Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

SicherheitsauflagenLeverkusener Vereine fürchten: Die Tradition bleibt auf der Strecke

6 min
Die Zufahrt zur Hitdorfer Kirmes musste mit Privatfahrzeugen blockiert werden

Die Zufahrt zur Hitdorfer Kirmes musste mit Privatfahrzeugen blockiert werden

Überall stöhnen Veranstalter unter den immer schärfer werdenden Sicherheitsauflagen – wie sind Veranstaltungen in Leverkusen überhaupt noch umsetzbar?

Die Sommermonate sind zum Feiern da. Überall freuen sich Menschen auf Veranstaltungen unter freiem Himmel, Nachbarschaften treffen sich, Ehrenamtliche in Vereinen arbeiten teilweise das ganze Jahr auf eine Veranstaltung hin. Doch wo man auch hingeht, hört man das gleiche Stöhnen der Verantwortlichen: Es ist alles so viel schwieriger, aufwändiger und teurer geworden. Viele Parteien haben jetzt, vor der Kommunalwahl, das Anliegen formuliert, Bürokratie für Vereine und Veranstalter abzubauen. Doch wie kann das gelingen? Und wie genau sind die Auflagen der Stadt, die Veranstalter zu erfüllen haben?

Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Es gibt keinen einheitlichen Maßnahmenkatalog, den Veranstalter abarbeiten müssen. Bevor die Stadt eine Veranstaltung genehmigt, müsse das Sicherheitskonzept immer im Einzelfall geprüft werden „je nach Art und Umfang der Veranstaltung und des Veranstaltungsortes“, schreibt die Stadtverwaltung auf Anfrage. 

Haben erfolgreich für ihren Festzug gekämpft: Frauke Küster, Andreas Rothe, Susanne Ziesmann-Klein und Simone Neugebauer

Haben erfolgreich für ihren PaRoLi-Festzug gekämpft: Frauke Küster, Andreas Rothe, Susanne Ziesmann-Klein und Simone Neugebauer

Das macht den Veranstaltern große Probleme. „Wir haben uns im Dezember extra informiert, ob es neue Auflagen gibt, da hieß es: ‚Nein‘“, sagt Simone Neugebauer, 1. Vorsitzende der Dorfgemeinschaft Pattscheid-Romberg-Linde, kurz „PaRoLi“. Den Antrag für sein Dorffest mit Festumzug hat der Verein dann wie üblich frühzeitig gestellt. „Und Ostern kommen dann plötzlich ganz andere Anforderungen per Mail“, sagt Neugebauer. Damit stand der traditionelle Festzug, der seit 72 Jahren am Wochenende des Dorffestes entlang der Burscheider Straße mit Traktoren, Fußgruppen, Musik und Kamelle stattfindet, kurz vor der Absage.

Es schmerzt uns, dass wir nicht alle mitnehmen konnten
Simone Neugebauer, 1. Vorsitzende der Dorfgemeinschaft Pattscheid-Romberg-Linde

Früher lief es so: Man wartete den Bus ab und ging los. Beim nächsten Bus war der Umzug durch, die Autos mussten ein paar Minuten warten, die Polizei war vor Ort. Jetzt musste die Burscheider Straße voll gesperrt werden, inklusive Umleitung und Absicherung aller Stichstraßen mit Fahrzeugen. Der Zug konnte nur gehen, weil man den Weg verkürzte. 

Auflage: Die Absperrungen der Zufahrten beim Street-Life-Festival von Jazz-Lev mussten stundenlang durchgehend besetzt sein, ob durch die Auflage ein Anschlag verhindert werden könnte, ist unklar.

Keine gute Lösung, findet Neugebauer rückblickend. „Es schmerzt uns, dass wir nicht alle mitnehmen konnten.“ Es waren weniger Zuschauer gekommen, gerade für Ältere, die früher nur vor die Tür treten mussten, war die geänderte Strecke wohl zu weit. PaRoLi – das ist ja gerade die Verbindung der drei kleinen, Stadtteile an der Straße. Davon ist ein Stück buchstäblich auf der Strecke geblieben.

Schlebuscher Schützen müssen Strecke kürzen

Diesen Schmerz verspürt auch Jens Ramsch, Schriftführer der Schlebuscher Schützenbruderschaft noch Wochen nach dem Schützenfest. Auch bei den traditionellen Märschen der Schützen am Fronleichnamswochenende ist einiges auf der Strecke geblieben: Die Zugstrecke wurde verkürzt, einzelne Märsche ganz abgesagt.

Die Schlebuscher Schützen ziehen durchs Dorf

Die Schlebuscher Schützen ziehen durchs Dorf

Verschärfte Sicherheitsauflagen kennt Ramsch. „Aber so schlimm wie dieses Jahr war es noch nie.“ Er plane immer frühzeitig, habe die Anträge schon im Februar oder März eingereicht. „Dann habe ich erst mal vier bis sechs Wochen nichts gehört.“ Und dann kam eine E-Mail mit umfassenden neuen Auflagen, wie sie auch PaRoLi bekommen hat. Alleine für den Zug am Donnerstag, bei dem rund 60 Schützenbrüder mitgehen, hätten 26 Einfahrtsstraßen gesperrt werden müssen. „,Und zwar jeweils mit einem Fahrzeug, dessen Kennzeichen und Handynummer des Fahrers wir vorab angeben mussten.“

Weniger Auflagen in Hitdorf

Bernd Ruther, 1. Vorsitzender des Hitdorfer Geselligkeitsvereins, hat andere Erfahrungen gemacht: „Die Hauptstraße sperrt die Polizei ab, die Stichstraßen mussten wir nicht sichern, dafür ist unser Umzug zu klein.“ Allerdings machen sich am Hitdorfer Kirmeswochenende zwischen 200 und 250 Menschen auf den Weg, um den Hahnenkönig abzuholen. Wie lang die Strecke ist, hängt auch immer davon ab, wo die aktuelle Hoheit wohnt. „Dieses Jahr haben wir die Strecke kurz gehalten, weil wir auch viele Fußkranke dabei haben“, sagt Ruther lachend. Und so habe sich auch der Aufwand reduziert. 

Festumzug

Der Kreisverkehr in Hitdorf wurde für den Festumzug kurz von der Polizei gesperrt,  Stichstraßen mussten nicht gesichert werden.

Aber auch die Hitdorfer leben mit neuen Auflagen: Am Ende des Zuges darf nicht mehr die Freiwillige Feuerwehr die Absicherung übernehmen, wie das früher immer der Fall war. Da muss jetzt ein privat geführter Traktor mitfahren. Auch der Kirmesplatz und die Einfahrt zwischen Platz und Stadthalle müssen abgesichert werden. „Wer stellt schon freiwillig sein Auto da hin?“, fragt Ruther. Zumal derjenige immer in der Nähe sein muss – im Notfall muss der Wagen innerhalb von einer Minute weggefahren werden. Aber es konnten Freiwillige gefunden werden. „Die Organisation bedeutet deutlich mehr Aufwand und hat ein bisschen gedauert“, sagt Ruther.  

Veranstalter müssen selbst Konzept erstellen

Warum gibt es keinen einheitlichen Maßnahmenkatalog, auf den Veranstalter zurückgreifen können? „Grundsätzlich obliegt es dem Veranstaltenden, selbständig zu prüfen, welche Sicherheitsauflagen für die jeweilige Veranstaltung erforderlich sind“, schreibt die Stadtverwaltung auf Anfrage. Die Stadt prüfe das dann und fordere gegebenenfalls Nachbesserungen. Wie lange das dauere, könne nicht pauschal gesagt werden. Genau das bringt Vereine oft in Schwierigkeiten: Sie erarbeiten zunächst ein eigenes Konzept und werden dann, oft kurzfristig, mit ganz anderen Auflagen konfrontiert.

Dass diese nicht einheitlich sind, bestätigt die Stadtverwaltung, Einzelfallentscheidung eben. Warum 60 Schlebuscher Schützen Seitenstraßen mit Auto sichern müssen, 250 Hitdorfer aber nicht, wird nicht klar. Vielleicht liegt es daran, dass das Schlebuscher Schützen- und Volksfest das publikumsreichste in der Stadt ist und damit höhere Auflagen verbunden sind. Genaues dazu will die Stadt nicht preisgeben, da dies „dem Grundgedanken der Sicherheitskonzepte widerspricht“.

Für Ramsch bleibt unklar, warum teilweise gar nicht abgesperrt werden muss, manchmal das die Polizei übernimmt oder einfaches Flatterband reicht: „Beim CSD waren viel mehr Leute unterwegs, und da war nichts abgesichert. Und am Eingang vom Volksfest stand ein einfaches Absperrgitter.“ Davon ganz zu schweigen, wie viele Polizeikräfte bei Spielen von Bayer 04 im Einsatz seien.   

Innenministerium gibt Empfehlungen

Werden diese Auflagen von der Stadt festgelegt, oder gibt es Landesvorgaben? Auch das ist nicht einheitlich: Für Landes- oder Bundesstraßen etwa gelten besondere Vorgaben. Grundsätzlich entscheidet aber die Stadt darüber, unter welchen Auflagen sie Veranstaltungen gestattet. Leverkusen orientiere sich dabei an Empfehlungen und Merkblättern, die das NRW-Innenministerium zum Themenkreis Veranstaltungssicherheit herausgegeben hat. 

Eines ist klar: Niemand möchte, dass Teilnehmenden oder Zuschauern bei Veranstaltungen etwas zustößt. „Wir haben auch großes Verständnis dafür, dass man vorsichtiger geworden ist nach den Vorfällen in der Vergangenheit“, sagt Ramsch.  „Positiv ist, dass es jetzt eine zentrale Anlaufstelle gibt und man nicht mehr Anträge an fünf verschiedenen Stellen machen muss“, lobt Neugebauer. Das Team „Veranstaltungsservice“ ist im Fachbereich Kultur und Stadtmarketing angesiedelt. „Aber wir brauchen mehr Hilfe von der Stadt bei der Umsetzungen der Auflagen. Wir können das nicht mehr alleine stemmen“, sagt Neugebauer.

Auch die Schlebuscher Schützen haben sich noch für August mit Stadtverantwortlichen zu einem Krisengespräch verabredet. Ramsch fordert ebenfalls mehr Unterstützung von Stadt, Polizei und Ordnungsamt. „Wenn Vereine mit den hohen Auflagen alleine gelassen werden, dann stirbt Tradition aus.“ Dem stimmt auch Ruther zu, der sich um die Attraktivität von Veranstaltungen sorgt: „Wenn niemand mehr kommt, bleibt auch der Nachwuchs aus – und mit ihm das Interesse an unseren Traditionen.“