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Eine Konstante im ChaosDer überraschende Erfolg von König Charles III. und Camilla

6 min
König Charles III. und Königin Camilla sind bei den Briten beliebt.

König Charles III. und Königin Camilla sind bei den Briten beliebt.

König Charles III. macht eine viel bessere Figur, als viele nach dem Tod der Queen befürchtet hatten. Auch Königin Camilla gehört zu den Lieblingen. 

No, sorry. So dachten nicht wenige, nachdem am 8. September 2022 um 15.10 Uhr Greenwich Time die britische Königin Elisabeth II. das Zeitliche gesegnet hatte. Nein. Dieses ewige Sorgenkind Prinz Charles, dieser schratige Baumumarmer, der ein Tampon sein wollte und viel an den Ohren litt, werde wohl kaum jemals die übergroßen Fußstapfen seiner Mutter ausfüllen können.

Ein bleicher, koffeinfreier „Übergangsmonarch“ bis zur Ära William werde dieser Charles Philip Arthur George höchstens werden, so dachte das Land. König Charles III. - langweilig wie ein Mensch gewordener Fünf-Uhr-Tee.

Ein drolliger Anachronismus mit Jagdflinte

73 Jahre alt war Charles, Sohn einer 96-jährigen Mutter, als ihn das Schicksal dann doch noch ins Amt gehievt hatte. Charles galt als drolliger Anachronismus mit Jagdflinte, kaum geeignet, Märchensehnsüchte zu bedienen - noch dazu sah man ihn als zerstreuten und besserwisserischen Sonderling und politischen Öko-Aktivisten.

Der britische Boulevard stellte sich auf eine royale Durststrecke ein, bis Prinz William und Prinzessin Kate „die Firma“ übernehmen würden. Als der Palast dann am 5. Februar 2024 auch noch Charles’ Krebserkrankung öffentlich machte, mischte sich in das ehrliche Mitleid auch die Überzeugung, dass dieser Schlag ihn endgültig als Unglückskandidaten in die Geschichtsbücher einschreiben würde.

Was für ein Drama: 70 Jahre und 214 Tage hatte Charles darauf gewartet, König zu werden, länger als irgendein Thronfolger in der 1200-jährigen Geschichte der britischen Monarchie. Dann saß er gerade 16 Monate auf dem Thron, als der Krebs zuschlug. Es ist, wie der Autor John Green mal geschrieben hat: Das Schicksal ist ein mieser Verräter.

Die Skepsis ist verraucht

Gut anderthalb Jahre später aber erweist sich Charles III. als überraschend kraftvoller, guter und beliebter König. Gewiss, er hatte ein paar Jahre Zeit, sich auf den Job vorzubereiten. Aber selbstverständlich ist dieser Erfolg nicht.

Die Skepsis ist verraucht. Vergessen sind Szenen wie jene von 2022, als ein übellauniger, dünkelhaft wirkender Charles beim Eintrag in ein Gästebuch über einen klecksenden Füllfederhalter schimpfte („I can’t bear this bloody thing… every stinking time!“).

Gut 60 Prozent der Briten haben nach Umfragen eine positive Meinung zu Charles und Camilla. Zwar liegen William und Kate (75 Prozent) sowie Prinzessin Anne (71 Prozent) noch vor ihnen. Charles aber hat sich das Zutrauen seiner Untertanen redlich erarbeitet. Er gilt als „Working King“, teils mit 70-Stunden-Wochen. Die königliche Biografin Sally Bedell Smith lobte seine emotionale Nähe und sein Talent als „sehr guter freier Redner“, er sei darin „viel besser als seine Mutter“.

Die diversen Krisenherde der Royals stabilisiert er pragmatisch, würdig und geduldig. Seine eigene Erkrankung und die seiner Schwiegertochter Kate schien ihn bei der Pflichterfüllung kaum zu behindern. Transparenz und Privatsphäre balanciert er nach außen clever. Mit dem von der Fahne gegangenen Sohn Harry saß er immerhin 54 Minuten zu einem ersten Gespräch seit dem Bruch zusammen. Und in der Affäre um seinen Bruder Andrew handelte er hart und am Ende doch entschlossen - offenbar auch auf Drängen seines Sohnes William.

Ein schwarzer Schatten namens Andrew

90 Prozent der Briten unterstützen des Königs harte Linie im Fall Andrew. Der kalte Entzug sämtlicher Privilegien war ein formaler Kahlschlag. Charles wollte verhindern, dass der schwarze Schatten namens Andrew die ohnehin fragile Legitimation der seit Jahren angezählten Monarchie existenziell bedrohte.

Charles zeige einen „stillen, aber klaren Führungsstil“, lobte der „Daily Telegraph“. Die „Times“ befand seine Arbeit für „deutlich besser, als viele dachten“. Der „Guardian“ attestierte ihm „staatsmännische Reife“. „Blandness is a feature of the British crown, not a bug“, analysierte der „Economist“ beifällig - die „Blässe“ der Krone sei kein Fehler, sondern ein Wesensmerkmal.

Schon, als er direkt nach der Thronbesteigung Schwiegertochter Meghan und Harry öffentlich der Liebe der Familie versicherte, wirkte er eher wie ein warmherziger Brückenbauer als eine trockene Notlösung. Charles erinnere die Briten daran, dass sie von ihrem Monarchen „seit 70 Jahren keine Emotionen gesehen haben“, schrieb der Historiker und Royalexperte Robert Lacey.

Dabei waren die Widerstände, die Charles zu überwinden hatte, gewaltig. Ein kurzer Rückblick führt zu schwarzweißen Fernsehbildern, in unzähligen Dokus tausendmal wiederholt. Der sensible Charles und seine verkorkste, öffentliche Kindheit. Der kühle Handschlag der Mutter. Die Skepsis seines Vaters Prinz Philip, der bei seiner Geburt Squash spielte.

Ein schlaksiger, suchender, unsicherer Mann

Mit neun Jahren wurde er Prince of Wales. Bei zeremoniellen Anlässen stand er - von der Natur mit unglücklichen Ohren versehen - ratlos herum wie ein falsch geparkter Roller. Dann die halb erzwungene, grandios gescheiterte „Not-Ehe“ mit Diana und dem 0,4-Sekunden-Balkonkuss. Die jahrelange Presseorgie über die Trennung. Die seltsam verklemmte Liebe zu Camilla. Diese ganze Hölzernheit eines schlaksigen, suchenden, unsicher wirkenden Mannes.

Als frühvergreister Snob galt er, der sich sogar die Schnürsenkel bügeln und von Dienern die Zahnpasta aus der Tube drücken lässt. Der eigene Vater zweifelte an seiner Königstauglichkeit. Es scheint von außen fast, als sei Charles erst ganz bei sich angekommen, als er das Alter erreichte, das ihm die Öffentlichkeit schon früh emotional unterstellte.

Die Liebe der Briten zu mythisch umflorten Diana bleibt ungebrochen, doch dank cleverer Öffentlichkeitsarbeit liegt die Zustimmung zu Camilla inzwischen auch bei weit über 50 Prozent. Das Volk hat Respekt vor dieser Lebensliebe.

„So blöd bin ich nicht“ („I‘m not that stupid“), lautete sein berühmtestes Bonmot zu der Frage, ob er auch als König weiter Einfluss in Fragen der Kompostkomposition oder des britischen Heckenwesens nehmen wolle. Daran hält er sich. Und auch als Modernisierer hat Charles III. erste Akzente gesetzt: Er verschlankte das Hofpersonal, wurde jüngst mit den Worten zitiert, es gebe im Palast „zu viele Berater von Beratern“, das müsse „aufhören“.

Millionen vom Steuerzahler

Die steuerliche Zuwendung des Staates zur royalen Kasse liegt bei jährlich 124,8 Millionen Pfund (144,7 Millionen Euro), hinzu kommen andere Einnahmequellen, Steuerprivilegien, gewaltige Ländereien. Charles und William scheinen zu ahnen, dass die opulente Prunksucht sich zwar bei Hochzeiten und Krönungen im Fernsehen gut macht, im Alltag des gebeutelten Brexit-Englands jedoch bedrohlich provokativ wirkt. Vater und Sohn arbeiten deutlich enger zusammen als Charles jemals mit seinen eigenen Eltern.

Charles und William wissen, dass ein modernes Königshaus nicht nur Traditionen versinnbildlicht, sondern heute vor allem ein Geschichtengenerator ist, eine vitale Soapmaschine, die nur mit wohldosierten, authentischen Einblicken die ärgsten Spekulationen medial einhegen kann. „Es gibt auch Momente, in denen man auf eine Tradition schaut und sich fragt: Ist das heute überhaupt noch zeitgemäß?“, sagte Prinz William jüngst in einer Fernseh-Doku.

Beispiele für zarte Neuorientierungen: Als erster britischer Monarch seit der Reformation vor gut 500 Jahren betete Charles im Oktober als weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche gemeinsam mit dem Papst in der Sixtinischen Kapelle. Kurz zuvor gab er seine Zustimmung zur Berufung von Sarah Mullally als neue Erzbischöfin von Canterbury - die erste Frau als oberste geistliche Autorität aller anglikanischen Kirchen weltweit.

Eine Konstante im Chaos

Großbritannien ist heute ein zermürbtes, erschöpftes Land. Niemand von Verstand kann dem Brexit auch nur irgendetwas Gutes abgewinnen. Das versprochene Comeback der „splendid isolation“ erweist sich als ganz und gar nicht splendid (prächtig), sondern als verflucht anstrengend und schädlich. Das Königreich steckt in einer multiplen Krise. Dem Königshaus kommt in solchen Zeiten die Rolle eines goldglänzenden Laudanums zu, einer beruhigenden Konstante in einem Meer aus Chaos.

„Never complain, never explain“ („Niemals beschweren, niemals erklären“). Das royale Mantra seiner Mutter scheint überholt zu sein. „Je zugänglicher man ist“, befand noch die Queen, „desto gewöhnlicher wird man.“ Ihr Ältester scheint das ganz anders zu sehen. Und bis jetzt ist König Charles III. damit überraschend gut gefahren.