kritiker der Regulierungsbehörden dann rasch von Zensur sprechen werden.

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„Ich habe großes Verständnis für den Wunsch, im Netz ohne jede Barriere alles an jeden verbreiten zu können. Aber am Ende ist es ganz einfach: Der Schutz der Jugend vor Gewalt und extremer Pornografie hat Vorrang vor dem wirtschaftlichen Interesse an grenzenloser Reichweite.“

NRW-Landesregierung kritisiert Branche

Nathanael Liminski (CDU), Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei NRW, sieht ebenfalls Handlungsbedarf. Man brauche ein Jugendschutzprogramm, das auf dem Stand der Technik sei und insbesondere im Online-Bereich auf mobilen Endgeräten funktioniere.

Momentan ist das nicht der Fall, und das ist ein echtes Problem. Denn ein Programm, das nicht dort einsatzfähig ist, wo Kinder und Jugendliche mit Online-Angeboten in Berührung kommen, erfüllt seinen Zweck nicht.“ Dass die Industrie bisher keine passende Lösung präsentiere, werfe kein gutes Licht auf sie.

Grundsätzlich sei es richtig, Jugendmedienschutz im Rahmen einer Selbstverpflichtung durch die Industrie zu realisieren. „Ich kann sie nur davor warnen, dem nicht absolute Priorität einzuräumen, denn das wird dazu führen, dass die Rufe nach sehr viel strikteren Regularien im Bereich des Jugendmedienschutzes lauter werden.“

Es sei keine Raketenwissenschaft, technischen Jugendmedienschutz umzusetzen. Wenn es der Industrie möglich sei, in China technische Auflagen zu erfüllen, dann müsse es ihr auch gelingen, die deutschen Jugendmedienschutzauflagen einzuhalten: „Das ist eine Frage des Willens.“  

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