Tödliche Attacke auf trans MannNeue Details über CSD-Tatverdächtigen bekannt

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Menschen haben auf dem Hafenplatz eine Fahne ausgelegt, die mit bemalten Steinen beschwert ist. Auf einem steht "Hero" zu lesen.

Nach dem Tod einer transsexuellen Person in Münster hatten auf dem Hafenplatz eine Fahne ausgelegt, die mit bemalten Steinen beschwert ist.

Ermittlungen nach der mutmaßlich queerfeindlichen Tat in Münster zufolge ist der Verdächtige schwul. Der psychiatrische Gutachter beschreibt einen existenziellen Konflikt.

Am Abend des 27. August ist auf dem Christopher Street Day (CSD) in Münster Party angesagt. Kurz nach 20 Uhr nähert sich Nuradi A. (20) mit zwei Freunden nahe der CSD-Veranstaltung am Hafenplatz drei feiernden Frauen, wobei eine von ihnen später ihr Geschlecht als männlich angeben wird. Die gute Stimmung kippt, als der junge Tschetschene anzügliche Bemerkungen macht.

Ob er ihnen mal unter den Rock fassen könne, will der Ex-Boxer wissen. Zu der Zeit hat er bereits einen Joint geraucht und reichlich Bier intus. Die Angesprochenen beschimpfen A., der daraufhin völlig in Rage gerät. „Lesbische Huren“, brüllt er, „Scheiß-Transen“. A. droht den Dreien Schläge an, äußert wohl auch Drohungen gegen die Familien, die er „töten“ wolle.

Malte C., ein 25-jähriger trans Mann, wird auf das Geschehen aufmerksam. Vor einiger Zeit hat er sich seine Brüste operativ entfernen lassen. In der Sommerhitze läuft Malte C. mit nacktem Oberkörper herum, sodass die OP-Narben zu sehen sind. Als er sich einmischt und darauf drängt, die drei CSD-Teilnehmerinnen in Ruhe zu lassen, läuft Nuradi A. nach Zeugenberichten wutentbrannt auf ihn zu.

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Malte solle nur ja das Maul halten, er sei ja gar kein richtiger Mann, schreit A. und stößt sein Gegenüber gegen die Brust. Mit der rechten Faust schlägt er Malte C. laut Anklage ins Gesicht, ein wuchtiger Treffer mit links streckt das Opfer zu Boden. Mit dem Hinterkopf prallt C. auf das Pflaster.

Vermutlich ist er bereits bewusstlos, als er hintenüberkippt. Der Angreifer flüchtet. Malte C. stirbt sechs Tage nach der Attacke an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas.

Innenministerin Faeser sprach von einem „Hassverbrechen“

Vom 13. Februar an muss sich der Tatverdächtige unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor der Jugendstrafkammer in Münster verantworten. „Mein Mandant wird sich zur Sache einlassen. Er bedauert dies sehr“, sagt sein Verteidiger Siegmund Benecken.

Der Fall hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach kurz danach von einem „Hassverbrechen“ und kündigte ein konsequentes Vorgehen gegen Diskriminierung und Gewalt an. Malte C. schien da ein weiteres Opfer einer lesbischen und transfeindlichen Gewalttat zu sein.

Zunächst waren Ermittler von einem queerfeindlichen oder homophoben Motiv ausgegangen, das Ganze stellt sich nun aber deutlich komplexer dar. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ergibt die Untersuchung durch eine psychiatrische Sachverständige, dass der Angeklagte seit dem 14. Lebensjahr wusste, dass er schwul ist. Diesen Umstand aber nicht wahrhaben wollte. In seiner islamisch geprägten Heimat ist Homosexualität ein Tabu. Immer wieder spricht der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow von einem „zerstörenden und zersetzenden Übel“. Auch berichten Menschenrechtsorganisationen über Verfolgungen von Homo- oder Transsexuellen in dem Satelliten-Staat des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

A.s Vater soll nicht erfahren, dass sein Sohn homosexuell ist

Nuradi A. scheint in alten archaischen Sitten und Vorstellungen seiner Heimat gefangen zu sein. Dazu passt folgende Begebenheit, die die Ermittlungsakte preisgibt: Während des CSD hat ein Teilnehmer A. mit dem Handy fotografiert. Aufgeregt bittet der Tschetschene darum, diese Aufnahmen zu löschen. Sein Vater, der in Tschetschenien lebt, soll nicht via Internet erfahren, dass er schwul sei. Offenbar schämt A. sich, will sich seine Vorliebe für andere Männer nicht eingestehen.

In diesem Zwiespalt könne er die eigene Homosexualität als äußerst belastend empfunden habe, konstatiert die Gutachterin. Den Angriff bewertet die Psychiaterin als unbewusste Abwehr „eigener homosexueller Wünsche“. Demnach hat Nuradi A. zugeschlagen, um nach außen hin zu zeigen, wie sehr er Schwule und Transsexuelle hasst. Diese Schlussfolgerung stellt die Gutachterin in ihrer vorläufigen Expertise allerdings nur als Vermutung in den Raum.

Fakt ist, dass der Angeklagte als notorischer Schläger aktenkundig ist. Vor dem Hintergrund attestiert die Psychiaterin Nuradi A. einen Hang zu „dissozialem Handeln“ und „einer alkoholinduzierten aggressiven Gestimmtheit“. Fühlt er sich gekränkt, schlägt er zu.

Fühlt er sich gekränkt, schlägt er zu

In der Vergangenheit liefen bereits fünf Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungsdelikten. Dabei hat der Beschuldigte ein Opfer bewusstlos geschlagen. Gut einen Monat vor dem tödlichen Ereignis auf dem CSD soll der Angeklagte mehrere Personen verletzt haben. Das Gros der Verfahren wurde aus unterschiedlichen Gründen eingestellt. Mal wegen Geringfügigkeit, mal im Hinblick auf eine zu erwartende höhere Strafe in einem anderen Fall oder weil das Opfer keine Strafanzeige stellte. In einer Vernehmung räumt A. den Akten zufolge ein, seine innere Wut nur schwer zügeln zu können.

Seine Biografie weist markante Brüche auf. Laut Akte wächst Nuradi A. mit zwei Geschwistern im Grenzgebiet zu Tschetschenien auf. Sein Vater schlägt ihn oft. Schon als Kleinkind zeigt er schwere depressive Züge. Als seine jüngere Schwester an Leukämie erkrankt, siedelt die Familie nach Deutschland über. In Münster erhält das Mädchen eine Krebsbehandlung, die ihr Leben rettet.

Nuradi A. tut sich in der neuen Heimat schwer, wie es die Ermittlungen nahelegen. Auf der Hauptschule kommt er gar nicht klar, fehlt häufig im Unterricht. Mit 13 bringt ihn ein Verein für Integration gefährdeter Kinder und Jugendlicher in einer Boxschule unter. Im Gegenzug darf er nicht mehr die Schule schwänzen. Die Maßnahme hilft, die Noten bessern sich genauso wie die boxerischen Leistungen. Nuradi A. avanciert in seiner Gewichtsklasse zum deutschen Juniorenmeister.

Mit 14 beschleichen den Jugendlichen soziale Ängste, nachdem er seine Homosexualität entdeckt. Nach außen hin wirkt er gehemmt, kapselt sich ab. A. fängt an zu trinken und zu kiffen, weil er dann besser verdrängen kann.

Im Jahr 2019 absolviert der Angeklagte den Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife in der zehnten Klasse schafft er aber nicht mehr. Auch mit dem Boxen ist es aus. Im Sommer 2022 versucht A. sich als Lagerarbeiter, bricht bald wieder ab. Immer wieder rastet er bei der kleinsten Differenzen aus, wird aggressiv und schlägt zu. Am 27. August endet einer seiner Gewaltexzesse für einen jungen trans Mann tödlich.

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