RTL-Chef„Die Frage nach der Legitimation von ARD und ZDF wird immer lauter“

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RTL-Chef Frank Hoffmann

Köln  – Herr Hoffmann, „Inhalte: TV vs. Streaming – neue Inhalte? Neue Kooperationen?“ heißt das Panel, bei dem Sie bei der AngaCom auf dem Podium sitzen. Wie erleben Sie die Konkurrenz der Streamingportale?

Eher als Nebeneinander, weniger als Gegeneinander. Wenn es um die Aufmerksamkeit und Zeit der Menschen geht, ist der Wettbewerb heute deutlich intensiver als früher, dazu gehört dann natürlich auch die Nutzung von Facebook, Youtube oder Google. Die Medienwelt hat sich einfach verändert. Und wir profitieren davon. Denn es gibt deutlich mehr Wege, die Zuschauer zu erreichen. Streamingdienste werden derzeit von manchem als Neuheit wahrgenommen. Wir aber bieten unsere Programme seit zehn Jahren auch im Netz zeitversetzt unter TVNow.de an. Wir sehen in den neuen Möglichkeiten eine Erweiterung unseres Schaffens, keine Begrenzung.

Aber schauen Sie nicht ein bisschen neidisch darauf, wie viel über amerikanische Streaming-Serien gesprochen wird?

Gesprochen schon, geschrieben auch. Aber ob die Wahrnehmung auch der Reichweite entspricht, bleibt offen. Ausstrahlungen im Free TV weisen eher nicht darauf hin. Sei´s drum. Diese Serien werden für ein anderes Geschäftsmodell gemacht.

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Das Firmenschild am Eingang zum Sitz der RTL Mediengruppe in Köln-Deutz

Es geht nicht darum, hohe Reichweiten zu generieren und Werbung zu verkaufen, sondern Abos. Die Rechnung ist einfach: Hochkarätige Serien gewinnen Preise, sicher oft auch zu recht. Die sorgen für zusätzliche Aufmerksamkeit und schließlich einen Zuwachs an zahlenden Abonnenten. Uns aber reicht die Nische nicht: Wir brauchen Reichweite.

Ihnen ist der Hype um solche Portale zu groß?

Die Wahrnehmung ist nicht immer differenziert. Spricht man etwa von „Deutschland 83“, werden zumeist unsere Quoten zitiert – und nicht allein die Preise, die die Serie, national und international, gewonnen hat. Allein an den Maßstäben von Streaming-Plattformen gemessen, preisgekrönt und weltweit verkauft, war sie also ein Riesenhit. Aber wir müssen uns zusätzlich an Reichweite messen lassen, ganz selbstverständlich weisen wir Quoten aus. Wir sind also ein offenes Buch, während Streamingdienste keine Abrufzahlen veröffentlichen. Es ist ein bisschen wie mit Äpfeln und Birnen.

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Die drei Hauptdarsteller der Serie „Deutschland 83“, Jonas Nay (v.l.), Sonja Gerhardt und Ludwig Trepte stehen am  Mitte Juni 2015 in New York vor einem Plakat ihrer Serie. 

Aber „Deutschland 83“ ist ja nicht so gelaufen, wie Sie sich das wünschten. „Deutschland 86“ wird bei Amazon Prime zu sehen sein. Stattdessen haben Sie viele neue, weniger aufwendige Serien-Formate produziert. Ist das Ihre Konsequenz?

Jede Serienproduktion ist aufwendig. Was Kritiker im Feuilleton begeistert besprechen, trifft oft nicht den Massengeschmack, jüngstes Beispiel ist die tolle Serie „Bad Banks“ im ZDF. Aus unserer Sicht sollte „Deutschland 83“ auch ein Signal sein. Wir wollten zeigen, dass wir das können, wollten Aufmerksamkeit nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei den Machern in der Branche. Die haben wir reichlich bekommen und unsere Zusammenarbeit mit den Kreativen intensiviert. Daraus sind neue Programme wie „Magda macht das schon“ entstanden. Aber auch langlaufende Serien wie „Der Lehrer“ haben, was wir uns wünschen. Sie sind populär, haben aber auch Ecken und Kanten und durchaus einen tieferen Sinn.

Aber es sind doch schon eher Mainstreamserien.

Unbedingt! Wir lieben Mainstream. Das Schöne ist, dass wir in der Mediengruppe RTL alles abdecken können. Wir haben populäre Serien bei RTL oder VOX, können aber auch eher für die Nische produzieren wie zum Beispiel bei unserem Pay TV-Sender RTL Crime mit „M - eine Stadt sucht einen Mörder“. Wir haben kreativ keine Einschränkungen. Ich gebe Ihnen Recht, dass High-Concept-Serien anders angelegt sind als das, wovon Mainstreamfernsehen lebt. Die Figuren dort haben eine stärkere Brechung und die Serien enden meist nach ein paar Staffeln.

Und das ist für Sie ein Problem?

Unser Geschäft im Free TV ist es, Marken bekannt und stark zu machen. Wenn sie gut funktionieren, entwickeln wir sie weiter und weiter, um so lange wie irgend möglich mit und von diesen Serien zu leben. Bei „GZSZ“ etwa haben wir vor 26 Jahren eine Sehgewohnheit gesetzt und profitieren davon bis heute, ob täglich am Vorabend oder zuletzt auch wieder am Hauptabend. Wir möchten die Chance nutzen, in diesen Zeiten nochmals Sehgewohnheiten zu setzen, von denen wir in den nächsten zehn Jahren profitieren können. Denn es wird zunehmend aufwendiger, Neues zu etablieren.

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 Die Schauspieler Thaddäus Meilinger und Valentina Pahde (M.) der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“:  Die Serie wurde 2017 25 Jahre alt. 

Sie haben mal gesagt, dass Serien in besonderem Maße in eine Sendermarke einzahlen. Warum?

Es zahlt all das ein, was wir exklusiv haben und uns nicht mit anderen teilen müssen. Programme, die es nur auf unseren Sendern oder auf unseren Plattformen gibt und die wir kreativ beeinflussen können. Weil wir uns so, mit lokalem Bezug, auf den sich ändernden Zuschauergeschmack einstellen können. Mit Serien können wir uns darüber hinaus noch stärker von der privaten Konkurrenz differenzieren, weil sich viele Fernsehsender keine Eigenproduktionen im Bereich der deutschen Serie leisten können, denn die sind sehr, sehr teuer.

Eine Koproduktion wie „Babylon Berlin“ von ARD und Sky ist für Sie kein Zukunftsmodell?

Was wir produzieren, möchten wir gerne für uns haben. Wir wollen selbst entscheiden, wann und wo wir welches Programm zeigen – die komplette Auswertung im Interesse der Mediengruppe RTL nutzen. Und dann zahlen wir es auch. Wir haben kein Interesse daran, etwas kreativ loszutreten, Kraft, Zeit und Geld zu investieren, um dann anderen den Vortritt zu lassen. Wir sind auch offen für Kooperationen, wenn Sie unserem Geschäftsmodell entsprechen. Aber das Vorgehen der ARD ist wenig nachvollziehbar, jedenfalls dann, wenn man wie wir das Geld, welches man ausgibt, vorher erst verdienen muss. Sie machen mit Gebührengeld einen Bezahlsender stark. „Babylon Berlin“ ist bisher in erster Linie ein Erfolg für Sky, doch die Zeche zahlt im Wesentlichen die ARD.

Wie beurteilen Sie das Verhältnis von RTL zu den Öffentlich-Rechtlichen?

Wir befürworten bekanntlich das duale System, allerdings mit klaren Spielregeln. Denn wir sehen auch, dass ARD und ZDF gerade zu den Hauptsendezeiten populärer unterwegs sind denn je, ob mit Krimis oder Gameshows. Auch wegen ihrer Auswüchse im Netz wird derzeit die Frage nach ihrer Legitimation immer lauter. Gleichzeitig senden wir bei RTL auch am Hauptabend thematisch schwere Reportagen wie „Jenke macht Mut“ zum Thema Brustkrebs. Reportagen und Dokumentationen entdecke ich bei den Öffentlich-Rechtlichen eher selten zur besten Sendezeit. Man kann ARD oder ZDF oft genug nicht unterscheiden von privaten Sendern. Wir hielten es deshalb für sinnvoll, auch in ihrem eigenen Interesse, sich stärker auf ihren eigentlichen Auftrag zu besinnen, ob in Sachen Information, Bildung oder Kultur. Wenn die Eigeninitiative dafür nicht reicht, sollte der Gesetzgeber hier motivierend einspringen.

Aufs Ganze gesehen, wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Serienoffensive?

Sehr zufrieden, weil wir uns vorgenommen hatten, mindestens zwei der neuen Serien durchs Ziel zu bringen, am Ende sind es sogar drei geworden. Insgesamt fünf Serien haben wir im Frühjahr verlängert. Das ist ein ordentliches Pfund.

Dabei waren die Marktanteile nicht durchgängig gut.

Wir arbeiten daran, dass sie steigen . Bei „Jenny – echt gerecht“ haben wir gesehen, dass die Serie hinten raus kräftig anzog. Wir brauchen einfach Geduld. Bis man auf einem Sendeplatz, auf dem seit einem Jahrzehnt US-Fiction lief, den Zuschauern Lust auf eine neue Programmfarbe macht, ist es ein weiter Weg. Am Ende einer Staffel schauen wir nicht mehr allein auf die Quote. Wenn wir das Gefühl haben, dass die Geschichte stimmt und die Hauptfiguren verfangen, ist das ein guter Grund, weiter dran zu arbeiten und die Serie zu verlängern.

Seit mehr als fünf Jahren RTL-Chef

Frank Hoffmann, Jahrgang 1966, ist seit Februar 2013 Geschäftsführer Programm von RTL. Er begann seine berufliche Laufbahn als Printjournalist, dann wechselte er zum Fernsehen. In der Mediengruppe RTL war er unter anderem Bereichsleiter für alle Magazine bei RTL. Seit April 2005 bis zu seinem Wechsel zu RTL war Hoffmann Geschäftsführer von Vox.

Beim Kongress der Anga Com, der Kölner Messe für Breitband, Kabel und Satellit, die vom 12. bis 14. Juni in Köln stattfindet, sitzt er am Dienstag auf dem Panel zum Thema „TV vs. Streaming – neue Inhalte? Neue Kooperationen?“ (amb)

Es wird viel darüber spekuliert, wie lange es noch klassisches lineares Fernsehen geben wird. Sorgt Sie das?

Wir erreichen heute mit RTL täglich rund 25 Millionen Menschen, nur linear. Sämtliche Online-Nutzung kommt noch hinzu. Free TV hat somit nach wie vor eine enorme Bedeutung. Aber wir sind auch nicht blauäugig und sehen seit Jahren, dass sich das TV-Verhalten verändert. Mit unseren großen Sendern geben wir Marktanteile ab, mit unseren neu gegründeten Angeboten gewinnen wir hinzu. Mit unserem neuen Sender RTLplus, für den ich auch verantwortlich bin, feiern wir grad fast täglich neue Rekorde. Letztlich gibt es mehr Möglichkeiten denn je, Menschen unsere Inhalte näher zu bringen, wann und wo auch immer sie unsere Sendungen sehen möchten. Wenn man sich zudem nicht nur als Aggregator von Inhalten versteht, sondern etwa im Bereich von News und Magazinen auch als Produzent, dann begreift man die Entwicklung aktiv als Bereicherung und weniger als Gefahr.

Sind Sie ganz grundsätzlich zufrieden mit dem Image, das RTL bei den Zuschauern hat?

Von unseren Stammzuschauern – und das sind bekanntlich viele – bekommen wir durchweg positives Feedback. Das Image von RTL hat sich insgesamt sehr positiv entwickelt. Dennoch muss ein Sender wie RTL auch mal polarisieren, wir wollen nicht immer jedem gefallen und haben kein Problem damit, auch mal aufzufallen. Für Zuschauer und Werbekunden möchten wir verlässlicher Partner sein, die eine oder andere Überraschung inklusive.

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