Schlange stehen und Abstand haltenWie Simbabwe in Corona-Zeiten den Alltag bewältigt

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In Simbabwe verkauft ein Mann Schutzmasken vor einem Laden, während landesweit gegen die Corona-Pandemie gekämpft wird.

  • Percy Zvomuya ist ein simbabwischer Autor, Journalist und Kritiker. Er schreibt für internationale Zeitschriften, Blogs und Portale.
  • In diesem Gastbeitrag der Serie „Geteilte Beobachtungen“ schreibt er, wie Simbabwe mit der Corona-Pandemie umgeht.
  • In einem Land, in dem das Schlange stehen zum Alltag gehört, ist das Abstand halten nicht einfach. Doch das ist nicht das einzige Problem, das Simbabwe den Umgang mit dem Virus erschwert.

In der Tat kann man sich, abgesehen vielleicht von Kriegsregionen, kaum ein Land vorstellen, das auf eine Pandemie dieser Größenordnung schlechter vorbereitet ist als Simbabwe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ruft die Menschen zum Social Distancing auf. Doch wie soll das möglich sein in einem Land, in dem Schlange stehen Alltag ist? Autofahrer stehen an den Tankstellen für Treibstoff an, und die Arbeiterklasse wartet in langen Schlangen vor den Banken, um Bargeld abzuheben, das im Land seit Jahren knapp ist. Bei Grundnahrungsmitteln wie Maismehl sieht es inzwischen nicht anders aus: Sobald den Menschen zu Ohren kommt, dass irgendwo eine neue Lieferung eingetroffen ist, bilden sich dort endlose Warteschlangen.

Die WHO empfiehlt außerdem die Einhaltung strenger Hygieneregeln. Für die meisten Menschen der Hauptstadt Harare ist das jedoch schlicht unmöglich. Selbst in den wohlhabenderen Vororten im Norden funktioniert die städtische Wasserversorgung schon seit Jahren nicht mehr, Stromausfälle von bis zu 19 Stunden sind in Simbabwe keine Seltenheit. In den Armenvierteln ist die Situation noch dramatischer. Angesichts der akuten Wassernot heben verzweifelte Bürger eigenmächtig Brunnen aus, einige davon nahe der maroden, in die Jahre gekommenen Abwasserleitungen. So gelangen Fäkalien ins Trinkwasser – mit tödlichen Folgen: Regelmäßig kommt es zu Ausbrüchen von Cholera und Typhusfieber. Doch die Regierungspartei Zanu-PF ist selbst wie eine Seuche. Es ist unmöglich, alle Versäumnisse der Partei auszugleichen.

Erstes Corona-Todesopfer zeigt die schlechte Lage

Trauriges Beispiel dafür, wie schlecht Simbabwe auf eine Pandemie vorbereitet ist, ist der Fall Zororo Makambas, des ersten bestätigten Corona-Todesopfers im Land. Der 30-jährige Journalist hatte sich vermutlich in New York mit SARS-CoV-2 infiziert. Zwar hatte es schon Tage zuvor Berichte von kranken Menschen gegeben, doch das Schicksal des jungen Fernsehmoderators, der aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie stammte, legt diese Missstände in frappierender Weise bloß.

Als er von einem Aufenthalt in New York zurückkehrte, litt er vermeintlich an einer leichten Grippe. Sein Arzt untersuchte ihn auf coronaspezifische Symptome, konnte jedoch keine solchen feststellen. Doch der junge Journalist entwickelte nach einigen Tagen ein Fieber, und so empfahl ihm sein Arzt, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Im Wilkins Hospital für Infektionskrankheiten im Nordwesten Harares stellte seine Familie mit Entsetzen fest, dass es dort an Beatmungsgeräten ebenso fehlte wie an Medikamenten und anderem dringend notwendigen Equipment. Zororos Bruder Tawanda Makamba berichtet: „Am Sonntag gegen 14 Uhr brachten wir ihnen ein Beatmungsgerät. Als ich fragte, warum sie das Beatmungsgerät nicht einsetzten, sagten sie, der Raum habe keine Steckdosen. Ich erklärte ihnen, dass ich ein Verlängerungskabel habe und flehte sie an, es zu benutzen, doch sie weigerten sich.“

Zur Person

Percy Zvomuya ist ein simbabwischer Autor, Journalist und Kritiker. Er ist Gründungsmitglied und ehemaliger Herausgeber des Johannesburger „The Con Magazine“ und schreibt für internationale Zeitschriften, Blogs und Portale. Die vollständige Fassung seines Textes können Sie unter adkdw.org abrufen.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf konkrete Lebensverhältnisse aus? Wie wirkt das Globale im Lokalen? Unter dem Titel „Geteilte Beobachtungen“ versammelt die Akademie der Künste der Welt in Kooperation mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Texte von Mitgliedern der Akademie.

Als letzter Text der Serie erscheint „Das Coronavirus und die extreme Rechte“ der Regisseurin und Anthropologin Adriana Schneider Alcure.

Also holte die Familie sich beim Gesundheitsminister die Genehmigung ein, den Patienten in ein anderes Krankenhaus überweisen zu lassen. Doch als alles für die Verlegung vorbereitet war, hatte der Minister seine Meinung wieder geändert. Es dauerte nicht lange, da trat der Eigentümer einer Privatklinik mit Familie Makamba in Kontakt und schlug ihnen einen Deal vor: Er würde im Wilkins Hospital ein Intensivpflegebett für den Patienten bereitstellen – unter dem Vorbehalt, dass die Makambas die 120.000 US-Dollar aus eigener Tasche zahlten. Und er stellte eine weitere Bedingung, erinnert sich Tawanda Makamba: „Er sagte, sobald Zororo genesen ist und das Equipment nicht mehr benötigt, müssen wir es ans Wilkins Hospital spenden. Das Krankenhaus wollte also, dass wir ihm seine Ausstattung bezahlen. Wir haben keine 120.000 US-Dollar und es liegt nicht in unserer Verantwortung, medizinisches Equipment für die Regierung zu kaufen.“ Wenig später verstarb Zororo Makamba.

Kuda Tagwirei will auch in dieser Krise profitieren

An dieser Stelle kommt Kuda Tagwirei ins Spiel. Der wohlhabende Simbabwer ist Investor in den Bereichen Banking, Erdöl und Bergbau und der größte Nutznießer des staatlichen Programms Command Agriculture. Obwohl Tagwirei in jedem nur erdenklichen Sektor, in dem die simbabwische Elite ihr Geld erwirtschaftet, seine Finger im Spiel hat, konnte man sich zunächst schwer vorstellen, dass es ihm gelingen würde, auch eine Katastrophe wie die Corona-Krise in einen Vorteil für sich und seine Auftraggeber zu verkehren. Doch schon bald wurde dem Unternehmer klar: Die meisten Länder haben ihre Grenzen geschlossen, sämtliche Flüge wurden gestrichen – und damit ist der Zugang zu medizinischer Versorgung in Übersee abgeschnitten. Eine Corona-Erkrankung würde für die alternde Elite, die nun nicht mehr vor der mangelnden Gesundheitsversorgung im eigenen Land fliehen kann, den Tod bedeuten.

Diese Woche gab Tagwirei bekannt, sein Unternehmen wolle in zwei stillgelegte Privatkrankenhäuser investieren, die schon in wenigen Tagen den Betrieb wieder aufnehmen sollen. Die Ankündigung löste eine Welle der Empörung aus. Sollten die Kliniken etwa einzig für die Behandlung der Parteielite flott gemacht werden? Warum zwei seit Jahren geschlossene Krankenhäuser wiedereröffnen, wenn andere, sich im laufenden Betrieb befindende Kliniken die Ressourcen bitter nötig haben?

Zwischenstopp auf halbem Weg zum Friedhof

Das Parirenyatwa Hospital als größtes Krankenhaus des Landes hat die Regierungspartei Zanu-PF inzwischen in einen Schauplatz ihrer Nekropolitik verwandelt: Das Krankenhaus wurde dermaßen heruntergewirtschaftet, dass es heute nichts weiter ist als ein Zwischenstopp auf halbem Weg zum Friedhof. Die Ärzte und das medizinische Personal befinden sich beinahe dauerhaft im Streik, es gibt keine Medikamente und die medizinische Ausstattung ist veraltet oder defekt.

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Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Politik des Auszehrens staatlicher Institutionen auf die Verantwortlichen der Zanu-PF zurückfällt. Viel zu lange war es ihnen möglich, Staatsgelder in die eigene Tasche zu wirtschaften und öffentliche Institutionen dem Zerfall zu überlassen – während sie selbst ihre Kinder auf Universitäten in China, Südafrika, Großbritannien und den USA schickten und sich selbst in Kliniken außerhalb Simbabwes behandeln ließen. Die Corona-Pandemie hat ihnen den Zugang zu diesen Zufluchtsorten abgeschnitten. Nun sind sie gefangen in Simbabwe, gemeinsam mit ihren Landsleuten, die seit Jahren auf die maroden staatlichen Institutionen angewiesen sind. Das Coronavirus als der große Gleichmacher – wird diese kühne These sich in Simbabwe tatsächlich bewahrheiten?

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