Religion als ActionkinoDas Kölner Museum Schnütgen feiert Meister Arnt

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Gebannte Betrachter auf dem Georgsaltar des Meisters Arnt

Gebannte Betrachter auf dem Georgsaltar des Meisters Arnt

  • In seiner Werkstatt wurden biblische Geschichten und christliche Legenden zu fantastischen Panoramawerken.
  • Trotzdem wurde der spätgotische Holzschnitzer Arnt erst vor gut 60 Jahren wiederentdeckt.
  • Jetzt versucht das Kölner Museum Schnütgen, Arnt unter die großen Künstler des Mittelalters einzureihen.
  • Unser Kunstkritiker hat die erste Einzelschau zu Arnt besucht.

Köln – Im Großen und Ganzen gibt es drei Sorten von Religionen. Die erste triezt ihre Gläubigen mit Tausend und einer Regel, die zweite führt penibel über gute und schlechte Taten Buch und die dritte lullt das Publikum mit reißerischen Geschichten ein. Jede hat ihre Vor- und Nachteile, und selbstredend kommen sie nicht in Reinform vor. Aber man braucht nur kurz in der Bibel zu blättern, um das Christentum ins Register der überschäumend fabulierenden Religionen einzuordnen.

Biblische Erzähllust

Diese Erzähllust hielt über Jahrhunderte nicht nur den Klerus in Lohn und Brot, sondern auch einen Stand, dem man vor allem im Mittelalter das Predigen in Bildern überließ. Maler, Steinmetze und Holzschnitzer machten sich daran, den Menschen die biblischen Geschichten und deren Figuren so lebendig und ergreifend wie möglich vor Augen zu stellen, und fanden zwischen Himmel und Hölle mehr Material als eine einzelne Leinwand fassen kann. Manche Altäre ähneln Bilderbüchern zum Auf- und Zuklappen, auf anderen wimmelt es geradezu – dem Erfindungsgeist der alten Meister wurden durch die christliche Überlieferung weniger Grenzen gesetzt als ans Unmögliche heranreichende Aufgaben gestellt.

Holzschnitzerei in Vollendung

Einem der virtuosesten Darsteller katholischen Gewusels wird jetzt im Kölner Museum Schnütgen ein lange überfälliger großer Auftritt beschert. „Arnt der Bilderschneider“ heißt die weltweit erste, trotz Corona mit bedeutenden Leihgaben gespickte Einzelausstellung, die dem spätgotischen Holzschnitzmeister Arnt vom Niederrhein gewidmet ist. Auf dessen Altären drängen sich besinnliche oder auch dramatische Szenen auf engstem Raum, aber sie sind auf eine Weise arrangiert, dass man, wie auf dem 1487 vollendeten Georgsaltar von Kalkar, atemlos dem Wechsel von Martern, Enthauptung und Drachenmord folgt, niemals den Überblick verliert und das putzige Christuskind keinen Augenblick vermisst.

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Das Kölner Museum Schnütgen tauft Arnt den „Meister der beseelten Skulpturen“, weil er selbst einer blutrünstigen Actionszene eine lebensnahe und bewegende Sinnlichkeit verleiht. Auf dem Kalkarer Holzrelief entspinnt sich das heldenhafte Leben und leidensvolle Ende des frühchristlichen Märtyrers Georg auf einer wunderbar gestalteten Felslandschaft: Im Vordergrund leuchtet Georgs Sternstunde, die Rettung einer Jungfrau vor dem Bösen in Drachengestalt, auf den kurzen Triumph folgt dann ein langer Leidensweg durch siedend heiße Kochtöpfe und üppig ausgestattete Folterkammern. Jede Figur auf diesem Legendenpanorama trägt individuelle, ausdrucksstarke Züge, neben dem Drachen ruht ein seelenruhiges Opferlamm und ein Hund schnuppert an einer Blume, als ginge ihn alles gar nichts an. Man staunt über etliche solcher versteckten Details, die freilich den Gesamteindruck in der Balance der christlichen Botschaft halten: Schmerz und Leid sind nicht das Ende, sondern Verheißung einer besseren Welt. Den Zuschauern auf dem Relief ist diese Zuversicht vielleicht näher als uns heute; aber wir schauen ein halbes Jahrtausend später nicht weniger gebannt auf das Schauspiel als sie.

Späte Entdeckung

Nicht alle Leihgaben sind von dieser fantastischen Qualität, was bei einer derart produktiven Werkstatt wie die Meister Arnts auch verwunderlich wäre. Den raren Wimmelbildern stehen in Köln eine Vielzahl hochgewachsener Gebrauchsheiliger gegenüber, die freilich ein sehr beachtliches handwerkliches Niveau niemals unterschreiten. Auch an ihnen lässt sich der spätgotische Wettstreit der Gattungen um die lebendigste Darstellung des Heiligen verfolgen, und auch sie bieten faszinierende Einblicke in die blühende Motivwelt des Mittelalters. In der Fachwelt ist das Interesse an dieser kuratorischen Pioniertat ohnehin groß – nicht von ungefähr will Schnütgen-Direktor Moritz Woelk den Meister Arnt mit der unorthodoxen Bezeichnung „Bilderschneider“ an die Seite des berühmteren Tilman Riemenschneider rücken.

In dieser Hinsicht bildet die Ausstellung den verdienten Höhepunkt einer späten Entdeckung, denn erst seit den späten 1950er Jahren können wir einem mittelalterlichen Meister Arnt überhaupt Werke zuordnen. Mittlerweile ist die Liste der Zuschreibungen auf eine beachtliche Länge angewachsen, und auch über das berufliche Leben des zwischen Kalkar und Zwolle pendelnden Arnt wissen wir recht gut Bescheid. Sogar einen Bußgeldbescheid an seine Gattin hat man ausgegraben; mit dieser Schuld geht die arme Frau jetzt in die Kunstgeschichte ein.

„Arnt der Bilderschneider – Meister der beseelten Skulpturen“, Museum Schnütgen, Cäcilienstr. 29-33, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, bis 20. September. Katalog: 45 Euro.

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