Premiere im CarlsgartenWenn ein Passant in die Freiluft-Inszenierung spaziert

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt (7)

Szene aus „Opferfest“

Köln – Es geschieht, was geschehen muss, wenn sich das Theater aus seinen eigenen vier Wänden wagt: Alexander Angeletta und Benjamin Höppner streiten sich vor dem grasbewachsenen Hügel des Carlsgartens.

Der ist mit einem  kleinen weißen  Zaun als Grundstück der Familie von Rashid und Sara kenntlich gemacht. Einst aus Syrien geflüchtet, haben sie sich den örtlichen Schreber-Gepflogenheiten angepasst. Es wird gegrillt, unterm Marillenbaum. Ein Widder, halal geschlachtet, zum Opferfest. Welches sich insofern nicht von anderen Familienfeiern unterscheidet, als dass hier unausgesprochene Konflikte offen zutage treten.

Angeletta spielt Walid, den jüngeren Sohn, einen früh Gescheiterten, der sich mit seinem schmächtigen Körper an die strengen Regeln seiner Religion klammert. Dass passt Vater Rashid, dem alten Kommunisten,  gar nicht. Brennenden Auges beharrt Angeletta auf die korrekte Auslegung der Koran-Suren, Höppner gibt ihm bärbeißig Kontra.

Stückbrief

Regie: Moritz Sostmann

Bühne: Christian Beck

Kostüm: Elke von Sivers,

Lise Kruse

Puppen: Hagen Tilp

Mit: Benjamin Höppner, Lola Klamroth, Thomas Müller,

Alexander Angeletta, Kristin Steffen, Janek Maudrich, Yuri Englert, Magdalena Schlott,

Anna Menzel

Termine: 22. 6.; 28. 8.;  3., 4., 11., 19. 9., 105 Minuten, keine Pause, im Carlsgarten

Da betritt ein älterer Herr die offene Szene, betrachtet verwundert die Streitenden, versucht schlichtend einzugreifen. Spätestens als sein Genuschel unverständlich vorüberzieht, während ihm die Schauspieler umso deutlicher  antworten, ist jedem klar, dass es sich um einen Passanten handelt, vielleicht aus der nachbarlichen Keupstraße, der hier auf seinem Abendspaziergang, die Wasserflasche in der Hand,  vorbeigeschlendert ist.

Das Publikum, das mit dem Rücken zur Außenwand des Depot 1 sitzt, beachtet der ältere Herr indes gar nicht und umso lustvoller beziehen ihn Angeletta und Höppner in ihren Konflikt ein. Es ist ein Fest.

Ibrahim Amirs vierte Kölner Premiere

Leider bleibt dieser unkalkulierte Augenblick der lustigste in Moritz Sostmanns Uraufführung von Ibrahim Amirs neuem Lustspiel „Opferfest“ –  alle anderen verdankt sie Höppners komödiantischem Talent. Amir ist der inoffizielle Hausautor des Schauspiel Köln und „Opferfest“ bereits die vierte Kölner Premiere des Arztes, der selbst mit 19 aus Aleppo nach Wien geflohen war. Mit dem ersten, „Habe die Ehre“, war ihm die Quadratur des Kreises gelungen: Eine Boulevardkomödie zum Thema Ehrenmord, die zum Schreien komisch und gleichwohl erschütternd war.

In „Opferfest“ will Amir nun leider gar nichts gelingen: Zu brav repetieren die Figuren die Fakten islamischer Religionsausübung, zu starr fallen die Stereotypen aus – Thomas Müller als ältester Sohn, der verheimlicht, dass sich seine Frau von ihm scheiden lässt; Kristin Steffen als schwangere Tochter, die sich weigert zu heiraten; Janek Maudrich als ihr Doktoranden-Freund, dessen aufgeklärte Ideale vor der Wirklichkeit Halt machen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Niemand macht hier eine Entwicklung durch.  Überraschungen, wie die, dass sich bei dem in umgekehrter Richtung nach Syrien geflüchteten Vater des Nachbarn (Yuri Englert verbirgt sich unter der Gummimaske des rechten  Durchschnitt-Österreichers)  um einen SS-Offizier handelt, hat man längst geahnt.

An Moritz Sostmann liegt es nicht, der kaschiert den fehlenden Fluss zwischen den Szenen mit tosendem Fluglärm – der dann von tatsächlich im Landeanflug befindlichen Maschinen komisch gedoppelt wird. Auch hat er zusammen mit Amir eine zweite Ebene eingezogen, in der drei Kinder-Puppen Hagen Tilps die Geschehnisse lenken und die Schauspieler gelegentlich an ihren fehlenden Migrationshintergrund erinnern.

Sie bremsen jedoch das eh schon mühsame Fortschreiten der Handlung zusätzlich aus,  das finale Eskalieren der Familie wirkt unverdient. Gehen Höppner und Angeletta dann mit Axt und Pistole aufeinander los, wünscht man sich den älteren Herrn aus der Nachbarschaft zurück. Wo bleibt die Wirklichkeit, wenn man sie braucht?

KStA abonnieren