Offener Brief gegen Änderungen bei WDR 3Muss die Literatur dran glauben?

Lesezeit 4 Minuten
WDR_Dom

Das WDR-Gebäude in Köln. 

Köln – Besucht man die Homepage des WDR 3-Kulturmagazins „Mosaik“ fällt eines sofort ins Auge, die Ankündigung der Buchkritik: „Sachkundig und anschaulich stellen die Rezensenten von WDR 3 Neuerscheinungen vor – die großen Titel ebenso wie den Geheimtipp.“ Doch was da so prominent beworben wird, soll bald nicht mehr täglich stattfinden in der Sendung. Lesen Sie hier den Offenen Brief der Beschäftigten an den WDR. „Ab März wird es im WDR 3 Mosaik keine Buchrezensionen als feste Rubrik im Programm mehr geben. Literatur wird weiterhin eine Rolle im Kulturmagazin spielen, jedoch in wesentlich geringerem Umfang, in anderen Formen, nach neuen Kriterien ausgewählt“, heißt es in einer Mail eines Redakteurs an die Rezensenten. Wie und in welcher Form es weitergehen wird mit Buchbesprechungen, ist unklar – es steht im Raum, Bücher künftig in Gesprächen vorzustellen.

Viele feste und freie Mitarbeiter des WDR sind schockiert und erbost über diese Neuigkeit. Es sei skandalös, wenn ein Kulturmagazin sich nicht mehr umfassend mit Literatur beschäftige, sagt ein langjähriger Mitarbeiter. 30 Beschäftigte in Literaturkritik und Literaturvermittlung – darunter Schriftstellerin Julia Trompeter und Literaturkritikerin Insa Wilke – teilen diese Einschätzung und haben einen offenen Brief verfasst, in dem sie sich an Intendant Tom Buhrow, Valerie Weber, Programmdirektorin NRW, Wissen und Kultur, und Wellenchef Matthias Kremin wenden.

„Wenn die tägliche Buchrezension im »WDR 3 Mosaik« wegfällt, bedeutet das: Es werden im Jahr um die 250 Bücher weniger besprochen“ führen sie aus. „Absehbar ist, dass nur noch die wenigen vermeintlich »wichtigen« Buchtitel besprochen werden. Bücher also, die ohnehin im Gespräch sind. Erfüllt WDR 3 so seinen Kulturauftrag? Will man so in der Zukunft als Kultursender bestehen?“, heißt es weiter in dem Brief, in dem die Verfasser und weitere Unterzeichner fordern, die Entscheidung zurückzunehmen.

Der WDR beschwichtigt

Der WDR beschwichtigt. „Rezensionen und Gespräche über Bücher wird es weiterhin in ,Mosaik‘ geben“, sagt Wellenchef Matthias Kremin auf Anfrage. Das werde dann eben nur nicht mehr zwingend jeden Tag so sein. Es gehe darum, flexibler zu sein, sich mehr an Veröffentlichungsterminen von Büchern zu orientieren. „Wir wollen unsere Angebote insgesamt lebendiger und abwechslungsreicher gestalten.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Aus der Pressestelle heißt es: „Die Redaktion von WDR 3 plant keine Kürzung der Literaturkritik, denkt aber über Programmoptimierungen nach, die auch der Literatur und damit natürlich unseren Hörerinnen und Hörern zu Gute kommen sollen. So gibt es interne Überlegungen, in der Morgensendung »Mosaik« die Buchrezension mit neuen Formen zu beleben und abwechslungsreicher zu machen. Dies könnte neben dem bisher üblichen Beitrag auch ein Kolleg*innengespräch oder ein Interview mit Autor*innen oder eine neue Form der Buchempfehlung sein.“

Es ist jedoch nicht nur die Frage, wie es mit den Rezensionen weitergeht, die für Unmut sorgt. Das Team sei in den Entscheidungsprozess nicht einbezogen worden, berichten Kollegen übereinstimmend. „Es ist erschütternd, wie das gelaufen ist“, sagt ein Mitarbeiter. Von der „Entmündigung des Redakteurs“ spricht ein Kollege. Vorausgegangen war der Entscheidung schon vor einiger Zeit eine Änderung der Zuständigkeiten. Drei ehemals für „Mosaik“ zuständige Redakteure wurden mit anderen Aufgaben betraut, nun ist die Sendung direkt der Wellenleitung unterstellt.

Die Streichung der Buch-Rezensionen als feste Rubrik hat viele Mitarbeiter auch deshalb so hart getroffen, weil sie darin einen weiteren Schritt auf dem Weg sehen, WDR 3 zu einem „Klassik-WDR 4“ umzubauen, wie es einer ausdrückt, der schon lange dabei ist. Ein anderer sieht die Entwicklung hin zu einer Welle wie Bayern Klassik – „weg vom Kulturradio mit Klassik hin zu einem Klassikradio mit einigen Beiträgen“.

Weitere Änderungen stehen an

Einen Dominoeffekt befürchtet ein weiterer Kollege: „Die fangen beim Flaggschiff der Welle an, und dann geht es weiter. Ich habe Angst, dass alles nur noch schlimmer wird.“ In der Tat stehen weitere Änderungen an: Bei „Mosaik“ wird künftig auch die feste Kommentar-Rubrik „Zwischenruf“ nicht mehr täglich gesendet, gleiches gilt für das „Gedicht des Tages“. Es soll künftig, so die Pressestelle, „flexibel und anlassbezogen im gesamten Programm auftauchen“.

Generell soll es, so berichten Mitarbeiter übereinstimmend, kaum noch feste Rubriken in den Sendungen der Welle geben, zudem sollen alle Beiträge – auch Interviews – zwischen drei und maximal fünf Minuten dauern.

Trend zu Gewinnspielen und Durchhörbarkeit

Die geplanten Veränderungen seien der vorläufige traurige Tiefpunkt einer Entwicklung beim WDR, die vor 15 Jahren mit einer „Reformitis“ begonnen habe, sagt einer, der schon sehr lange dabei ist: „Vom vielen Schneiden wird die Wurst auch nicht besser.“

Es ist eine Entwicklung, die auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Wellen beklagen – hin zu mehr Durchhörbarkeit, zu Gewinnspielen und locker-flockigen Gesprächen, weg von der Kritik, hin zum Service.

Es gehe um nicht weniger als eine „komplette Neuausrichtung der Welle“ ist ein Mitarbeiter überzeugt.  

KStA abonnieren