Leserbriefe zum Interview mit Svenja FlaßpöhlerFrieden – aber nicht um jeden Preis

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Die Philosophin Svenja Flaßpöhler warnt zusammen mit anderen Prominenten in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz vor einer atomaren Eskalation des Kriegs in der Ukraine. 

„Wir dürfen uns nicht moralisch erpressen lassen“ – Die Philosophin Svenja Flaßpöhler hat einen offenen Brief zur Gefahr von Waffenlieferungen an die Ukraine unterzeichnet (3.5.)

Flächenbrand in Europa verhindern

Die Philosophin Svenja Flaßpöhler spricht mir aus der Seele. Putin wird diesen Krieg auf keinen Fall verlieren wollen, dazu hat er noch zu viel in der Hinterhand. Mehr schwere Waffen bedeutet mehr Blutvergießen, bedeutet einen längeren Krieg, der sich zu einem Flächenbrand in ganz Europa ausweiten kann. Ist damit der Ukraine geholfen? Ich wünsche Kanzler Scholz Standhaftigkeit in seiner besonnenen und zurückhaltenden Art und wünsche ihm, Beleidigungen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk an sich abperlen zu lassen. Dr. Karin Heider Odenthal

Von Atomdrohungen nicht bluffen lassen

Die Vorstellung, wir müssten dem russischen Bären die Ukraine zum Fraß vorwerfen, damit wir selbst Ruhe haben, ist nicht nur unmoralisch, sondern auch realitätsfern. Putin versteht leider nur die Sprache der Gewalt und wird jeden „Kompromiss“ als Zeichen der Schwäche und Aufforderung zum Weitermachen werten. Und wie soll ein Kompromiss zwischen Vergewaltiger und Opfer aussehen, Frau Schwarzer? Nur Putins vollständige Niederlage kann verhindern, dass er sein mörderisches Spiel in anderen Ländern fortsetzt.

Die Ukraine hat sich entschieden, für ihre eigene und unser aller Freiheit zu kämpfen. Darin sollten wir sie nach Kräften unterstützen, statt wie Frau Flaßpöhler herablassend die Besetzung der Krim gutzuheißen. Von Moskaus Atomdrohungen dürfen wir uns nicht bluffen lassen. Putin mag vieles sein, aber ein Selbstmörder ist er nicht.  Dr. Sebastian Vogel Kerpen

Noch mehr Tote verhindern

Bravo, Frau Flaßpöhler, für Ihre Interpretation des offenen Briefs an den Bundeskanzler, der ich zustimme. Ich, Jahrgang 1944, darf das sagen, weil ich weiß, dass der Krieg mit dem Datum der Beendigung eben nicht zu Ende ist. Zurück bleiben Mütter ohne Söhne, Frauen ohne Ehemänner, Kinder ohne Väter, Schwestern ohne Brüder. Und Heldengedenktage mit dem Motto „Ich hatte einen Kameraden“. Da kann man mir sagen, ich sei aus der Zeit gefallen, bitteschön.

Aber jeder Tag, an dem Menschen zu Tode kommen, wie in der Ukraine, ist einer zu viel. Was heißt Freiheit, wenn es kein Leben mehr gibt? Die zerstörten Familien werden es nicht verstehen. Auch wenn es Marathon-Verhandlungen gäbe, wovon auszugehen ist – sie wären die bessere Lösung.  Elke Kaulen Wesseling

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Frieden – aber nicht um jeden Preis

Frau Flaßpöhler will sich nicht moralisch erpressen lassen. Dabei macht sie es sich leicht, für die Ukraine zu entscheiden, dass diese die Krim verloren geben solle. Hat sie die ukrainischen Bürger gefragt, ob sie damit einverstanden sind? Ist Frau Flaßpöhler so naiv zu denken, Putin werde mit der Krim zufrieden sein? Er und sein Außenminister Lawrow haben mehrmals betont, sie wollen das ganze Land „entnazifizieren“. Kurz gesagt: Sie wollen, dass die Ukraine als souveränes Land nicht mehr existiert, so wie Belarus.

Frau Flaßpöhler kritisiert, dass „wir vollkommen unkritisch die Rhetorik von Selenskyj“ übernehmen. Das wundert mich. Liest die Philosophin keine deutschen Zeitungen? Schaut sie keine Reportagen aus Kiew, Lwiw oder Dnipro? Muss sie vielleicht selbst in die Ukraine reisen und mit Menschen reden, um zu verstehen, was die Ukrainer wollen? Natürlich wollen sie den Frieden! Aber nicht um jeden Preis. Wie bei kaum einem anderen Krieg im 21. Jahrhundert steht hier fest, wer die Bösen und wer die Guten sind. Und die Guten müssen gewinnen und unterstützt werden – unter anderem mit schweren Waffen. Vadim Margolius Leverkusen

Selbsterhaltung nur durch Verteidigung möglich

Bei einem Besuch im Neanderthal Museum las ich an einer Wandtafel folgende Erläuterung über das Wesen des Menschen: Aggression ist, wenn Menschen Gewalt ausüben, um anderen ihren Willen aufzuzwingen. Aggression ist auch, wenn Menschen Gewalt ausüben, um sich dagegen zu wehren. Dies bedeutet, dass Aggression in unseren Anlagen liegt, im Augenblick der Verteidigung der Selbsterhaltung dient und dann nicht verurteilt werden sollte. Geisteswissenschaftlerinnen sollten sich auch in den Naturwissenschaften über menschliches Verhalten und dessen Sinn informieren. Ingrid Böttcher Leverkusen

Deutschland darf nicht Kriegspartei werden​

Das Interview der Philosophin Svenja Flaßpöhler zum offenen Brief an Kanzler Scholz mit all seinen wichtigen politischen Aspekten und mit der Aufforderung, dass es höchste Zeit ist für einen Kompromiss in dieser schrecklichen Situation, unter der so unendlich viele Ukrainer, Frauen, Alte und Kinder leiden, sollte bei den verantwortlichen Politikern Gehör finden.

Auch die Gefahr, dass wir als Kriegspartei angesehen werden, wächst von Stunde zu Stunde und mit jeder neuen Waffen- und Panzerlieferung. Schluss damit! Ich weiß, was Krieg bedeutet, denn ich habe es am eigenen Leib verspüren müssen und bin seitdem in der Friedensbewegung aktiv. Sicher suchen auch viele Ukrainer, die in den Kellern um ihr Leben bangen, nach einem Kompromiss. Helfen wir ihnen mit unserer Solidarität auf verschiedenen Gebieten wie auch den russischen Menschen. Walborg Schröder Kürten

Debatte über Ukraine-Hilfe respektvoll führen

Der jüngste offene Brief an den Bundeskanzler, in dem Intellektuelle vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine warnen, schlägt teilweise hohe Wellen. Hierzu lassen sich zweifellos sowohl Pro- als auch Contra-Argumente anführen. Gleiches gilt jedoch auch für die Gegenposition, die solche Waffenlieferungen befürwortet. Beides sind meines Erachtens jeweils vertretbar begründete, moralisch legitime Positionen. Daher sollten die Vertreter beider Seiten darauf verzichten, sich wechselseitig zu diskreditieren oder gar zu verunglimpfen, sondern ungeachtet der eigenen Überzeugung anerkennen, dass auch die Position des Gegenübers grundsätzliche Berechtigung hat.

Sachliche Kritik und Gegenargumentation sind selbstredend unbenommen, woran es in der öffentlichen Debatte aber leider manchmal mangelt. Indessen gibt in dieser vielschichtigen, hochkomplexen Frage nicht die eine, einzig richtige Antwort, nicht das absolut gesetzte Non-plus-Ultra einer alles andere ausschließenden Lösung, keine über alle Zweifel erhabene Linie. Nicht zu beneiden ist daher „die Politik“, die letztlich Entscheidungen treffen muss. Roland Schweizer Leverkusen

Putin klare Grenzen setzen

Erstens: In Bezug auf die Prahlereien und Drohungen Putins sagt Frau Flaßpöhler: „Wir alle stecken nicht in Putins Kopf, wir alle wissen nicht, ob er verrückt ist.“ Man kann aber aus seinen Äußerungen und vor allem aus seinem Verhalten auf manches schließen, was in seinem Kopf vorgeht. Putin hat nach dem Überfall auf die Krim Jahre gewartet, bis er sich der Ukraine als ganzer zuwandte. In diesem Fall war er sehr vorsichtig. Er versammelte ein Heer von etwa 100 000 Mann an der Ostgrenze der Ukraine und ließ es verschiedene Positionen einnehmen, aus denen heraus ein Angriff binnen einigen Tagen möglich war. Als im Westen keine entsprechenden Reaktionen erfolgten, schloss er, dass der Westen nichts zur Verteidigung der Ukraine tun würde. Das war ihm 2008 angedeutet worden, als die Nato der Ukraine den Beitritt verweigerte. Und so wagte er den Angriffskrieg.

Zweitens: Frau Flaßpöhler spricht von der Gefahr, dass wir als Kriegspartei angesehen und dann Opfer russischer Angriffe werden. Die Unterstützung eines angegriffenen Staates erlaubt nach geltendem Völkerrecht keinen Angriff auf die Lieferanten. Nun kümmert sich Putin nicht um das Völkerrecht. Aber der Angriff auf ein Nato-Land wäre der Bündnisfall, bei dem alle Verbündeten dem Angegriffenen zu Hilfe kommen müssten. Putin, der schon mit der ukrainischen Armee nicht zurechtkommt, wird sich hüten, sich weitere, und zwar überlegene Gegner, darunter Atommächte, zu schaffen. Wie die Philosophin sagt: „Gegen eine Atommacht kann man keinen Krieg gewinnen.“ Was übrigens nicht stimmt. Dem Vietcong ist es gelungen.

Drittens: Man müsse einen Kompromiss zwischen den Kriegführenden herbeiführen, das heißt, dass beide Seiten etwas von ihren Zielen abrücken. Putin, der die ganze Ukraine haben wollte, muss sich mit einem Stück davon zufrieden geben. Mit der Zusicherung der Ukraine, auf Dauer auf die Krim und Luhansk und Donezk zu verzichten, wird er nicht zufrieden sein, denn diese Gebiete hatte er ja schon. Die ukrainische Regierung muss also bereit sein, einen Teil des Landes zu opfern und dessen Bevölkerung, falls sie es nicht vorzieht zu fliehen, der Tyrannei eines Autokraten zu überlassen.

Viertens: Die Philosophin sagt, der Erste Weltkrieg sei „schlafwandlerisch entstanden, durch Bündnistreue. Niemand wollte den Krieg, plötzlich war er da.“ Als Historiker, der die Dokumente der Jahre und besonders der Wochen vor dem Beginn dieses Krieges studiert hat, bin ich der Ansicht, dass die Regierungen der fünf europäischen Großmächte wach waren, vielleicht sogar ein bisschen zu wach, weil sie ständig mit Krieg rechneten und den jeweils anderen die schlimmsten Absichten zutrauten. Die Metapher des „Schlafwandelns“ ist übertrieben, und meint, dass sich kaum einer Vorstellungen darüber machte, was für ein Krieg das werden würde.  Dr. Gert Tröger Köln

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