Kommentar zum Fall Nemi El-HassanEin Geschenk für den WDR

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Nemi El Hassan

  • Nemi El-Hassan sollte beim WDR die Sendung Quarks moderieren
  • Umstrittene Teilnahmen an Demonstrationen und Likes in sozialen Netzwerken ließen den WDR Abstand nehmen
  • Mit einem Gastbeitrag macht El-Hassan dem Sender die Entscheidung leichter

Köln – Nemi El-Hassan hat dem WDR ein großes Geschenk gemacht: Ihr am Dienstag veröffentlichter Gastbeitrag in der „Berliner Zeitung“ war für den öffentlich-rechtlichen Sender eine Steilvorlage, sich aus einer in der Tat äußerst unangenehmen Zwickmühle zu befreien.

Problem gelöst?

Nachdem die 28 Jahre alte Ärztin den öffentlich-rechtlichen Sender – und die „Bild“-Zeitung – mit deutlichen Worten kritisiert hatte, erklärte der WDR, das Vertrauen für eine künftige Zusammenarbeit sei nicht mehr vorhanden. Problem gelöst. Klappe zu, Affe tot.

Doch so einfach ist es nicht. Intendant Tom Buhrow hatte vor dem Rundfunkrat zurecht von einer äußerst schwierigen Abwägung gesprochen. Waren die Antisemitismus-Vorwürfe gerechtfertigt? Oder ist der Sender einer rassistischen Kampagne auf den Leim gegangen, die die „Bild“-Zeitung losgetreten hatte?

Darüber herrschte auch im Rundfunkrat Uneinigkeit. Am Freitag hatte das Gremium zum zweiten Mal sehr kontrovers über diese Fragen diskutiert.

Eine halbgare Entscheidung

Schon Buhrows erste Entscheidung, El-Hassan zwar nicht als Moderatorin für „Quarks“ arbeiten zu lassen, aber über eine Beschäftigung als Autorin nachzudenken, war halbgar. Entweder sie hat sich antisemitisch geäußert, dann hätte es keine Zusammenarbeit geben dürfen. Oder aber die Vorwürfe waren unbegründet, dann hätte auch nichts gegen einen Auftritt vor der Kamera gesprochen.

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Die Antwort auf diese Frage bleibt der WDR nun schuldig. In seiner Stellungnahme ging das Haus nur auf das zerstörte Vertrauen ein, das auch dadurch gekommen sei, dass sie dem Sender relevante Informationen – wie das Löschen von Likes – vorenthalten habe. Inhaltlich hat der WDR bis heute nicht klar Stellung bezogen.

Der Fall Nemi El-Hassan ist für den WDR nun abgeschlossen. Die Medizinerin wird gewusst haben, dass sie selbst mit ihrem Gastbeitrag einen Schlussstrich unter einer möglichen Zusammenarbeit zieht. Der WDR hat die Vorlage genutzt.

Ein souveräner Umgang mit dieser Personalie war das allerdings nicht. Es habe keinen ehrlichen Diskurs darüber gegeben, wie sich Antisemitismus von israelkritischen Positionen abgrenzen lasse, schrieb El-Hassan in ihrem Beitrag. Damit hat sie Recht.

Der WDR muss eine Antwort finden

Der WDR will Diversität leben und hat auch nach dem Debakel rund um die Sendung „Die letzte Instanz“ gelobt, mehr Vielfalt abbilden zu wollen. Das ist begrüßenswert. Das heißt aber auch, dass der Fall Nemi El-Hassan sich jederzeit wiederholen kann.

Nemi El-Hassan hat dem WDR ein Geschenk gemacht – aber es ist vergiftet. Fehlendes Vertrauen kann nicht die Antwort auf alles sein. Irgendwann muss der Sender eine Haltung zu diesen Fragen entwickeln.  

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