Julie Delpy im Interview„Harvey Weinstein war nur ein kleiner Fisch“

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Schauspielerin Julie Delpy

  • Die Schauspielerin spricht über ihren neuen Film „My Zoe".
  • Und sie erzählt viel über Vorurteile, mit denen Frauen in einer von Männern dominierten Branche immer noch zu kämpfen haben.
  • 'Insgesamt aber sieht sie eine positive Entwicklung.

Bereits mit fünf stand Julie Delpy, Tochter zweier Schauspieler, erstmals auf einer Theaterbühne. Mitte der 80er Jahre gab sie unter der Regie von Jean-Luc Godard ihr Kinodebüt, und wenig später folgten internationale Produktionen wie „Hitlerjunge Salomon“, „Homo Faber“  oder „Before Sunrise“. 2007 gab die Französin, die seit langem in Los Angeles lebt, ihr Regiedebüt mit der Komödie „2 Tage in Paris“. Auch für ihren neuen Film „My Zoe“ (ab Donnerstag im Kino) zeichnet Delpy, die  im Dezember 50 wird, wieder vor und hinter der Kamera verantwortlich. Beim Interview geht es  um ihre neue Arbeit, aber auch um viele andere Themen, die ihr   unter den Nägeln brennen.

Frau Delpy, vor zwei Jahren hielten Sie beim Europäischen Filmpreis eine sehr leidenschaftliche Rede, mit der Sie um die Finanzierung Ihres neuen Films „My Zoe“ kämpften. Sie klangen  verzweifelt.

Delpy: War ich auch. Ich ging ja sogar so weit, eine spontane Tombola zu veranstalten, deren Hauptpreis ein Frühstück mit mir war. Aber die 2000 Euro, die dabei herumkamen, retteten den Film erst einmal auch nicht.

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Julie Delpy (v.l.n.r.) als Isabelle, Sophia Ally als Zoe und Saleh Bakri als Akil in einer Szene des Films "My Zoe".

Aber stand nicht damals schon Ihr guter Freund und Kollege Daniel Brühl mit seiner Firma als Produktionspartner fest?

Daniel war mit seiner Firma schon an Bord, und überhaupt hatte ich eigentlich schon den Großteil des Budgets beisammen. Aber ein koreanischer Investor war weggebrochen. Der, beziehungsweise sein schmieriger amerikanischer Anwalt, war dafür verantwortlich, dass das gesamte Projekt zu platzen drohte. Schmierige und irgendwie unheimliche Anwälte gibt es in den USA leider viele, sehen Sie sich nur an, vom wem Trump gerade umgeben ist. Und für die Filmbranche dort gilt das umso mehr: Es sind viel zu viele Anwälte involviert. Zum Glück haben wir am Ende doch noch genug Geld aufgetrieben, um „My Zoe“ umsetzen zu können. Lustigerweise sogar in Amerika, aber ohne unnötige Einmischung von Anwälten.

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Die Schauspieler Julie Delpy und Daniel Brühl bei derDeutschlandpremiere des Kinofilms «My Zoe».

Über die Schwierigkeiten, Filmprojekte auf die Beine zu stellen, klagen  immer mehr Regisseure. Verdirbt das   die Freude am Beruf?

Es wird zumindest immer schwieriger, die Leidenschaft aufrechtzuerhalten. Ich frage mich mehr denn je: Lohnt sich all das Leiden am Ende überhaupt? Von der Arbeit an „My Zoe“ zum Beispiel habe ich mich immer noch nicht erholt. Jeder Tag bei diesem Projekt fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht, von der Vorbereitung bis hin zum eigentlichen Dreh, der trotz meiner tollen Mitstreiter aufgrund von Zeit- und Geldmangel unglaublich anstrengend war. Vielleicht sollte ich mir irgendwann eine Alternative zum Filmemachen überlegen, denn so ist es mir wirklich zu anstrengend.

Sie könnten sich wieder auf die Schauspielerei konzentrieren ...

Das ist aber auch nicht immer wirklich befriedigend, je nachdem mit wem man arbeitet. Richtig genossen habe ich zuletzt vor einigen Jahren die Arbeit bei „Wiener Dog“ von Todd Solondz. Auch die „Before“-Filme mit Richard Linklater und Ethan Hawke, die wir ja auch zusammen geschrieben haben, waren für mich nicht allzu stressig.  Das Hauptproblem bei „My Zoe“ war wirklich, dass ich nicht nur Hauptdarstellerin, Regisseurin und Autorin war, sondern auch noch Produzentin. Das war durch die Geldsorgen extrastressig – und ich weiß nicht, ob ich das noch einmal auf mich nehme.

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Julie Delpy als Isabelle und Sophia Ally als Tochter Zoe in einer Szene des Films „My Zoe".

Stimmt es, dass Sie die erste Idee zu „My Zoe“ hatten, als Sie mit Krzysztof Kieslowski „Drei Farben: Weiß“ drehten?

Zumindest im Anschluss an den Dreh, ja. Denn währenddessen hatte ich mit Kieslowski viel über meine Pläne gesprochen, selbst zu schreiben und zu inszenieren. Er war da einer der wenigen, die mich  unterstützt haben. Die meisten anderen warnten: Wenn du das machst, wirst du als Schauspielerin weniger geheimnisvoll wirken. Viele Regisseure werden dich nicht mehr engagieren wollen. Womit sie übrigens recht hatten.

Tatsächlich?

Ja, ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Kollegen plötzlich zögerten, mich zu besetzen, nachdem ich Regie geführt hatte. Sie dachten, ich sei zu dominant. Erst neulich stand ich wieder für jemanden vor der Kamera, der die ganze Zeit erstaunt zu mir sagte, dass ich so unkompliziert sei.  Er hatte wohl jemanden erwartet, der kontrollsüchtig ist. Dabei kann ich mich wunderbar der Vision eines anderen unterordnen, das ist doch schließlich meine Aufgabe als Schauspielerin. Aber als Frau hinter der Kamera hast du automatisch den Ruf weg, anstrengend zu sein.

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Harvey Weinstein

Über Ihre männlichen Kollegen wird so etwas nicht  gesagt.

Natürlich nicht. Dabei sind einige von denen mit Sicherheit sehr viel anstrengender ,als ich es bin. Leider ist das Phänomen ja altbekannt: Als starke Frau  musst du immer erst einmal über die Hürde kommen, dass die Leute Angst vor dir haben. Wobei sich ja nach und nach die Strukturen ein wenig zu ändern scheinen.

Sie sehen also eine positive Entwicklung?

Insgesamt schon. Ich war vor etlichen Jahren eine der Ersten, die lautstark kritisiert haben, dass in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die die Oscars vergibt, zu viele alte weiße Männer sitzen. Damals waren alle stinksauer auf mich, inzwischen gibt es in der Academy eine regelrechte Diversitätsinitiative, die natürlich dringend nötig war. Das Muster kannte ich schon: Ich bin der Buhmann, weil ich unverblümt bin und die Wahrheit sage – und erst Jahre später gestehen sich alle ein, dass ich recht hatte.

Zu solchen Themen haben Sie sich dann später, als die Branche von der #MeToo-Bewegung gepackt wurde, nicht mehr geäußert ...

Richtig, das war mein fester Vorsatz. Denn glauben Sie mir: Harvey Weinstein ist in diesem Ozean nur ein kleiner Fisch gewesen. Deswegen habe ich mir eigentlich vorgenommen, alles andere erst auszupacken, wenn ich irgendwann mal meine Memoiren schreibe und viele Beteiligte tot sind. Im Moment sind viele noch immer in wichtigen Machtpositionen. Und angreifbar werden die meisten Männer leider erst, wenn sie irgendwie angeschlagen sind. War ja bei Weinstein auch so. Das ist letztlich das Problem: Bislang haben wir mit #MeToo nur an der Oberfläche gekratzt. An die wirklichen Abgründe und die ganz hässlichen Details hat sich noch überhaupt niemand herangetraut. Was man aber niemandem vorwerfen kann. Ich selbst habe mich auch für Selbstschutz entschieden.

Was gibt es denn Ihrer meiner Meinung nach als Nächstes zu tun?

Wir müssen einen Weg finden, uns etwas Neues aufzubauen – und zwar gemeinsam. Wir Frauen, aber eben auch mit den  Männern. Die müssen in die Diskussionen miteinbezogen werden, doch ich würde mir auch wünschen, dass sie aktiv dabei helfen, Veränderung auf den Weg zu bringen. Es ist toll, wenn Schauspieler wie Benedict Cumberbatch darauf drängen, dass ihre Kolleginnen das gleiche Geld bekommen oder wenn Martin Scorsese einen Film wie Joanna Hoggs „The Souvenir“ ermöglicht oder Daniel Brühl bei „My Zoe“  nicht nur als Darsteller, sondern auch mit seiner Produktionsfirma dabei ist. Aber viel zu häufig stoße ich auf Ignoranz oder höfliches Desinteresse, wenn ich bei meinen Filmen um Hilfe bitte. Wenn es wirklich darum geht, zum Mentor zu werden, suchen sich die Männer meist nicht eine alte Frau wie mich.

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