KinderoperHappy End unter der Berliner S-Bahn

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Szene mit Ana Fernández Guerra, Dustin Drosdziok und Luzia Tietze (v. l.)

Szene mit Ana Fernández Guerra, Dustin Drosdziok und Luzia Tietze (v. l.)

Köln – Die Kölner Oper geht mit der Zeit – sogar eine Anspielung auf die Corona-Krise gibt es in der Neuproduktion der Kinderoper „Pünktchen und Anton“: Die Protagonisten begrüßen in einer Szene einander per „Fußschlag“. Allerdings nicht wegen jener Abstandsregeln, die performativ auf der Bühne des Staatenhauses 3 eh eingehalten werden müssen, sondern weil Anton gerade kochen muss.

So oder so steht das Ganze unter dem Diktat der Pandemie: Live-Publikum ist nicht zugelassen, wer will, kann sich zu Hause über den Streaming-Dienst des Hauses einloggen. Dabei muss er nicht nur die Theateratmosphäre entbehren, vielmehr nimmt ihm auch die Kamera, die sich zwischen die Bühnenvorgänge und sein Auge schiebt, einen Teil der üblichen Rezeptionsleistung ab.

Im Wechsel von Detail und Totale lenkt, definiert und absorbiert sie seinen Blick, der Zuschauer bekommt nur das mit, was sie, die Kamera, will. Sicher kennt man all das aus Opernfilmen, aber in diesen Tagen ist es eben „alternativlos“. Besser als gar nichts ist es allemal.

Stückbrief

Musikalische Leitung: Harutyun Muradyan

Inszenierung: Brigitta Gillessen

Bühne und Kostüme: Jens Kilian

Darsteller: Ana Fernández Guerra, Luzia Tietze, Stefan Hadžić, Claudia Rohrbach, Maike Raschke, Lotte Verstaen, Eva Budde, Dustin Drosdziok, Sung Jun Cho

Dauer: 65 Minuten

Streaming (bis 16. März) unterwww.oper.koeln/de/Streaming

Auch der Stoff von Erich Kästners berühmtem Kinderbuch, das der in Köln lebende Librettist und Regisseur Thomas Höft und der 2019 verstorbene österreichische Komponist Iván Eröd in die Form einer (vor gut zehn Jahren an der Wiener Staatsoper uraufgeführten) Kurzoper gossen, mutet aktuell an. Denn im Zeichen von Corona verschärfen sich erneut jene sozialen Gegensätze, die in Kästners 1931, also in der finalen Krisenphase der Weimarer Republik erschienenem Werk Züge einer rigiden Klassengesellschaft annahmen.

In der hier in deutscher Erstaufführung zu erlebenden Oper (besser: dem Singspiel, zwischen die Musiknummern schieben sich ausgedehnte Sprechstrecken), die sich sehr viel enger als etwa Caroline Links Verfilmung von 1999 an das Original hält, ist dieser Stachel trotz jenes Happy End, dessen auch Kinderliteratur von Rang nun mal nicht entraten kann, noch spürbar. Und auch die Regisseurin Brigitta Gillessen sowie der Bühnen- und Kostümbildner Jens Kilian lassen ihn bohren.

So wird mit wenigen verschiebbaren Bühnenelementen die sozialräumliche Distanz zwischen dem Domizil der reichen Pogges und der ärmlichen Wohnung von Antons kranker Mutter dargestellt. Erhalten bleibt in Dekor und Mode die Situierung im Berlin der 30er Jahre – im Hintergrund rattert die S-Bahn über einen Damm. Nur die Parkszene mit dem späteren Einbrecher scheint den Zuschauer überraschend (und irgendwie nicht ganz passend) in das Paris eines Édouard Manet zu befördern.

In diesem Ambiente wird nun munter gespielt und gesungen. Ein Distanzeffekt entsteht dadurch, dass die so stimmgewaltigen wie in ihrer Bühnenpräsenz herzlichen (und zum Glück auch nicht krampfhaft auf Kind getrimmten) Darsteller von Pünktchen und Anton (Ana Fernández Guerra und Luzia Tietze) vorab als solche in die Handlung einführen – ein pädagogisch sicher sinnvoller Antiillusionseffekt, der allerdings für die Oper selbst keine Folgen hat.

Der Attraktivität der Produktion helfen Höfts amüsante Reimpaare genauso wie Eröds freitonal gestaltete, mit Jazzanklängen angereicherte und allzeit bekömmliche „Arien“ und Ensembles. Diese Musik reißt vielleicht keine Bäume aus, aber immerhin mausert sich ihre Melodik in einigen Refrains zu veritablen Kinderlied-Gassenhauern. Das kammermusikalisch abgespeckte Gürzenich-Orchester wartet dabei unter Harutyun Muradyan mit knackig-schönen Instrumentalsoli auf.

Und als die Eltern Pogge – „er“ widerwillig genug – sich anschicken, ihrem bürgerlichen Distinktionscode gemäß eine Aufführung der „Zauberflöte“ zu besuchen, wird selbstredend Papagenos Vogelfängerlied fällig. Dies auch ein „Quergruß“ an eine der vergangenen Produktionen der Kölner Kinderoper.

Nicht nur im Fall der Protagonisten stellen die Mitglieder des Opernstudios wieder einmal ihre Potenz unter Beweis: Das Reifestadium, das Stefan Hadžić, Maike Raschke, Lotte Verstaen, Eva Budde, Dustin Drosdziok und Sung Jun Cho da in leichten Abstufungen zeigen, wird allein daraus ersichtlich, dass sie sich gegen einen „alten Hasen“ wie Claudia Rohrbach (als Frau Pogge) mühelos behaupten können.

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