„Vorhersehbare Tragödie“Prozess um Einsturz von Morandi-Brücke in Genua begonnen

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Fahrzeuge der Rettungskräfte stehen vor der teilweise eingestürzten Autobahnbrücke.

Genua – Fast vier Jahre nach dem verheerenden Einsturz der Morandi-Brücke in Genua hat am Donnerstag der Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen begonnen. Wegen des Unglücks mit 43 Todesopfern müssen sich 59 Angeklagte vor Gericht in Genua verantworten, darunter hochrangige Vertreter des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia (Aspi) und des Bauunternehmens Spea sowie Beamte des Infrastrukturministeriums.

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Richter Paolo Lepri (M), gestikuliert während der ersten Anhörung im Prozess um den Einsturz der Morandi-Brücke im Justizpalast von Genua.

Den Angeklagten wird unter anderem fahrlässige Tötung, Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und Rechnungsfälschung zur Last gelegt. Das Verfahren soll voraussichtlich zwei bis drei Jahre dauern. Opferanwalt Raffaele Caruso sagte der Nachrichtenagentur AFP, es handele sich angesichts des Ausmaßes des damaligen Unglücks und der Zahl der Beschuldigten um „einen der wichtigsten Prozesse in der jüngeren Geschichte Italiens“. Es geht unter anderem um die Frage, ob die Brücke ausreichend gewartet und ihr Zustand ausreichend kontrolliert wurde.

„Eine Bombe mit Zeitzünder“

„Die Morandi-Brücke war eine Bombe mit Zeitzünder“, hob Staatsanwalt Walter Cotugno hervor. „Man konnte das Ticken hören, aber man wusste nicht, wann sie explodieren wird.“ Es gebe keinen Zweifel, dass die Führungen von des Autobahnbetreibers und des Bauunternehmens sich dieses Risikos bewusst gewesen seien, sagte Cotugno. Sie hätten sich aber gegen notwendige Arbeiten an der Brücke gesträubt, um den Aktionären „die Dividenden zu sichern“.

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Anwälte bei der Eröffnung der ersten Anhörung im Prozess um den Einsturz der Morandi-Brücke im Justizpalast von Genua.

Die Unternehmen selbst sind einem Prozess durch eine außergerichtliche Einigung entgangen, wonach sie dem Staat wegen des Unglücks 29 Millionen Euro zahlen müssen. Mehr als 60 Millionen Euro zahlte der Autobahnbetreiber an die Familien der Opfer aus, nur zwei Opferfamilien akzeptierten diese Vereinbarung nicht. Die fast 1200 Meter lange Autobahnbrücke war am 14. August 2018 während heftiger Regenfälle auf einer Länge von über 200 Metern eingestürzt und hatte dutzende Fahrzeuge mit in die Tiefe gerissen. 43 Menschen kamen ums Leben.

„Strukturelle Zweifel“ am Bau

Die Bilder des Einsturzes gingen um die Welt. Das Unglück warf auch ein Schlaglicht auf den maroden Zustand von Italiens Verkehrsinfrastruktur. Die Brücke überspannte dutzende Bahngleise sowie ein Gewerbegebiet mit Gebäuden und Fabriken. Zum Unglückszeitpunkt liefen Wartungsarbeiten an dem Bauwerk. Die Ingenieurswebsite „ingegneri.info“ nannte das Unglück kurz danach eine „vorhersehbare Tragödie“.

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Es habe immer schon „strukturelle Zweifel“ am Bau des Ingenieurs Riccardo Morandi gegeben, nach dessen Pläne die Brücke von 1963 bis 1967 gebaut wurde. Schon 2009 war über einen Abriss nachgedacht worden, die Brücke war aber zu wichtig für den Autoverkehr. Das Bauwerk gehörte zur sogenannten Blumenautobahn A10, einer auch von zahlreichen Touristen genutzten wichtigen Verkehrsachse an der italienischen Riviera, die Genua mit Ventimiglia an der französischen Grenze verbindet. Jedes Jahr fuhren 25 Millionen Autos über die Morandi-Brücke. (afp)

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