Stadtentwicklungs-Experte„Köln sollte seine Parkgebühren dramatisch erhöhen“

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Stadtentwicklungsexperte Philipp Rode 

London – Philipp Rode ist einer der weltweit führenden Experten für Stadtentwicklung. Rode ist Executive Director des Forschungsinstituts LSE Cities an der London School of Economics. Er forscht seit 20 Jahren zu Fragen von urbanen Steuerungssystemen, Städtebaupolitik sowie nachhaltiger Verkehrs- und Siedlungsentwicklung.

Herr Rode, wem gehört die Stadt?

Philipp Rode: Die Stadt gehört den Bürgern, die sie gestalten, die sie betreiben und bespielen. Doch es gibt zahlreiche Indikatoren dafür, dass zu viel von der Stadt speziellen Interessen, exklusiven Personen und Institutionen gehört. Das meine ich nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne: wenn wir schauen, wer Entscheidungen trifft, sehen wir, dass vieles zu undemokratisch abläuft. Im internationalen Vergleich sehen wir, dass das Grundprinzip, die Stadt gehört den Bürgern, in Köln noch relativ ausgeprägt ist… was nicht heißen soll, dass alles im Guten ist. Nein, alles, was man im Sinne einer Bürgergesellschaft hat, muss man wertschätzen und in Zukunft aktiv verteidigen. Den status quo, auch wenn er defizitär ist, darf man nicht als Minimumstandard akzeptieren, muss man jeden Tag arbeiten. Die Stadt ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt, eine wichtige und kontinuierliche Auseinandersetzung. Entscheidend für das Gelingen ist das commitment jedes einzelnen.

Der Immobilienmarkt zeigt deutlich, dass andere Kräfte viel potenter sind als die Kommunen. Warum lassen schließen Städte Verträge ab, bei denen sie am Ende noch draufzahlen müssen?

Wir müssen uns eingestehen, dass wir am Ende eines Zyklus stehen, an dessen Beginn man den privaten Sektor eingeladen hat, Rollen zu übernehmen, die vorher die Stadt innehatte. Zum Beispiel haben viele Kommunen die Kernaufgaben der Ver- und Entsorgung in die Hände privater Firmen gegeben. Von der Privatisierung hatte man sich viel versprochen, heute sehen wir, dass sie zum Problem wird, wenn die strategische Steuerung von Stadtentwicklung darunter leidet. Beispiele dafür sind neben dem sozialen Wohnungsbau auch die Energieversorgung, städtische Dienstleistungen oder das Verkehrswesen. Ich würde spekulieren, dass wir in vielen Bereichen wieder eine Zunahme von öffentlichen Institutionen sehen werden, wo dann eventuell auch wieder der Immobilienbesitz diese neue Wertschätzung widerspiegelt.

Muss man den Städten dann nicht grundsätzlich raten, nichts mehr zu verkaufen, sondern im Gegenteil selbst zu kaufen und Grundstücke zum Beispiel nur noch in Erbpacht entwickeln zu lassen?

In der Vergangenheit waren die Haushalte der Kommunen oft so belastet, dass sie gezwungen waren, Land zu verkaufen, um Kindergärten, Schwimmbäder oder ÖPNV weiter betreiben zu können. Jetzt nichts mehr zu verkaufen könnte ein gutes Prinzip sein, insbesondere in Zeiten großer Unsicherheit, wie wir sie derzeit erleben. Auch, weil man dadurch Druck erzeugt, alternative Einnahmequellen aufzutun. Und da gibt es für die Städte noch unzählige Möglichkeiten, insbesondere, wenn in bestimmten Bereichen höhere Steuern nicht mehr länger als Tabu betrachtet werden.

Welches Potential steckt im Public Private Partnership? Was passiert wirklich?

Die Angst davor, dass man mit PPP Gewinne privatisiert und Risiken sozialisiert, kommt nicht von ungefähr. Der öffentliche Sektor ist in dieser Partnerschaft in einer schwierigeren Situation als die privaten Firmen. Das ist in vielen Bereichen Realität gewesen, vor allem, weil ein öffentlicher Sektor, der in dieser Phase noch geschrumpft wird, administrativ und juristisch nicht die Kompetenzen hat, hier hart entgegenzuwirken.  Grundsätzlich muss man aber sagen, dass Partnerschaften zwischen Privaten, Öffentlichen und auch der Zivilgesellschaft die Grundlage von Stadt sein sollten. Allerdings mit wesentlich härteren und klareren Verträgen und einer wirklich kompetenten öffentlichen Verwaltung, die sich gegen die Macht der privaten Interessen stemmen kann. Wenn Partnerschaften auf diese Ungleichheiten aufbauen, halte ich sie für sehr problematisch. 

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Im Sinne des Gemeinwohles sollten die besseren, härteren und smarteren Köpfe bei Verhandlungen auf der Seite der Stadt sitzen. Doch diese Positionen erscheinen vielen uninteressant, weil auf der anderen Seite mehr Geld, mehr Gestaltungsspielraum lockt. Lässt sich das umkehren?

In Städten, wo wir wirklich erfolgreiche öffentliche Administration erlebt haben, z.B. bei Transport for London, hatte es viel damit zu tun, dass wirklich gute Gehälter gezahlt wurden und damit auch international hervorragendes Personal rekrutiert werden konnte. Damit konnte die Stadt auch gegenüber privaten Firmen viel besser auftreten und Verträge abschließen, von denen die Öffentlichkeit deutlich profitiert. Natürlich sind Städte geografisch begrenzt und konzentrieren sich auf ihren eigenen Raum, während die international agierenden Firmen ihre Expertise heranziehen und aus unterschiedlichen Verfahren lernen. Um hier mithalten zu können, sollten die Städte sich viel stärker vernetzen und sich absprechen, um zu verhindern, dass ein Investor die eine Stadt gegen die andere ausspielt.

Die ökologische und soziale Transformation einer Stadt ist teuer, doch Städte und Kommunen haben kaum Geld. Gibt es Überlegungen oder besser noch Beispiele, wie der Wandel sich finanzieren ließe?

Ja, die ökologische Modernisierung ist teuer, aber wir hören es in diesen Tagen auch aus Glasgow immer wieder, dass öffentliche Institutionen als Hauptpriorität alle CO2-intensiven Investitionen reduzieren müssen. Da lohnt es sich bestimmt auch in Köln mal zu schauen, wo Geld dafür ausgegeben wird, um indirekt oder direkt sehr CO2-intensiven Verhalten oder Infrastrukturen fördern. Wenn man die öffentlichen Budgets objektiv durchgeht, wird man erstaunt sein, wie viel Geld man in der Hand haben könnte, das man dann auf ausschließlich ökologisch positive Projekte verwenden könnte. Ein Beispiel ist der Straßenbau. Es solle Priorität haben, die Kosten für Verkehrsinfrastruktur und Straßenbau zu reduzieren, Sicherheit und Instandsetzung sind davon aber ausgenommen. Mit dem Verzicht auf die Erweiterung von Straßenraum, kann man relativ große Budgets für ÖPNV und Radverkehr aufbauen. Wir brauchen aber auch neue Einnahmequellen, am besten solche mit positiven Konsequenzen. Ich denke, die deutschen Städte wären sehr gut beraten, echte Steuerungsinstrumente wie eine City-Maut und dramatisch erhöhte Parkgebühren einzusetzen. Das wird in Deutschland von keiner Stadt bisher ordentlich gemacht.

Die Angst der Politik, sich unbeliebt zu machen

Wie kann der Wandel, der unsere Städte auch in Zukunft lebenswert machen kann, politisch vollzogen werden? Hilft Partizipation unbequeme, bei Teilen der Gesellschaft unpopuläre Entscheidungen zu legitimieren?

Die Angst der Politik ist groß, sich unbeliebt zu machen. In unserer demokratischen Zivilgesellschaft möchte man nicht im Rahmen von Notstandsgesetzen gegen die Bevölkerung handeln. Covid hat uns gelehrt, dass wir für die Transformation eine gute Basis in der Bevölkerung haben muss, nicht unbedingt 100 Prozent, aber mindestens die Hälfte muss dahinterstehen. Ein demokratisches Instrument, das über die repräsentativen Institutionen hinaus geht, ist eine citizen assembly oder emergency assembly, ein Rat der Bürgerschaft, der neben einem Expertenrat einberufen wird, mit denselben Inhalten informiert wird und eine sehr breite Gruppe repräsentiert. Wir müssen dem Wandel aber auch Zeit geben, gerade Verhaltensänderungen gelingen nicht von heute auf morgen. Wir sehen häufig, dass radikale Veränderungen nach anfänglich deutlich geäußertem Unmut nach ein paar Monaten doch als etwas Positives wahrgenommen werden und sich damit die Glaubwürdigkeit der politisch Verantwortlichen wieder erhöht.

Stellen wir uns doch einmal vor, wir würden den Kraftverkehr auf ein Drittel seines jetzigen Aufkommens reduzieren – dort wo heute Fahrzeuge geparkt sind, wäre plötzlich Platz. Ich habe Sorge, dass wir verlernt haben, den öffentlichen Raum wirklich zu nutzen. Können wir, so wie wir heute leben, damit überhaupt umgehen?

In deutschen Städten nach dem Krieg viel Raum für den Verkehr geschaffen wurde. Jetzt müssen wir die Verkehrsströme dringend reduzieren und uns fragen, was wir dann mit dem wiedergewonnenen Raum machen wollen. Um gegen die Wohnungsnot vorzugehen, können wir auf Flächen für Parkhäuser oder Parkplätze nachverdichten und die nachhaltige Infrastruktur in den Quartieren ausbauen. Hüten muss man sich aber vor einer weiteren Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes. Vielmehr sollten wir die Chance zum kulturellen Wandel nutzen. Kinder brauchen wieder Räume zum Spielen und Erleben, wo Kindheit in der Stadt wieder etwas völlig Neues bedeutet. Wir brauchen auch deutlich mehr entsiegelte Flächen, mehr Bäume, die uns helfen Hitze und Regen besser zu bewältigen. Und dann kommen wir zu Kunst und Kultur im öffentlichen Raum, wo wir noch unendliche Möglichkeiten zum Weiterdenken haben. Hier müssen wir als Planer geduldig sein, und nicht direkt im Vorfeld sagen, was dort passieren soll. Lasst uns erst einmal die Möglichkeiten schaffen.

Kölner, auch ohne 20 Jahre Karnevalserfahrung

Wenn eine Stadt wie Köln den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit, mehr Transparenz, mehr Demokratie nicht nur punktuell, sondern ganzheitlich und nachhaltig umsetzen möchte, wer sind ihre wichtigsten Partner? 

In erste Linie ist es die formale Politik, die Bürgermeister, die politischen Vertreter, die sich darauf eingelassen haben und gewählt wurden, Politik zu gestalten und für die Menschen, die sie gewählt haben, zu sprechen. Das System der Repräsentation als Fundament unserer demokratischen Institutionen möchte ich so schnell nicht wegdenken. Das allein reicht aber nicht aus. Als zweites würde ich die Personen nennen, denen jenseits von kommerziellen Interessen an ihrem Ort gelegen ist, die sich einbringen, eine bestimmte Loyalität haben. Das kann auf der Ebene der Nachbarschaft, eines Straßenzugs sein, bis hin zur gesamten Stadt. Diese Tradition ist in Deutschland zwar relativ ausgeprägt und sollte von der Politik stärker aktiviert werden. Innovative Städte, zum Beispiel Wien, haben Budgets etabliert, so dass jeder eine Förderung beantragen kann, wenn man im öffentlichen Raum etwas gestalten möchte. Das gibt den Menschen, die sich in ihren Nachbarschaften sehr gut auskennen, die Möglichkeit aktiv mitzugestalten. Wichtig ist mir aber auch, dass eine Stadt keine geschlossene Gesellschaft ist, sondern als offenes System verstanden werden sollte. Man muss sich deutlich mehr bemühen, mit Menschen, die temporär da sind, die neu angekommen sind, besser umzugehen und Hierarchien nicht so hart ausspielt. Es darf nicht sein, dass man nur als vollwertiger Bürger wahrgenommen wird, wenn man die letzten 20 Karnevals mitgefeiert hat …

Das Gespräch führte Uta Winterhager

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