Blutkrebs-Diagnose mit acht WochenWie Sofia aus Köln die Leukämie besiegte

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Sofia lächelt und sitzt an auf einem Holzstuhl. Auf dem Tisch neben ihr liegt ein Malbuch.

Sofia ist mit einer Stammzellenspende von Leukämie geheilt worden.

Als sie gerade einmal acht Wochen alt ist, wird bei Sofia ein aggressiver Blutkrebs erkannt, mit geringen Heilungschancen. Doch Sofia schafft es.

Eine Isolierkammer in einem Düsseldorfer Krankenhaus, ein winziger Raum, ein Bett, ein Gartenklappstuhl, keine Fenster. In dem Bett liegt Sofia, sie ist erst einige Monate alt. Das kleine Mädchen ist am Ende seiner Kräfte. Das Immunsystem am Anschlag. Schläuche führen in den kleinen Körper. „Auf dem Klappstuhl haben mein Mann und ich monatelang abwechselnd geschlafen“, sagt Sofias Mutter.

Sofia ist sehr krank. Sie leidet unter einem aggressiven Blutkrebs. Die ersten Monate ihres Lebens sind extrem belastend: Chemo-Therapien, Medikamente, Schmerzen. Ihre Eltern sind immer bei ihr. Was sie braucht, um zu überleben, ist eine Stammzellenspende. Sofia hat großes Glück, ein passender Spender wird schnell gefunden. Heute, mit sechs Jahren, gilt sie als geheilt. Sofia lebt mit ihrer Familie in Köln. In ein paar Tagen hat sie Geburtstag.

Im Februar 2016 wird Sofia in Leverkusen geboren. Die Schwangerschaft verläuft relativ normal, berichtet Mutter Jacqueline Marotta. „Ich hatte mir lange ein Baby gewünscht und dann hat es endlich geklappt.“ In den ersten Wochen nach ihrer Geburt weint Sofia viel. „Es ging ihr irgendwie nicht gut, aber wir wussten nicht genau, was los ist“, erinnert sich Jacqueline. Dann wird es immer schlimmer, Sofia wacht nass geschwitzt auf und hat 40 Grad Fieber. Da ist sie gerade acht Wochen alt. In einem Kölner Krankenhaus finden die Ärzte nach tagelangen für das Baby quälenden Tests endlich die Antwort auf die Frage, was Sofia fehlt. Die Diagnose ist niederschmetternd. Sofia hat Leukämie – Blutkrebs.

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So etwas habe er in 20 Jahren noch nicht bei einem so kleinen Kind gesehen, sagte der Arzt.
Jacqueline Marotta, Mutter von Sofia

Leukämie ist mit 33 Prozent die häufigste Krebserkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Das Knochenmark produziert unkontrolliert Vorläuferzellen von weißen Blutkörperchen. Sie vermehren sich rasant, verdrängen die gesunden Blutzellen und schwächen das Immunsystem. Weil die gesunden, roten Blutzellen verdrängt werden, funktioniert der Sauerstofftransport im Körper immer schlechter. Die Betroffenen sind blass, müde, haben Kopfschmerzen. Die Leukämie-Zellen können in schlimmen Fällen auch andere Organe wie Leber, Milz und Lymphknoten befallen und dadurch die Organfunktionen beeinträchtigen.

80 Prozent aller Krebsarten bei Kindern können heutzutage geheilt werden. Denn je kleiner das Kind ist, desto besser sind die Überlebenschancen, „obwohl das paradox klingt“, findet Sofias Mutter. Doch Sofia hat eine seltene Blutkrebs-Art, genannt AML-M5, eine Form der „akuten myeloischen Leukämie“, die in dem Alter eigentlich kaum vorkomme. „So etwas habe er in 20 Jahren noch nicht bei einem so kleinen Kind gesehen, sagte der Arzt“, erzählt Jacqueline Marotta. Akute Leukämien müssen schnellstmöglich behandelt werden, sonst können sie innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen.

Für die neuen Stammzellen muss das Immunsystem auf null gesetzt werden

Das Kind in der Isolierkammer ist aufgedunsen, blass, hat schon mehrere Chemo-Therapien hinter sich und ist vollgepumpt mit Medikamenten und Antikörpern. „Zur Vorbereitung“, wie Jacqueline Marotta sagt. Ihre Tochter soll eine Stammzellentransplantation erhalten. Es ist der einzige Weg, Sofias Leben zu retten. Ohne besteht keine Chance auf Heilung, denn der Krebs würde wohl immer wieder kommen.

Damit die Stammzellentransplantation Erfolg hat, muss das körpereigene blutbildende System so gut wie vollständig zerstört werden, unter anderem mit einer Hoch-Dosis-Chemotherapie – damit sollen auch die Krebszellen vollständig zerstört werden. „Der Körper darf sozusagen nichts Eigenes mehr haben“, beschreibt es Sofias Mutter. „Damit das Transplantat nicht abgestoßen wird. Ihr Immunsystem wurde damit sozusagen auf null zurückgesetzt, damit es für die neuen Zellen ein unbeschriebenes Blatt ist. Nicht wenige sterben auch an der Vorbereitung auf eine Transplantation.“ Sofia schafft es.

Ihr Kind ist ein Wunder.
Dr. Andreas Guggemos, Sofias behandelnder Arzt in Köln

Es ist ein Glücksfall, dass Sofias Arzt Andreas Guggemos die Krankheit erkannt hat. „Die Ärzte haben eine Sepsis vermutet“, berichtet Jacqueline Marotta. „Aber Dr. Guggemos sagte, das könne nicht sein.“ Damals habe der Arzt auch zu Hause an dem Blutbild des Mädchens gerätselt. Sofias Mutter erinnert sich, dass er mit einem älteren Professor darüber gesprochen habe, der die seltene Diagnose bestätigt hat. „Dr. Guggemos ist dann nach Feierabend zurück in die Klinik geeilt und hat Sofia direkt mit einer Chemotherapie behandelt.“ Hätte er das nicht getan, hätte Sofia die Nacht wahrscheinlich nicht überlebt.

Die erste Chemotherapie, der Sofia unterzogen wird, ist eine Hoch-Dosis-Therapie, die eigentlich nur Erwachsene bekommen. Sie ist zwei Monate alt, aber sie übersteht sie relativ gut. „Sie war angeschwollen und muss auch Schmerzen gehabt haben“, sagt die Mutter. „Aber sie hat immer gelächelt.“

Bei der zweiten Chemotherapie gibt es mehr Nebenwirkungen. Sofia muss sich oft übergeben. Einmal spuckt sie dabei plötzlich einen Teil ihrer Speiseröhre aus, was zunächst niemand erkennt. Man erreicht Andreas Guggemos im Urlaub, er lässt die Chemo sofort abbrechen, der innere Teil der Speiseröhre müsse sich gelöst haben. Sofia bekommt eine Nasensonde, damit sie ernährt werden kann. Ihre Mutter kann sie nicht weiter stillen. Nach drei Wochen überprüfen die Ärzte Sofias Heilungsfortschritte. „Ihr Kind ist ein Wunder“, sagt Guggemos nach der Untersuchung. „Die Speiseröhre hatte sich so gut wie vollständig regeneriert“, sagt Sofias Mutter.

Im Sommer 2022 ist Sofia in die erste Klasse gekommen

Andreas Guggemos ist heute Sofias Patenonkel. „Er ist für uns ein Engel“, sagt Jacqueline Marotta. „Er hat unsere Tochter gerettet.“ Guggemos arbeitet inzwischen nicht mehr als Onkologe in Köln. Jetzt ist er Kinder- und Jugendpsychotherapeut in Berlin. „Wir sehen ihn nicht mehr oft“, sagt Sofias Mutter. „Aber zu jedem Geburtstag schickt er Geschenke.“

Die tatsächliche Übertragung der Stammzellenspende ist am Ende fast schon eine Kleinigkeit. Mithilfe der Stammzellenspenderdatei der DKMS wird Sofias Spender gefunden. Ihm werden knapp 200 Milliliter Stammzellen entnommen. Die Transplantation bekommt Sofia intravenös. Das zählt als „Tag 0“, sagt ihre Mutter. „Und man zählt, bis der Körper nach der Spende die ersten eigenen Blutzellen bildet.“ Bei Sofia geschieht das an Tag Elf. „Uns wurde gesagt, das sei unheimlich schnell“, sagt die Mutter. „Wir konnten zusehen, wie es ihr besser geht.“ Nach 35 Tagen kann Sofia endlich nach Hause.

Sofias ist jetzt sechs Jahre alt. Im Sommer 2022 ist sie in die Schule gekommen. „Der erste Schultag war total aufregend. Für uns glaube ich mehr, als für sie“, sagt Jacqueline Marotta. „Wir waren total verängstigt.“ Sofias Immunsystem sei schließlich durch die Krankheit, die Transplantation und die lange Isolation wegen der Corona-Pandemie immer noch schwächer als bei Gleichaltrigen. Sie müsse immer noch aufpassen, trage auch in der Schule zunächst weiterhin einen Mundschutz. „Aber sie hat das ganz easy gemacht. Sie ist ganz einfach zum Unterricht gegangen.“

Man kann es schaffen, auch wenn es schwer ist.
Jacqueline Marotta, Sofias Mutter

In der Schule hat Sofia auch schon Freunde gefunden. Ihr Lieblingsfach ist Deutsch und sie liest sehr gern. „Mein Lieblingsbuch ist das mit Anna und Elsa“, sagt Sofia. „Elsa ist total toll! Sie hat Zauberkräfte und kann schöne Sachen herbeizaubern.“ Sofia hätte am liebsten auch einen lebendigen Schneemann wie Olaf.

„Ich bin froh, dass wir es geschafft haben und Sofia ein ziemlich normales Leben führen kann“, sagt ihre Mutter. Das Immunsystem werde sich mit den Jahren auch vollständig entwickeln. „Aber es war auch ein harter Weg und das vergessen wir nicht. Ich kann nur jedem sagen, der so etwas auch durchmachen muss: Niemals aufgeben. Immer stark sein und darüber sprechen. Man kann es schaffen, auch wenn es schwer ist.“


Die Arbeit der DKMS

Die DKMS wurde 1991 gegründet und ist eine internationale gemeinnützige Organisation, die so vielen Blutkrebs-Erkrankten wie möglich eine Chance geben will zu überleben. Mehr als 11,5 Millionen Menschen sind dort als potenzielle Stammzellenspender registriert. Die DKMS sammelt Spenden, veranstaltet öffentliche Registrierungsaktionen, ermöglicht Stammzellentherapien und übernimmt auch die Vermittlungen von Stammzellenspenden. Weltweit hat die DKMS 2022 nach eigenen Angaben rund 7.700 Stammzellspenden vermittelt, 918 Stammzellspenden gingen an Unter-15-Jährige weltweit, 157 an Kinder in Deutschland.

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