Leserbriefe zu Streiks an UniklinikenPflegekräfte sind keine Arbeitsverweigerer

Pflegekräfte machten während einer Demonstration am 1. Juni in Köln auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege aufmerksam.
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Versprechungen aus Corona-Zeit wurden nicht erfüllt
Es ist noch nicht lange her, dass Vertreter sowohl der Politik als auch des Gesundheitswesens jede Gelegenheit nutzten, die Leistungen der „systemrelevanten Berufsgruppen“ herauszustellen. Zu diesen gehör(t)en die Menschen, die derzeit streiken: die Pfleger und Pflegerinnen, die in höchster Corona-Not eine Sonderschicht nach der anderen durchgezogen haben. „Die Pflege muss attraktiver werden“, hieß es damals, durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie der Bezahlung. Und nun? Geht alles so weiter wie bisher.
Und wenn das Gesundheitssystem das nächste Mal in Schieflage gerät, holen die Vertreter von Politik und Gesundheitswesen die Reden von 2020 wieder hervor und fordern die Gesellschaft zum abendlichen Applaus auf? Dass Streiks Auswirkungen auf Nichtbeteiligte haben, liegt in der Natur der Sache. Den Pflegern daraus einen moralischen Strick zu drehen, ist unlauter – dass sie keine Arbeitsverweigerer sind, haben sie bereits unter Beweis gestellt.
Ebenso ist es billig, wenn hochrangige Mediziner und Klinikvorstände ihren Einfluss gegen die Pfleger wenden, anstatt die Verantwortlichen an ihre Versprechungen aus Notzeiten zu erinnern und deren Umsetzung einzufordern. Es sollte den Verantwortlichen des Landes NRW peinlich sein, dass die Pfleger zu diesem Streik genötigt werden. Und sie sollten sich ihrer Kurzsichtigkeit bewusst werden – die immer geringer werdende Verweildauer in diesem Beruf ist betriebswirtschaftlicher Unfug.Kerstin Aurich Erftstadt
Beim Streik Ausnahme für die Kinder machen
Bei allem Verständnis für den Streik in den Unikliniken, es leiden nicht nur die Krebspatienten, sondern auch wieder einmal die Kinder! Unser dreimonatiger Enkel hat seit der Geburt Probleme mit der Atmung, zuletzt war er wegen einer akuten Verschlechterung der Situation im Kinderkrankenhaus in der Amsterdamer Straße. Die für erforderlich angesehene Verlegung in die Uniklinik scheiterte am Streik, deshalb wurde er Anfang letzter Woche ins Evangelische Krankenhaus nach Düsseldorf verlegt, dort steht eine Weiterverlegung nach Hannover im Raum.
Was heißt da schon, es gebe eine Notfallvereinbarung zwischen Uniklinik und Verdi? Immerhin kam das Würmchen in Düsseldorf sofort auf die Intensivstation. Die fünfköpfige Familie macht sich schon genug Sorgen, die Nichtaufnahme des jüngsten Mitglieds an der Uniklinik ist eine zusätzliche Belastung. Hoffentlich entsteht kein weiterer, vermeidbarer Schaden. Kann man nicht beim Streik wenigstens für die Kinder eine Ausnahme machen?Bernhard Gratzla Köln
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Fehlende Solidarität der Ärzte
Nach der Aussage des anonym bleibenden Kinderarztes im Artikel „Kinder-OPs abgesagt“, dass der Streik der Pflegekräfte an der Uniklinik auf dem Rücken von Patienten ausgetragen wird, frage ich mich: Wo bleibt eigentlich die Solidarität der Ärzte mit ihren Pflegekollegen und -kolleginnen auf den Klinikstationen? Müssten die Ärzte nicht in Massen diesen Streik mit seiner Minimalforderung nach einem „Tarifvertrag Entlastung“ öffentlich und laut unterstützen?
Im Extremfall muss sich eine Pflegekraft um 15 Patienten kümmern. Das ist patientengefährdend, und alle wissen es. Zwei Corona-Jahre lang haben die Pflegekräfte öffentlich gebeten und gebettelt, auf ihre unhaltbaren und krank machenden Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht. Genutzt hat es nichts. Jetzt wird eben gestreikt! Richtig. Das haben Ärztevereinigungen übrigens auch schon mehrfach erfolgreich vorgemacht. Diese unrettbar idealistischen Pflegekräfte wollen ja noch nicht einmal mehr Geld, sie wollen nur bessere Arbeitsbedingungen. Die sollten sie bekommen.
Ich hoffe, dass die Arbeitgeber sich im eigenen Interesse bewegen und Karl Lauterbach neben Corona noch den Mut und die Zeit hat, das gesamte profitorientierte deutsche Gesundheitswesen von Grund auf zu reformieren. Und den Ärzten, die im Geheimen vielleicht dem Streik zustimmen, sich aber nicht trauen, das auch ihrem Chefarzt zu sagen, wünsche ich Mut, denn sie sitzen mit den Pflegenden im selben Boot.Irmgard Schenk-Zittlau Köln
Gesundheitssystem vor dem Kollaps
Seit über einem Monat streiken die Beschäftigten der Unikliniken in NRW, seit über einem Monat gibt es daher Ausfälle, Absagen, Verlegungen von teilweise notwendigen Operationen und Behandlungen. Dies regt viele Leute auf, verständlicherweise, geht es doch um unsere Gesundheit oder die unserer Kinder. Allerdings sind die Streiks der letzte Hilferuf von Beschäftigten, für die während der Corona-Krise noch kräftig geklatscht wurde, und die Ausfälle sind nur der Vorgeschmack auf das, was uns alle erwartet, wenn sich nichts ändert.
Die Arbeitgeber hatten 100 Tage Zeit, in Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung zu treten, was sie allerdings ignoriert haben. Doch ohne Entlastung geht es auch für die Beschäftigten um ihre Gesundheit: Immer mehr Personal bricht weg, arbeitet sich in den Burnout und verlässt frustriert und gesundheitlich wie psychisch am Ende den Beruf.
Wir sollten also im Sinne aller – sowohl der Patienten und Patientinnen als auch des Klinikpersonals – Druck auf die Arbeitgeber machen, endlich zu verhandeln und Entlastung zu ermöglichen, denn sonst droht dem Gesundheitssystem unmittelbar der Kollaps und damit wären die jetzigen Ausfälle dauerhaft an der Tagesordnung. In diesem Sinne: Bitte lasst uns unseren verständlichen Unmut gegen die Arbeitgeber richten und nicht gegen die um Hilfe rufenden Beschäftigten, denn sonst haben wir bald niemanden mehr, der uns und unsere Kinder versorgt.Eva-Maria Zimmermann Köln